EXIT NOW!. Teri Terry
Читать онлайн книгу.Neben ihm steht Astrid Connor. Was zum Teufel will die denn hier? Sie ist doch in der Opposition.
»Ah, Samantha«, sagt er. »Und das muss deine Nachhilfelehrerin Ava sein.«
Ich nicke und die beiden geben sich die Hand.
Astrid begrüßt mich – typisch London – mit Küsschen rechts, Küsschen links. Dann stellt Dad ihr Ava vor. Ava wirkt erleichtert, als Astrid ihr bloß die Hand reicht und ihr die Küsserei erspart. Nachdem Astrid gegangen ist, frage ich: »War das dein Termin?«
»Nur ein Schwätzchen unter Nachbarn. Sie wohnt hier gleich um die Ecke«, fügt er Ava zuliebe hinzu. Und das stimmt auch, aber bisher hat sie nie die gute Nachbarin raushängen lassen.
Worüber die wohl gesprochen haben? So ganz geheuer ist mir diese Frau nicht. Weil ihre Tochter Stella auf die gleiche Schule geht, begegnen wir uns dort hin und wieder – und natürlich hat sie mich vor Kurzem gerettet, als ich in Westminster festsaß. Warum war sie heute wirklich hier? Vor Ava kann ich das Dad nicht fragen, wahrscheinlich würde er es mir ohnehin nicht verraten.
Wir folgen Dad ins kleine Esszimmer. Ich sage jetzt klein, aber zehn Leute können hier gut essen. Für uns ist am Ende des Tisches gedeckt. Dad nimmt am Kopfende Platz, Ava und ich sitzen einander gegenüber.
»Und was habt ihr zwei heute gemacht?«, fragt Dad.
»Naturwissenschaften. Ich habe alle Aufgaben erledigt.«
»Und wann hättest du abgeben sollen?«
Ich verdrehe die Augen. »Heute. Aber heute war ja keiner da, also sind alle zu spät.«
»Hat das den ganzen Nachmittag in Anspruch genommen?«
»Ähm, nein, aber…«
»Wir haben auch noch die Nachrichten verfolgt und uns über die Wahl vom letzten Jahr unterhalten«, sagt Ava, und ich bin froh, dass sie mich unterbricht. Dad wäre sicher nicht begeistert, wenn er wüsste, dass ich stundenlang gezeichnet habe, und lügen kann ich nicht gut.
»Großartig! Eine politische Debatte. Hast du die Wahl verfolgt, Ava?«
»Natürlich. Es stand ja viel auf dem Spiel.«
»Nicht viele junge Menschen interessieren sich dafür.«
Avas Blick wird ernst, sie richtet sich gerade auf. »Da täuschen Sie sich. Wir dürfen zwar nicht wählen, aber die Ergebnisse haben wir trotzdem am Hals.«
»Was hast du denn am Hals, das du gerne ändern würdest?«
»Den Ausstieg aus Europa. Die Schließung der Grenzen. Die Abspaltung des Vereinigten Irlands. Ökonomische Entscheidungen, die zum wirtschaftlichen Kollaps geführt haben. Kürzungen im Gesundheitsbereich, bei den Bibliotheken, Universitäten und im Sozialen.«
»Autsch«, sagt er. »Willst du noch die Abschaffung der Monarchie mit auf die Liste setzen?«
Ava zuckt die Achseln. »Das stört mich eigentlich nicht so.«
»Wenn du die Wahl verfolgt hast, weißt du ja, dass meine Partei in den übrigen Punkten mit dir übereinstimmt.«
Mir kommt es wie ein Tennismatch vor: Aufschlag, Volley, Punkt.
»Dann haben Sie ja vielleicht auch Dinge am Hals, die Sie gerne ändern würden.«
Nun lacht er. Ihm ist anzumerken, dass er das Wortduell mit Ava genießt. Und bei mir regt sich die Eifersucht. Von mir will er nie wissen, wie ich politisch denke.
Warum auch? Ich bin sowieso immer auf seiner Seite.
»Würden Sie was ändern, wenn Sie könnten?«
»Vielleicht, aber ich muss die Situation so betrachten, wie sie ist, und nicht, wie ich sie haben möchte. Das ist der Unterschied zwischen einer Sechzehnjährigen …«
»Siebzehnjährigen.«
»Gut, einer Siebzehnjährigen und jemandem, der Entscheidungen treffen muss, die Auswirkungen auf das Leben vieler Menschen haben. Ich muss das Beste aus Situationen machen, für die ich nichts kann.«
»Wie eine Koalition mit der Reform-Partei einzugehen, trotz politischer Differenzen?«
»Genau.«
»Was halten Sie von der Premierministerin?«
»In dem Punkt behalte ich meine Meinung für mich.« Was ja im Grunde schon alles sagt.
»Fragen Sie sich manchmal, was gewesen wäre, wenn Sie sich anders entschieden hätten und stattdessen mit Armstrongs Recht- und Ordnungspartei koaliert hätten?«
Um Dads Mundwinkel spielt ein amüsiertes Lächeln und ich zähle eins und eins zusammen. War Astrid vielleicht deshalb hier? Haben sie darüber gesprochen? »Es liegt in der menschlichen Natur, Entscheidungen infrage zu stellen«, antwortet er schließlich. »Auch wenn ich Politiker bin, bleibe ich Mensch.«
Als ich meine Gabel auf dem Teller ablege, klirrt es laut, und mein Vater wendet sich mir zur, als wäre ihm erst gerade eingefallen, dass ich ja auch noch da bin. »Was habt ihr zwei für heute Abend geplant? Wollt ihr noch was für die Schule tun?«
»Dad! Ich habe diese Woche schon was für Mathe UND Englisch UND Naturwissenschaften gemacht. Ist morgen garantiert auch keine Schule?«
»Ich glaube nicht, nein.«
»Dann können wir uns ja heute Abend freinehmen.« Charlize schreibt mir schon die ganze Zeit, ob ich nicht kommen will, aber ich war noch unschlüssig. Doch jetzt bin ich auf einmal entschieden. »Wir besuchen Charlize.«
»Ich weiß nicht, ob ihr nicht lieber hierbleiben solltet.«
»Sie sagt, es ginge um Leben oder Tod.«
»Na, dann …«
»Es ist auch gleich um die Ecke. Wenn du willst, nehmen wir einen Wagen.«
»Ja, ich sage dem Fahrer Bescheid. Acht Uhr?«
»Okay.«
AVA
Sams Dad muss noch arbeiten, deshalb verlässt er uns schon vor dem Nachtisch. Als ich ihm hinterhersehe, wird mir bewusst, wie nett er eigentlich ist. Im Fernsehen wirkt er nicht so.
»Dein Vater ist in Ordnung«, sage ich.
»Ja, so übel ist er nicht.«
»Ihm schien es nichts auszumachen, dass ich so viele Fragen gestellt habe. Ich hoffe, ich habe es nicht zu weit getrieben.« Auf einmal mache ich mir Sorgen. »Aber als er den Spruch über die jungen Leute gebracht hat, konnte ich nicht anders. War das jetzt schlimm?«
»Glaub mir, Ava, mein Vater liebt Streitgespräche. Warum wäre er sonst Politiker geworden?«
Irgendwie klingt Sam verärgert. Erst jetzt fällt mir auf, dass sie sich an dem Gespräch gar nicht beteiligt hat. Hat sie sich ausgeschlossen gefühlt?
»Warum sagst du nicht, was du denkst? Als wir vorhin allein waren, hast du es doch auch getan. Warum hast du dich heute Abend zurückgehalten?«
»Klar, das würde super ankommen. Schon okay, Ava. Ich bin nicht die kluge Tochter, die er sich gewünscht hätte. Du schon.«
»Sam! Sei doch nicht …«
Da geht die Tür auf und ich schlucke die Worte runter, schüttle nur noch den Kopf. Ein Tablett mit Kuchen wird hereingetragen. Riesige Stücke Schokoladenkuchen.
»Mein Lieblingskuchen! Danke«, sagt Sam. »Könnten Sie bitte meinem Vater Tee und Kuchen ins Arbeitszimmer bringen lassen? Und schauen, ob er uns einen Wagen für acht bestellt hat?«
»Sehr gerne, Miss.«
Die Tür schließt sich wieder und Sam beißt in den Kuchen. »Mhmm, lecker.«
»Besuchen wir wirklich Charlize?«