EXIT NOW!. Teri Terry
Читать онлайн книгу.»Ha! Zuzutrauen wäre es ihm. Aber du kannst ihn selbst fragen. Er kommt nämlich nachher. Zum Abendessen ist er da. Mum ist irgendwo unterwegs.«
»Kommt er denn durch?«
»Von Westminster bis zu uns sind die Straßen noch frei. Aber das war es denn auch. Vor dem Essen hat er hier noch ein Treffen, deshalb bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als zu kommen.«
»Oh. Okay.« Mir ist mulmig zumute. Abendessen? In diesem Haus? Mit dem stellvertretenden Premierminister. Und mit Sam.
»Lass uns Nachrichten gucken. Mal sehen, was die so sagen.« Sam steht auf und ich folge ihr zurück in ihr Zimmer. Sie schnappt sich die Fernbedienung und richtet sie auf einen Schrank, in dem ich ihre Anziehsachen vermutet hatte. Eine Tür öffnet sich und dahinter kommt ein Fernseher zum Vorschein. Sam setzt sich aufs Bett und bedeutet mir, auf dem Schreibtischstuhl Platz zu nehmen.
»Bereit?« Ohne meine Antwort abzuwarten, schaltet sie den Fernseher ein. Er ist schon auf den 24 Stunden Nachrichtenkanal von BBC gestellt.
»… gerade eingetroffen. Um 16.00 Uhr wird es eine Pressekonferenz mit dem Londoner Bürgermeister und den Sicherheitskräften geben, gefolgt von einer Liveansprache der Premierministerin aus der Downing Street.«
Die Uhr auf Sams Schreibtisch zeigt 15:45 Uhr.
In der Zwischenzeit wiederholen sie die gestrigen Berichte vom Stromausfall und dem Polizeieinsatz. Den Razzien in London, Birmingham, Manchester und Glasgow. Schnelles und entschlossenes Vorgehen gegen die A4A. Doch nun berichten sie, dass es im Anschluss an die Razzien in London zu Unruhen gekommen ist und viele Straßen abgesperrt wurden.
Die Pressekonferenz beginnt. Der Bürgermeister fasst die Geschehnisse nochmals zusammen, konzentriert sich dabei auf London, auf die Schauplätze und die Anzahl der Festnahmen. Dann dürfen Fragen gestellt werden.
»Woher wussten die Sicherheitskräfte von den geplanten Anschlägen?«
»Sie werden bestimmt verstehen, dass wir keine vertraulichen Sicherheitsinformationen preisgeben können. Der Erfolg zeigt, dass wir denen trauen können, die Londons Einwohner schützen.«
»Es gibt Berichte, dass die Polizei bei den Razzien mit großer Härte vorgegangen ist. Was können Sie uns dazu sagen?«
»Bedauerlicherweise musste konsequent durchgegriffen werden, um die Stadt für uns alle sicher zu machen. Wir können nicht riskieren, dass Terroristen entkommen.«
Jemand flüstert dem Bürgermeister was ins Ohr, und die Pressekonferenz wird beendet, bevor noch weitere Fragen gestellt werden können.
»Die verbergen doch was«, sagt Sam.
»Politiker verbergen immer was.« Sofort wird mir bewusst, dass es so klingt, als könnte ich damit ihren Vater meinen. »Tut mir leid, ich meinte …«
»Schon gut. Hast ja recht«, entgegnet sie, aber wohl fühlt sie sich dabei nicht. Vielleicht geht es ihr so wie mir vorhin, als sie meinte, Penny würde blöd gucken, wenn sie wüsste, dass mein Vater Taxifahrer ist.
»Manchmal ist es vielleicht berechtigt, Dinge zurückzuhalten.«
»Oder nicht.«
Kamera auf die Downing Street Nr. 10. Premierministerin Powell tritt in einem zerknitterten Anzug und mit einem müden Lächeln aus der Tür.
»Unsere furchtlose Anführerin«, sagt Sam sarkastisch. »Mir reicht’s. Hast du was dagegen, wenn ich ausschalte?«
Ich schüttle den Kopf und die Premierministerin verschwindet wortlos.
»Mag denn dein Vater Powell nicht?«, frage ich neugierig. »Er hat sie doch ins Amt gesetzt.«
»Ab und zu darf ich auch mal eine eigene Meinung haben.«
»Sorry, so meinte ich das gar nicht …«
»Entspann dich, das weiß ich doch. Das ist bloß ein wunder Punkt. In der Öffentlichkeit müssen wir immer eine einheitliche Front bilden, aber ich rede meinem Vater nicht nach dem Mund.
Du kannst ihn selbst nach der Premierministerin fragen. Und was immer diese Frau ankündigt, sie setzt eh nie was um. Ich halte sie für keinen schlechten Menschen, aber als Ministerin kann man sie vergessen.«
»Die Wahl letztes Jahr war … ziemlich heftig, fandest du nicht? Hast du sie verfolgt?«
»Klar, mir blieb ja nichts anderes übrig. War auch spannend. Und alle haben sich so aufgeregt, dass die gewohnten Parteien abgewählt wurden und Armstrongs Recht-und Ordnungspartei zwar die meisten Sitze, aber nicht die absolute Mehrheit bekam. Und natürlich wurde alles auf den Kopf gestellt, als sich Dads Partei Freiheit für Großbritannien mit der Reform-Partei zu einer Regierung zusammengeschlossen hat und nicht mit Armstrongs Leuten.«
»Niemand hat das geahnt. Du auch nicht?«
»Nein. Aber Dad hatte am Tag zuvor was gesagt, das musst du aber für dich behalten.«
»Natürlich«, antworte ich.
»Ich weiß noch, dass er fragte, was wäre dir lieber? Ratten oder ein sinkendes Schiff?«
»Wer war was?«
»Hat er nie gesagt. Eigentlich kam keins von beiden infrage. Doch Neuwahlen wären in dem ganzen Chaos noch schlimmer gewesen, meinte er, deswegen musste er sich entscheiden. Und dabei hat er nicht so sehr an sich selbst gedacht, sondern daran, was für das ganze Land das Beste wäre.«
Fasziniert beobachte ich, wie sich die Emotionen in Sams Gesicht spiegeln. Über all diese Dinge habe ich schon hundertmal gesprochen, doch sie war mittendrin.
»Du musst deinem Vater sehr nahe stehen. Deine Augen leuchten richtig, wenn du über ihn sprichst.«
»Ach ja?« Irgendwie scheint ihr das peinlich zu sein. »Ja, wir haben uns schon immer gut verstanden. Auch wenn ich ihn jetzt viel seltener sehe.«
»Nachdem du miterlebt hast, wie es mit dieser Regierung weitergegangen ist, wie hättest du dich entschieden? Lieber Ratten oder ein sinkendes Schiff?«
Sam grinst. »Ratten natürlich. Wer will schon untergehen? Vielleicht ist es ja auch nur ein Bluff und im Grunde sind sie alle Ratten, die auf dem Schiff und die an Land. Was dann? Dann gibt es keine richtige Entscheidung.« Auch wenn sie lächelt, ist ihr Blick überschattet. »Jetzt reicht es aber mit der Politik. Da sind mir ja Hausaufgaben fast lieber.«
»Sehr gut. Dann bringen wir mal die Naturwissenschaften hinter uns.«
»Aber nur, wenn ich entscheide, was wir heute Abend machen.«
»Was denn?«
»Verrate ich nicht.«
»Hhmm. Okay. Bestimmt bereue ich es noch.«
SAM
Ava sieht in den geliehenen Klamotten von Mum so anders aus. Sie hat sich mit Händen und Füßen gesträubt, bis ich ihr gezeigt habe, dass sie aus dem Haufen für die Altkleidersammlung kommen. Von meinen Sachen hätte ihr ohnehin nichts gepasst, aber Mum und Ava sind gleich groß.
Ich suche ihr ein paar schwarze Hosen aus, die vielleicht ein wenig zu kurz sind, doch sonst gut sitzen, und dazu einen langen lila Pulli, der ihr dunkles Haar noch mehr glänzen lässt.
Verunsichert betrachtet sich Ava im Spiegel. »Ich fühle mich gar nicht wie ich selbst«, sagt sie.
»Willkommen in meinem Leben. Komm. Mum ist nicht da, es wird ein tolles Essen geben.«
»In den Hosen werde ich wohl nicht viel essen können.«
»Der Pulli ist doch lang genug, mach einfach den obersten Knopf auf. Komm schon.«
Sie folgt mir den Flur entlang, die Treppe hinunter bis zum Haupttreppenhaus. »Was für ein Geländer.« Ava streicht über den geschnitzten Handlauf.