EXIT NOW!. Teri Terry

Читать онлайн книгу.

EXIT NOW! - Teri Terry


Скачать книгу
das, dass du noch nichts von deinen anderen Aufgaben gemacht hast?«

      »Nein. Ist aber nicht meine Schuld. Ich wollte da ja gar nicht hingehen.«

      »Egal, wessen Schuld es ist, deine Englischhausaufgaben sind doch bis morgen fällig, oder? Darum kümmern wir uns als Erstes. Und dann sind da auch noch ein paar Aufgaben in Naturwissenschaften, die du bis morgen fertig haben musst.«

      Sam stöhnt. »Neiiiin. Das ist zu viel. Nur ein Fach, danach brauche ich eine Pause.«

      »Vielleicht eine kurze.«

      »Wie wär’s damit? Wir machen was von dem langweiligen Zeug und dann zeichnen wir uns gegenseitig?«

      Damit hätte ich so gar nicht gerechnet, aber ich habe schon gehört, dass sie echt gut in Kunst ist. Oder das ist nur übertriebenes Gerede, weil sie eben Samantha Gregory ist.

      »Ich kann gar nicht zeichnen«, antworte ich. Aber ich bin neugierig, wie sie mich zeichnen würde.

      »Dann versuchst du es einfach und ich gebe dir ein paar Tipps. So kann ich dir auch was beibringen.«

      Ich zögere. Die Lehrer wären sicher nicht begeistert, wenn ich einen Teil der Stunde aufs Zeichnen verwende, aber wenn ich sie so motivieren kann?

      »Okay. Aber nur, wenn du die Englischhausaufgabe vorher fertig hast.«

      Als ich den Ordner aufschlage, macht Sam Würgegeräusche. »Echt jetzt? Schreib aus Julias Perspektive ein Liebessonett über Romeo? Die haben sie doch beide nicht mehr alle. Kein Junge ist es wert, dass man für ihn stirbt. Und Liebe auf den ersten Blick ist der größte Schwachsinn überhaupt.«

      Sam überrascht mich. Die meisten Mädchen auf der Schule schwärmen hier doch ständig von irgendwelchen Jungs. »Manche würden sagen, dass du vielleicht nur noch nicht den Richtigen getroffen hast.«

      »Noch so ein Märchen: der Richtige. Als gäbe es nur eine einzige Person auf der Welt, die für uns die richtige ist. Wie stehen wohl die Chancen, dieser Person zu begegnen? Gehen gegen null, würde ich sagen, da kann man ja gleich einpacken.«

      »Du musst es ja nicht glauben. Tu einfach so, als seist du Julia, wärst gerade Romeo begegnet und würdest an die Liebe auf den ersten Blick glauben.«

      »Und das auch noch in Sonettform?«

      »Nur vierzehn Zeilen. Stell dir einfach vor, du wolltest ihn malen.«

      Sam legt den Kopf schief und überlegt. »Wie ein Bild aus Worten?«

      »Warum nicht?«

      Eine Weile schaut sie auf die leere Seite in ihrem Heft, dann nimmt sie den Stift in die Hand.

       SAM

      Ständig muss ich mich verstellen. Ich bin schon so gut darin geworden, dass ich gar nicht mehr weiß, wie ich wirklich bin.

      Ich versuche, mich in Julia hineinzuversetzen, stelle mir vor, wie es in ihr aussieht: auf der einen Heftseite ein Bild, auf der anderen Worte. Die Zeichnung hilft mir beim Schreiben. Ava sieht mir zu, gibt Hilfestellung, wenn ich nicht weiterweiß, erinnert mich immer wieder ans korrekte Reimschema.

      Als ich fertig bin, streicht sie über die Zeichnung von Romeo. Er ähnelt Lucas, aber ich habe ihn so perfekt dargestellt, dass er beinahe abstoßend wirkt. Ob die Lehrerin den Witz versteht? Und Ava?

      »Romeo ist eine Karikatur«, sagt sie zu meiner Zufriedenheit.

      »Fertig. Zeit für eine Pause.«

      Auf einmal gehen die Lichter aus. Ohne Vorwarnung, ohne Flackern, von einem Moment auf den anderen ist es dunkel. Die Türen sind verschlossen und in dem kleinen Zimmer gibt es keine Fenster. Es ist stockfinster.

      Automatisch steigt bescheuerte Panik in mir auf: Mein Herz klopft, mein Magen rebelliert und ich fummle in der Tasche nach meinem Handy. Als ich es gefunden habe, schalte ich die Taschenlampe ein. Mit dem dünnen Lichtstrahl kann ich schon wieder besser atmen.

      »Was ist los?«, fragt Ava.

      »Vielleicht ein Stromausfall?«

      Ich mache die Tür auf und schaue in den dunklen Gang. Keiner da. Ava ist inzwischen durch die andere Tür zum Nachbarzimmer, das ein Fenster hat.

      »Nicht nur in der Schule«, sagt sie. »Die Lichter sind überall aus.«

      Mist. Ich habe gestern Abend vergessen, mein Telefon aufzuladen. Es hat nur noch elf Prozent. Wie lang reicht das wohl? Diese alten Gebäude haben so wenig Fenster und ich will unbedingt nach draußen, ins Licht und an die Luft.

      »Das ist wohl ein Zeichen, dass wir für heute fertig sind«, sage ich.

      »Einverstanden«, entgegnet Ava.

      Wir sammeln unsere Sachen zusammen und laufen durch den schmalen Gang, der nur vom dünnen Lichtstrahl meines Telefons beleuchtet wird. Dann treten wir nach draußen in den Hof. Andere Leute kommen dazu, Lehrer und ein paar Schüler, die aus irgendwelchen Gründen länger geblieben sind. Wir laufen Richtung Sekretariat und Hauptausgang, aber bevor wir ihn erreichen, taucht die stellvertretende Direktorin auf.

      »Fürs Erste wurden wir gebeten, alle hier …« Der Rest ihres Satzes geht im Sirenengeheul unter.

      »Was ist passiert?«, fragt eine Lehrerin besorgt. Die stellvertretende Direktorin wirft ihr einen vielsagenden Blick zu.

      »Bestimmt ist alles in Ordnung. Vielleicht legt der Stromausfall auch den Verkehr lahm? Wir kümmern uns darum. Fürs Erste bleibt bitte hier im Hof oder kommt mit in die Bibliothek. Die Hausmeister gehen durch die Gebäude und trommeln alle zusammen.«

      Die anderen verschwinden durch die Türen zur Bibliothek, aber ich steuere auf eine Bank zu, ich möchte lieber draußen im Tageslicht bleiben. Ava zögert.

      »Geh ruhig rein, wenn du magst«, sage ich.

      Stattdessen setzt sie sich neben mich auf die Bank; ich bin erleichtert, dass ich nicht allein bleiben muss, gleichzeitig ärgert mich das auch schon wieder.

      »Du hast Englisch erledigt«, sagt sie. »Abgemacht ist abgemacht. Wir können uns auch hier draußen zeichnen. Aber ich bin echt nicht gut, also nimm’s nicht persönlich.«

      »Werde ich nicht.« Und ich hole meine Zeichenutensilien hervor, die ich immer dabeihabe, reiße ein paar Seiten aus dem Zeichenblock und reiche sie Ava. Wenigstens lenkt mich das ein wenig ab. Wie lange haben wir noch Licht? Die Sonne steht schon ziemlich tief.

      »Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll«, meint Ava.

      »Versuch es mit einem Detail, einer Haarsträhne zum Beispiel. Es muss nicht gleich das ganze Gesicht sein. Konzentriere dich auf dieses eine Detail, du kannst es möglichst genau wiedergeben oder es auch verändern, wenn du es mit dem Auge des Künstlers anders siehst.«

      »Dass ich ein Künstlerauge habe, bezweifle ich! Aber ich gebe mein Bestes.«

      Mit dem Stift in der Hand mustert sie mich lange, blickt dann aufs Papier, beginnt, blickt wieder auf. Ich betrachte noch immer ihr Gesicht, die Proportionen. Ava ist … nicht unbedingt schön, aber faszinierend. Sie zieht Blicke auf sich. Hat hohe Wangenknochen, ein markantes Gesicht. Ihre Augen stehen ein wenig auseinander, mit langen Wimpern, ohne dass sie getuscht sind. Ihr dunkles, glattes Haar ist links hinters Ohr geklemmt, rechts fällt es bis über die Schulter. Ihr Blick ist intensiv, immer. Sie lebt im Moment, konzentriert sich voll und ganz auf das, was sie gerade tut. All das muss ich zu Papier bringen, wenn ich ihr Wesen erfassen will. Ich schnappe mir einen Stift und lege los.

      Gestern habe ich gelogen. Wir haben uns vielleicht noch nie unterhalten, aber ich wusste, wer sie ist, und ich male sie auch nicht zum ersten Mal. In dem Meer aus geschminkten Gesichtern und sorgfältig frisiertem Haar sticht sie aus der Menge heraus, sie ist einfach anders. Als man mich gestern ins Nachhilfezimmer geschleift hat, war ich so überrascht, sie zu sehen, dass ich mich nicht gleich setzen konnte. Ich musste mich


Скачать книгу