Die Romantik. Ricarda Huch
Читать онлайн книгу.und angenehme Leute, die den Menschen und das Leben so betrachten, als ob von der besten Schafzucht oder vom Kaufen oder Verkaufen der Güter die Rede wäre. Es sind die Oekonomen der Moral und eigentlich behält wohl alle Moral ohne Philosophie einen gewissen illiberalen und ökonomischen Anstrich … Es giebt ökonomische Schwärmer und Pantheisten, die nichts achten als die Nothdurft und sich über nichts freuen, als über ihre Nützlichkeit. Wo sie hinkommen, wird Alles platt und handwerksmäßig, selbst die Religion, die Alten und die Poesie, die auf ihrer Drechselbank nichts edler ist als Flachshecheln.«
Von der sogenannten guten Gesellschaft wird gesagt, sie sei eine Mosaik von geschliffenen Karrikaturen. Oder: »Die meisten Menschen sind, wie Leibnitzens mögliche Welten, nur gleichberechtigte Prätendenten der Existenz. Es giebt wenige Existenten.« Und kann man einen exklusiveren Standpunkt haben als den, daß selbst in den äußerlichen Gebräuchen der Lebensart die Künstler sich von den andern Menschen unterscheiden sollten? Dies ist die aristokratische Seite des Athenäums. Auf die Klage des Publikums, die deutschen Autoren schrieben nur für einen kleinen Kreis, ja oft nur für sich selbst unter einander, erwiderten sie trotzig, das sei gut so, »dadurch wird die deutsche Literatur immer mehr Geist und Charakter bekommen.« Die Künstler sind, sagen sie, unter den Menschen, was die Menschen unter den andern Bildungen der Erde. Sie sind Brahminen, eine höhere Kaste; aber – und nun kommt ein Zusatz, der den ganzen Ausspruch wieder demokratisirt – sie sind nicht durch Geburt, sondern durch freie Selbsteinweihung geadelt. Unermüdlich wird betont, daß es eines Jeden Beruf und Pflicht ist, Mensch, Künstler, Gott zu werden. So haben wir hier dieselbe Mischung von Popularität und Aristokratismus wie im Christenthum: Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.
Durch das, was die Romantiker unter dem Begriff »Künstler« sich dachten, wird die Würde, die auf einen kleinen Kreis beschränkt schien, auf die ganze Menschheit erweitert: »Künstler ist ein Jeder, dem es Ziel und Mitte des Daseins ist, seinen Sinn zu bilden.« Nur auf den Entschluß kommt es an, »sich auf ewig von allem Gemeinen abzusondern.« Aber noch auf andre Weise wird die Möglichkeit dargethan, daß ein Jeder sich erfolgreich dem höchsten Ziele zuwenden könne. »Genie ist der natürliche Zustand des Menschen.« Wer anders als der überschwenglich kühne Geist Hardenberg's wagte so zu denken und so sich zu äußern? Das größte Kunstwerk, so philosophirt der Schüler Fichte's, erschafft die unbewußte Phantasie des Menschen, indem sie aus eigner Kraft die Welt sich aufbaut; der Liebende, der die Geliebte vergöttert und ein anbetungswürdiges Bild sieht, das nicht ist; der Wilde, der die Sprache schafft als ein bildsames, nach ewigen Gesetzen wandelbares Symbol für die erscheinende Welt und beweglichen Körper für die Gedanken, sie sind Alle Künstler von Gottes Gnaden, und es handelt sich für den Menschen nur darum, sich auf das Genie, das in ihm ist, zu besinnen, es in seine Gewalt zu bekommen.
»Jeder ungebildete Mensch ist die Karrikatur von sich selbst.« Daraus folgt, daß sich bilden heißt: sein eigenes Ideal werden. Alles was in diesem Gedanken liegt und sich daraus folgern läßt, faßt Friedrich in den Worten zusammen: »Jeder gute Mensch wird immer mehr und mehr Gott. Gott werden, Mensch sein, sich bilden sind Ausdrücke, die einerlei bedeuten.« Diese Vergötterung des Ich ist himmelweit entfernt von der unfruchtbaren Eitelkeit derjenigen, denen ihr eigenes Selbst der Pflock ist, woran sie mit kurzem Strick festgebunden sind und um den sie sich unaufhörlich drehen. Denn unter dem Gottwerden ist verstanden Erweiterung der eigenen Persönlichkeit zur Aufnahme von unendlich vielen. »Kein Mensch ist schlechthin Mensch, sondern kann und soll wirklich und in Wahrheit auch die ganze Menschheit sein.« Wenn wir nun noch Gott einen Abyssus von Individualität genannt finden, den einzigen unendlich Vollen, so sehen wir ein Religionsprojekt, das Friedrich's Gepräge trägt, dem Fichte's Geist als Stern im Osten geleuchtet hat.
Wie der goldne, Alles durchdringende Aether umhüllt die Idee der Religion die ganze Gedankenwelt, die hier ausgebreitet liegt. Einer Landschaft gleicht sie, in deren Hintergrunde ein ungeheurer, Alles überragender Berg mit schimmerndem Gipfel lagert, den man von jedem Platze aus sehen kann und dessen unvertilgbaren Umriß man noch ahnt, wenn ihn silberne Dünste oder graues Regenwetter verschleiern.
»Nur durch Religion wird aus Logik Philosophie, nur daher kommt Alles, was diese mehr ist als Wissenschaft. Und statt einer ewig vollen, unendlichen Poesie werden wir ohne sie nur Romane haben oder die Spielerei, die man jetzt die schöne Kunst nennt.«
»Die Religion ist nicht bloß ein Theil der Bildung, ein Glied der Menschheit, sondern das Centrum aller Uebrigen, überall das Erste und Höchste, das schlechthin Urspüngliche.«
Was der Grundgedanke von Schleiermacher's Reden über die Religion war, daß nämlich Religion nichts andres sei als Beziehung des Endlichen auf das Unendliche, Gefühl des Universums, das findet sich hier im Keime, in blitzartigen, straff zusammengefaßten Aussprüchen, die auf den Verständnißvollen stärker wirken als Schleiermacher's etwas verwässertes Reden, was freilich bestimmt war, von Vielen eingenommen und begriffen zu werden und seinen Zweck auch erfüllte. Aber inniger als dort fühlt man hier, wie eine aufkeimende Religion schon den Himmel des Zeitalters färbt als verheißungsvolle Morgenröthe. Hundertfach wird mit dem »Zauberstab des Buchstabens« an das Geheimniß der verkündigten Sonne gerührt, das Räthsel der Räthsel durch vermittelnde Gleichnisse dem Sinn nahe gebracht, wie wenn man den Glanz des feurigen Gestirns, der dem menschlichen Auge unerträglich ist, dämpft und verwandelt, indem man es durch farbige Gläser betrachtet.
Eine tröstliche Gewißheit hat der Strebende: »Dein Ziel ist Kunst und Wissenschaft, dein Leben Liebe und Bildung. Du bist ohne es zu wissen auf dem Wege zur Religion. Erkenne es, und du bist sicher, dein Ziel zu erreichen.« Von diesem Standpunkte aus ist es begreiflich, daß Bildung als das höchste Gut und das allein Nützliche gepriesen wird.
Diesen Begriff von Religion, die »den Geist des sittlichen Menschen überall umfließen soll wie sein Element«, müssen wir gegenwärtig haben, um die Aussprüche über Moral zu verstehen, die Allem, was man bisher darunter begriffen hatte, entgegengesetzt waren. Zum Beispiel: »Man hat nur so viel Moral als man Philosophie oder Poesie hat.« Oder: »Die erste Regung der Sittlichkeit ist Opposition gegen die positive Gesetzlichkeit und conventionelle Rechtlichkeit – eine grenzenlose Reizbarkeit des Gemüthes.«
Es ist derselbe Kampf, den der Apostel Paulus gegen das Gesetz kämpfte im Namen der Liebe, welche er des Gesetzes Erfüllung nannte. Allerdings, sagte er, muß, wer das Gesetz umwirft, vom Geiste regiert sein, oder, wie es die Romantiker ausdrücken, er muß im Unsichtbaren leben, sein Leben muß Liebe und Bildung sein; jedenfalls kann man insofern den Romantikern wie jedem Idealisten und jedem Christen den Vorwurf machen, daß sie eine Herrschaft angriffen und zu erschüttern suchten, um dafür eines Reiches Bürger zu werden, das für den Menschen ewig ein Kommendes ist, wie wir ja auch beten: dein Reich komme.
Im Athenäum liegt der Keim zu Allem, was die Romantik bringen sollte. Der Begriff der Ironie, der ein so wichtiger Grundsatz der romantischen Aesthetik war, ist vielfach zu bestimmen versucht. Die ganze Naturphilosophie liegt angedeutet in den Worten: »Willst du in's Innere der Physik dringen, so lasse dich einweihen in die Mysterien der Poesie.« Auch die Entdeckung der orientalischen Poesie mit ihrem gewaltigen Einfluß bereitet sich vor: »Im Orient müssen wir das höchste Romantische suchen.« »Welch eine Quelle an Poesie könnte uns aus Indien fließen.«
Staunenswerth ist für die Leser unsrer Zeit, wie unveraltet diese Blätter sind. Unzähligen Gedanken begegnen wir, die sich in unsern Tagen, ihrer Neuheit und Vereinzelung bewußt, kaum so frei und muthig hervorwagen, wie sie dort ausgesprochen sind. Man kann sich nicht radikaler über die Emanzipation der Frauen aussprechen, als es Schleiermacher, ein Prediger, in seinem Katechismus der Vernunft für edle Frauen that, wo z. B. folgende Gebote gegeben sind:
»Du sollst von den Heiligthümern der Liebe auch nicht das Kleinste mißbrauchen: denn die wird ihr zartes Gefühl verlieren, die ihre Gunst entweiht und sich hingiebt für Geschenke und Gaben, oder um nur in Ruhe und Frieden Mutter zu werden«
»Du sollst nicht falsch Zeugniß ablegen für die Männer; du sollst ihre Barbarei nicht beschönigen mit Worten und Werken.«
Eine noch deutlichere, schlagendere Sprache führt das Glaubensbekenntniß:
1. Ich glaube an die unendliche Menschheit,