Die Romantik. Ricarda Huch

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Die Romantik - Ricarda Huch


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für sie gehabt haben, daß derjenige, der sich am unermüdlichsten ihrer annahm, Wilhelm Schlegel war, den sie in glücklichen Tagen so übermüthig verworfen hatte. Korrekt, wie er im Empfinden und Handeln zu sein pflegte, ritterlich und verliebt, sprang er ohne Bedenken für sie in die Schranken. Nachdem durch das Zusammenwirken mehrerer Freunde und namentlich ihres jüngeren Bruders ihre Befreiung erzielt war, übernahm er es, was fast noch schwieriger war, für ihre fernere Sicherheit zu sorgen. In völliger Abgeschiedenheit, in der Nähe von Leipzig, erwartete sie die Entbindung von ihrem vaterlosen Kinde. Hier lernte Friedrich Schlegel sie kennen, der sie gewissermaßen als Bevollmächtigter und an Stelle seines Bruders besuchte, der einzige Gast, der ihre Einsamkeit unterbrach. Friedrich kannte Karoline schon aus ihren Briefen an Wilhelm, und seine reflektirende Phantasie hatte sich so gut mit ihr beschäftigt, daß er schon ihr Bewunderer war, als er zum ersten Mal vor sie hintrat Nun aber überwältigte ihn ihre Persönlichkeit vollständig; er vermochte nichts Einzelnes mehr zu tadeln, er empfand sie selbst als Ganzes und wurde ganz von ihr ergriffen.

      Welchen Eindruck mußte sie aber auch gerade damals machen: in einer so peinlichen Lage doch voll natürlicher Würde, ohne ängstliche Gedrücktheit, bei beständigen körperlichen Leiden doch stets munter, zu Scherz und geistigen Genuß geneigt, auch den Ernst und lebhaftesten Schmerz durch Humor oder kluge Betrachtung mäßigend. Ebenso lieblich wie im Glück, so groß und rührend war sie im Unglück.

      Wie ein Wunder erscheint es an dem selbstbewußtem Jüngling, daß er ihren Verstand als dem seinigen überlegen achtete, dazu aber, sagte er, habe sie das, was ihm fehle, nämlich die Seele der Seele: Liebe. Immer und immer wieder, Jahre später, als Bitterkeit, Eifersucht und Mißverständnisse das ursprünglich so reine und schöne Verhältniß getrübt hatten, rühmte er an ihr das Talent zur Liebe, mit dem sie jede Entfremdung überbrücken könne – wenn sie wolle. In der Lucinde hat er die Frau, »die einzig war und die seinen Geist zum ersten Male ganz und in der Mitte traf«, folgendermaßen geschildert:

      »Ueberhaupt lag in ihrem Wesen jede Hoheit und jede Zierlichkeit, die der weiblichen Natur eigen sein kann, jede Gottähnlichkeit und jede Unart, aber Alles war fein, gebildet und weiblich. Frei und kräftig entwickelte und äußerte sich jede einzelne Eigenheit, als sei sie nur für sich allein da, und dennoch war die reiche, kühne Mischung so ungleicher Dinge im Ganzen nicht verworren, denn ein Geist beseelte es, ein lebendiger Hauch von Harmonie und Liebe. Sie konnte in derselben Stunde irgend eine komische Albernheit mit dem Muthwillen und der Feinheit einer gebildeten Schauspielerin nachahmen und ein erhabenes Gedicht vorlesen mit der hinreißenden Würde eines kunstlosen Gesanges. Bald wollte sie in Gesellschaft glänzen und tändeln, bald war sie ganz Begeisterung und bald half sie mit Rath und That, ernst, bescheiden und freundlich wie eine zärtliche Mutter. Eine geringe Begebenheit war durch ihre Art, sie zu erzählen, so reizend, wie ein schönes Märchen. Alles umgab sie mit Gefühl und Witz, sie hatte Sinn für Alles, und Alles kam veredelt aus ihrer bildenden Hand und von ihren süß redenden Lippen. Nichts Gutes und Großes war zu heilig oder zu allgemein für ihre leidenschaftlichste Theilnahme. Sie vernahm jede Andeutung und sie erwiderte auch die Frage, die nicht gesagt war. Es war nicht möglich, Reden mit ihr zu halten; es wurden von selbst Gespräche, und während dem steigenden Interesse spielte auf ihrem feinen Gesichte eine immer neue Musik von geistvollen Blicken und lieblichen Mienen.« Zum Schlusse aber hebt er hervor, daß diese Frau voll zarter Poesie, bei jeder großen Gelegenheit Kraft und Muth zum Erstaunen gezeigt habe.

      Es ist beklagenswerth, daß auf die höchste Entfaltung der menschlichen Geisteskräfte mit Nothwendigkeit eine Erschlaffung folgen muß, wie denn auch Karoline, nachdem sie eben als Ueberwinderin ihrer Schwäche und der Noth der Welt triumphirt hatte, gerade diejenige Handlung beging, um deretwillen man ihr am ehesten ernstlich zürnen möchte: daß sie nämlich die Ehe mit Wilhelm Schlegel einging. Denn abgesehen davon, daß sie in späterer Zeit selbst erklärte, ihn weniger aus Liebe geheirathet zu haben, als auf den Wunsch ihrer Mutter hin und um sich und ihrem Kinde eine gesicherte Lebensstellung zu geben, wie könnte man glauben, daß sie den Mann wirklich liebe, von dem sie sechs Jahre vorher gesagt hatte; »Schlegel und ich! ich lache, indem ich es schreibe! Nein, das ist sicher – aus uns wird nichts!« Ja, selbst wenn man betonen wollte, welche Veränderungen sechs Jahre im Menschen hervorbringen können, wieviel die Zeit hier wirklich verändert hatte; daß die Ehe so bald sich wieder auflöste, beweist doch, daß eine innere Zusammengehörigkeit sich nicht ausgebildet hatte. Sich aber halb aus spielender Verliebtheit, halb aus Bequemlichkeit in Liebe hineinzulügen, ist doppelt sündhaft für eine Frau, die sich das Recht nimmt, dem Instinkte ihres Herzens, wie wenn es eine heilige, unbestechliche Stimme wäre, sich anzuvertrauen, was auch das Urtheil der Welt dagegen sagen möge. Im Geheimsten war sie sich dieses Unrechts auch wohl bewußt, denn alle ihre Aeußerungen über ihre Verlobung den Freunden gegenüber scheint ein Gefühl von Verlegenheit zu lähmen.

      Was Alles andrerseits ihren Schritt entschuldigen und erklären kann, ist so selbstverständlich, daß ich es nur flüchtig anzudeuten brauche. Sie hatte Ursache, Wilhelm dankbar zu sein, der sich so umsichtig, so thatkräftig, so selbstlos ihrer angenommen hatte, und Dankbarkeit macht das Herz für Liebe empfänglich Die Lage war so, daß sie die Bedrängte und Hülflose, er der Beschützer war, was ihm ein Ansehen von größerer Männlichkeit und Ueberlegenheit verlieh, als er in Wirklichkeit besaß. Dazu kam noch Eifersucht auf die holländische Sophie, deren Liebe Wilhelm über Karoline's Härte getröstet hatte, welches Gefühl er nicht ohne kokette Sprödigkeit, vielleicht auch seinerseits aus Eifersucht auf den Vater des neugeborenen Kindes reizte. Man braucht nicht zu bezweifeln, daß sie in den »anmuthigen Freund«, der so jung, hübsch und unternehmend war, sich verliebt habe; der uneigennützige Friedrich behauptete »kolossalisch verliebt«. Die Hauptsache war, daß sie ohne Liebe nicht sein konnte, und daß der Rechte nicht zur Stelle war.

      Es sollte sich aber an ihr rächen, daß sie aus Furcht vor dem Alleinsein und vor dem Kampfe des Lebens eine Verbindung geschlossen hatte, in der man sein ganzes Selbst auf's Spiel setzt. Sie lebte nun in Gemeinschaft mit einem Manne, den sie trotz aller seiner Talente und geistigen Vorzüge übersah, nicht daß sie klüger oder edler oder verständiger gewesen wäre, sondern durch ihre allgemeine Wesensreife, die vorgerückter war als seine. Und als nach kurzer Zeit ein Mann in ihren Kreis trat, von dem auch wir zum ersten Mal das sichere Gefühl haben, daß er ihr nothwendig, ihr bestimmt war, Schelling, war sie gefesselt und fand sich durch eigene Unbesonnenheit und Schwäche in schreckliche äußere und innere Conflikte verstrickt. Bei alledem, wie erfreut man sich gerade dann an der unbezwinglichen Frische ihrer Natur, die kein Zweifel an sich selbst und der Wahrheit ihrer Empfindungen ankränkelte. An den um ihre Fähigkeit zur Treue sich sorgenden Freund schrieb sie:

      »Spotte nur nicht, Du Lieber, ich war doch zur Treue geboren, ich wäre treu gewesen mein Leben lang, wenn es die Götter gewollt hätten, und ungeachtet der Ahndung von Ungebundenheit, die immer in mir war, hat es mir die schmerzlichste Mühe gekostet, untreu zu werden, wenn man das so nennen will, denn innerlich bin ich es niemals gewesen. Dieses Bewußtsein aber von innerlicher Treue hat mich oft böse gemacht, hat mir erlaubt, mir wagend zu erlauben; ich kannte das ewige Gleichgewicht in meinem Herzen. Konnte mich etwas Andres vor dem Untergang in meinem gefahrvollen Leben bewahren, als dieses Höchste? Und wenn ich mir Verzweiflung bereitet hätte in der Verzweiflung der von mir Geliebten – ja, ich würde im Schmerz darüber verzweifeln, im Gewissen nicht, niemals könnt' ich wie Jakob ausrufen: Verlasse dich nicht auf dein Herz. Ich müßte mich verlassen auf mein Herz über Noth und Tod hinaus und hätte es mich in Noth und Tod geleitet.«

      Man fühlt, daß es keine Redensarten sind; das glaubt man. Sie war treu, weil sie sich selbst treu war und, was für Umwege sie auch einschlug, die rechte Richtung unerschütterlich im Sinne behielt. So bekommt man ein Vertrauen, daß wohl auch die Umwege nothwendig und zu irgend etwas nützlich und dienlich waren.

      Haben aber alle Worte Karoline lebendig machen können, so wie sie war? Wo ist ihr schalkhafter Muthwillen, das unfehlbare Schicklichkeitsgefühl, mit dem sie das Ernste, das keinen Scherz ertrug, ernsthaft behandelte, wo die schlichte Würde, mit der sie jede Verleumdung und jedes Vorurtheil der Uebelwollenden oder schlecht Unterrichteten entwaffnete, die kluge Bescheidenheit, mit der sie die Grenzen ihrer Natur erkannte? Nichts von Allem ist doch so wundervoll, wie die Unschuld ihres Selbstbewußtseins, das auf der zweifellosen Ueberzeugung


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