Die Romantik. Ricarda Huch
Читать онлайн книгу.gehorchen oder um mich zu zerstreuen, sondern um zu sein und zu werden; und ich glaube an die Macht des Willens und der Bildung, mich dem Unendlichen wieder zu nähern, mich aus den Fesseln der Mißbildung zu erlösen und mich von den Schranken des Geschlechts unabhängig zu machen.
Mit ebenso schneidender Rücksichtslosigkeit fällt Friedrich das Urtheil über die Ehe:
»Fast alle Ehen sind nur Conkubinate, Ehen an der linken Hand, oder vielmehr provisorische Versuche und entfernte Annäherungen zu einer wirklichen Ehe, deren eigentliches Wesen, nicht nach den Paradoxen dieses oder jenes Systems, sondern nach allen geistlichen und weltlichen Rechten, darin besteht, daß mehrere Personen nur eine werden sollen. Wenn aber der Staat gar die mißglückten Eheversuche mit Gewalt zusammenhalten will, so hindert er dadurch die Möglichkeit der Ehe selbst, die durch neue, vielleicht glücklichere Versuche befördert werden könnte.«
Als noch viel moderner berührt uns aber die Bemerkung, die eine mehr nützliche als erfreuliche Wahrheit genannt wird, daß sogar die beste Ehe, ja die Mütterlichkeit selbst, welches beides doch gewöhnlich als das einzige Ziel der Frau betrachtet zu werden pflegt, nur allzu leicht die Frau herabziehen könne, sodaß sie, mit den Bedürfnissen der Erde verstrickt, ihres göttlichen Ursprungs und Ebenbilds nicht mehr eingedenk bleibe. Woraus freilich keineswegs der Schluß gezogen wird, daß die Frau sich der Liebe, Ehe und Mutterschaft entziehen solle.
Von der modernen Lehre vom Uebermenschen findet sich ein Vorklang in den Worten: »Es ist der Menschheit eigen, daß sie sich über die Menschheit erheben muß.« Ja, sogar die beinah tollkühn erscheinende Behauptung, die in neuester Zeit aufgetaucht ist, nicht die Kunst richte sich nach der Natur, sondern umgekehrt, wird in einigen flüchtigen Worten berührt, wo es heißt, daß der menschliche Geist der umgebenden Welt seine Gesetze vorschreibe und sie nach sich schaffe und modle.
Auf Richard Wagner und die jetzige Programm- und Gedanken-Musik scheint folgendes Fragment prophetisch hinzuweisen:
»Es pflegt Manchem seltsam und lächerlich aufzufallen, wenn die Musiker von den Gedanken in ihren Compositionen reden; und oft mag es auch so geschehen, daß man wahrnimmt, sie haben mehr Gedanken in der Musik als über dieselbe. Wer aber Sinn für die wunderbaren Affinitäten aller Künste und Wissenschaften hat, wird die Sache wenigstens nicht aus dem platten Gesichtspunkt der sogenannten Natürlichkeit betrachten, nach welcher die Musik nur die Sprache der Empfindung sein soll, und eine gewisse Tendenz aller reinen Instrumentalmusik zur Philosophie an sich nicht unmöglich finden. Muß die reine Instrumentalmusik sich nicht selbst einen Text erschaffen? und wird das Thema in ihr nicht so entwickelt, bestätigt, variirt und contrastirt, wie der Gegenstand der Meditation in einer philosophischen Ideenreihe?«
Was für ein idealistisches Zeitalter, in welchem eine Zeitschrift Leser fand, die keinen, aber auch gar keinen bloßen Unterhaltungsreiz bot; die mehr studirt als gelesen sein wollte. Lange freilich konnte das Athenäum sich nicht halten. Es erschien in den Jahren 1798 – 1800. Im bewußten Gegensatze zur großen Menge war es auf den Kampfplatz getreten; es war deshalb nicht zu verwundern, daß »das platte Volk von Hamburg bis nach Schwaben« einen Schrei der Entrüstung aus dem verwundeten Herzen erschallen ließ. Aber auch die Theilnahme der Gebildeten war geringer, als man erwartet hatte. Man klagte über die Unverständlichkeit namentlich von Friedrich's Fragmenten, was nicht unverzeihlich ist, wenn man z. B. liest: »Karrikatur ist eine passive Verbindung des Naiven und Grotesken. Der Dichter kann sie ebensowohl tragisch als komisch gebrauchen.« Oder: »Urbanität ist der Witz der harmonischen Universalität, und diese ist das Eins und Alles der historischen Philosophie und Plato's höchste Musik. Die Humaniora sind die Gymnastik dieser Kunst und Wissenschaft.«
Man muß gestehen, daß die Bequemlichkeit des durchschnittlich Gebildeten sich in der Regel von einem solchen Ideen-Igel zurückziehen wird, an dem sein Geist sich so ritzen kann, bis er sich ihm offenbart hat. Eine Art von Geheimsprache – ein gewisser Mystizismus des Ausdrucks, wie Friedrich sagt – bildet sich leicht aus, wenn mehrere Menschen sich oft über dieselben Gegenstände ihres gemeinsamen Interesses unterreden; und aus Unterhaltungen Befreundeter ist ja im Grunde das Athenäum entstanden.
In einer wundervollen kleinen Selbstvertheidigung, wo Laune und Ernst sich reizvoll mischen, beantwortete Friedrich die Vorwürfe und Klagen über seine Unverständlichkeit. An seinen Bruder schrieb er, ob es nicht gut sein würde, künftig mit jedem Heft ein Stück Honigkuchen gratis auszutheilen. Er war umsomehr entrüstet, als er sich ehrlich und leidenschaftlich bestrebte, populär zu sein, ja sogar das Wort Popularität häufig mit Wohlgefallen im Munde führte, er der in der Unkunde seines kindlichen Fürsichlebens der beschäftigten Welt seine weltferne Persönlichkeit, den »Frédéric tout pur« so ohne Weiteres zumuthete!
Wie dem auch sei, an der Unverständlichkeit ging das Athenäum zu Grunde. Der schmetternde Jubelton, den die Herolde der kommenden goldnen Zeit in die Welt geblasen hatten, verklang im Gewühl, das sie nicht achteten. Denn das ist das Schönste an diesem Buche und das Künstlerische: die Stimmung, die die einzelnen Theile kraftvoll zusammenfaßt, eine freudige Stimmung von Menschen, die wissen, daß sie das Rechte wollen und glauben, daß das Rechte siegen muß, weil fortschreitende Entwickelung das Gesetz der Welt ist. Die blitzenden Augen auf die Zukunft gerichtet, auf die Spitze des Berges, übersahen die Anstürmenden, was im Wege hinderte und drohte. »Im 19. Jahrhundert wird jeder die Fragmente mit viel Behagen und Vergnügen in der Verdauungsstunde genießen können und auch zu den härtesten, unverdaulichsten keinen Nußknacker bedürfen«, sagt Friedrich, wo er sein Herz ausschüttet über die Unverständlichkeit, die man ihm vorgeworfen hat. »Die neue Zeit kündigt sich an als eine schnellfüßige, fohlenbeflügelte; die Morgenröthe hat Siebenmeilenstiefel angezogen. Lange hat es gewetterleuchtet am Horizont der Poesie, in eine mächtige Wolke war alle Gewitterkraft des Himmels zusammengedrängt, jetzt donnerte sie mächtig, jetzt schien sie sich zu verziehen und blitzte nur aus der Ferne, um bald desto schrecklicher wiederzukehren: bald aber wird nicht mehr von einem einzelnen Gewitter die Rede sein, sondern es wird der ganze Himmel in einer Flamme brennen, und dann werden euch alle eure kleinen Blitzableiter nichts mehr helfen. Dann nimmt das 19. Jahrhundert in der That seinen Anfang, und dann wird auch jenes kleine Räthsel der Unverständlichkeit des Athenäums gelöst sein.«
Das Jahrhundert, an welches diese Appellation gerichtet wurde, ist bald vorüber und überliefert sie einem neuen Richter; denn es hat sich im Laufe seines Wachsthums von denen, die seine Geburtshelfer und Taufpathen waren, undankbar und verkennend abgewandt und ist ihnen die Entscheidung schuldig geblieben.
Novalis.
Du schienest, losgerissen von der Erde.
Mit leichten Geistertritten schon zu wandeln,
Und ohne Tod der Sterblichkeit genesen.
Wilhelm Schlegel an Novalis.
Von ihm müsse man sagen, er sei ein Genie, nicht er habe Genie, schrieb sein Freund, der Kreisamtmann Just; weil er nicht etwa eine besondere Befähigung zu irgend einer Kunst, Wissenschaft oder Hantirung gehabt habe, sondern ein Gleichgewicht aller Kräfte, so daß er in allem, was er auch ergriffen haben möchte, sich ausgezeichnet haben würde.
Er war Dichter nur insofern er Mensch war, ein solcher Künstler, wie die Romantiker meinten, daß jeder Mensch sein könne oder doch solle. Es lag ihm auch durchaus fern, als Dichter auftreten zu wollen, ja von seinen Freunden wünschte er ausdrücklich in erster Linie als Mensch betrachtet und behandelt zu werden. »Die Schriftstellerei« schrieb er an Just »ist eine Nebensache. Sie beurtheilen mich mehr billig nach der Hauptsache – dem praktischen Leben. Wenn ich gut, nützlich, thätig, liebevoll und treu bin: so lassen Sie mir einen unnützen, unguten, harten Satz passiren … Ich behandele meine Schriftstellerei nur als Bildungsmittel. Ich lerne Etwas mit Sorgfalt durchdenken und bearbeiten – das ist Alles, was ich davon verlange. Kommt der Beifall eines klugen Freundes noch obendrein, so ist meine Erinnerung übertroffen. Nach meiner Meinung muß man zur vollendeten Bildung manche Stufe übersteigen; Hofmeister, Professor, Handwerker sollte man eine Zeit lang werden