Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur Schopenhauer
Читать онлайн книгу.und ein Denkmal Deutscher Niaiserie bleiben wird. Vergeblich schrieb unterdessen Jean Paul seinen schönen Paragraphen »Höhere Würdigung des philosophischen Tollseyns auf dem Katheder und des dichterischen auf dem Theater« (ästhetische Nachschule); denn vergeblich hatte schon Goethe gesagt:
»So schwätzt und lehrt man ungestört,
Wer mag sich mit den Narr'n befassen?
Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört,
Es müsse sich dabei doch auch was denken lassen.«
Doch kehren wir zu Kant zurück. Man kann nicht umhin einzugestehn, daß ihm die antike, grandiose Einfalt, daß ihm Naivetät, ingénuité, candeur, gänzlich abgeht. Seine Philosophie hat keine Analogie mit der Griechischen Baukunst, welche große, einfache, dem Blick sich auf ein Mal offenbarende Verhältnisse darbietet: vielmehr erinnert sie sehr stark an die Gothische Bauart. Denn eine ganz individuelle Eigenthümlichkeit des Geistes Kants ist ein sonderbares Wohlgefallen an der Symmetrie, welche die bunte Vielheit liebt, um sie zu ordnen und die Ordnung in Unterordnungen zu wiederholen, und so immerfort, gerade wie an den Gothischen Kirchen. Ja er treibt dies bisweilen bis zur Spielerei, wobei er, jener Neigung zu Liebe, so weit geht, der Wahrheit offenbare Gewalt anzuthun und mit ihr zu verfahren, wie mit der Natur die altfränkischen Gärtner, deren Werk symmetrische Alleen, Quadrate und Triangel, pyramidalische und kugelförmige Bäume und zu regelmäßigen Kurven gewundene Hecken sind. Ich will dies mit Thatsachen belegen.
Nachdem er Raum und Zeit isolirt abgehandelt, dann diese ganze, Raum und Zeit füllende Welt der Anschauung, in der wir leben und sind, abgefertigt hat mit den nichtssagenden Worten »der empirische Inhalt der Anschauung wird uns gegeben«, – gelangt er sofort, mit einem Sprunge, zur logischen Grundlage seiner ganzen Philosophie, zur Tafel der Urtheile. Aus dieser deducirt er ein richtiges Dutzend Kategorien, symmetrisch unter vier Titeln abgesteckt, welche späterhin das furchtbare Bett des Prokrustes werden, in welches er alle Dinge der Welt und Alles was im Menschen vorgeht gewaltsam hineinzwängt, keine Gewaltthätigkeit scheuend und kein Sophisma verschmähend, um nur die Symmetrie jener Tafel überall wiederholen zu können. Das Erste, was aus ihr symmetrisch abgeleitet wird, ist die reine physiologische Tafel allgemeiner Grundsätze der Naturwissenschaft: nämlich Axiome der Anschauung, Anticipationen der Wahrnehmung, Analogien der Erfahrung und Postulate des empirischen Denkens überhaupt. Von diesen Grundsätzen sind die beiden ersten einfach; die beiden letztem aber treiben symmetrisch jeder drei Sprößlinge. Die bloßen Kategorien waren was er Begriffe nennt; diese Grundsätze der Naturwissenschaft sind aber Urtheile. Zufolge seines obersten Leitfadens zu aller Weisheit, nämlich der Symmetrie, ist jetzt an den Schlüssen die Reihe sich fruchtbar zu erweisen, und zwar thun sie dies wieder symmetrisch und taktmäßig. Denn, wie durch Anwendung der Kategorien auf die Sinnlichkeit, für den Verstand die Erfahrung, sammt ihren Grundsätzen a priori, erwuchs; eben so entstehn durch Anwendung der Schlüsse auf die Kategorien, welches Geschäft die Vernunft, nach ihrem angeblichen Princip das Unbedingte zu suchen, verrichtet, die Ideen der Vernunft. Dieses geht nun so vor sich: die drei Kategorien der Relation geben drei allein mögliche Arten von Obersätzen zu Schlüssen, welche letztere demgemäß ebenfalls in drei Arten zerfallen, jede von welchen als ein Ei anzusehn ist, aus dem die Vernunft eine Idee brütet: nämlich aus der kategorischen Schlußart die Idee der Seele, aus der hypothetischen die Idee der Welt, und aus der disjunktiven die Idee von Gott. In der mittelsten, der Idee der Welt, wiederholt sich nun noch ein Mal die Symmetrie der Kategorientafel, indem ihre vier Titel vier Thesen hervorbringen, von denen jede ihre Antithese zum symmetrischen Pendant hat.
Wir zollen zwar der wirklich höchst scharfsinnigen Kombination, welche dies zierliche Gebäude hervorrief, unsere Bewunderung; werden aber weiterhin dasselbe in seinem Fundament und in seinen Theilen gründlich untersuchen, – Doch müssen folgende Betrachtungen vorangeschickt werden.
Es ist zum Erstaunen, wie Kant, ohne sich weiter zu besinnen, seinen Weg verfolgt, seiner Symmetrie nachgehend, nach ihr Alles ordnend, ohne jemals einen der so behandelten Gegenstände für sich in Betracht zu nehmen. Ich will mich näher erklären. Nach dem er die intuitive Erkenntniß bloß in der Mathematik in Betrachtung nimmt, vernachlässigt er die übrige anschauliche Erkenntniß, in der die Welt vor uns liegt, gänzlich, und hält sich allein an das abstrakte Denken, welches doch alle Bedeutung und Wert erst von der anschaulichen Welt empfängt, die unendlich bedeutsamer, allgemeiner, gehaltreicher ist, als der abstrakte Theil unserer Erkenntniß. Ja, er hat, und dies ist ein Hauptpunkt, nirgends die anschauliche und abstrakte Erkenntniß deutlich unterschieden, und eben dadurch, wie wir hernach sehn werden, sich in unauflösliche Widersprüche mit sich selbst verwickelt. – Nachdem er die ganze Sinnenwelt abgefertigt hat mit dem Nichtssagenden »sie ist gegeben«, macht er nun, wie gesagt, die logische Tafel der Urtheile zum Grundstein seines Gebäudes. Aber hier besinnt er sich auch nicht einen Augenblick über Das, was jetzt eigentlich vor ihm liegt. Diese Formen der Urtheile sind ja Worte und Wortverbindungen. Es sollte doch zuerst gefragt werden, was diese unmittelbar bezeichnen: es hätte sich gefunden, daß dies Begriffe sind. Die nächste Frage wäre dann gewesen nach dem Wesen der Begriffe. Aus ihrer Beantwortung hätte sich ergeben, welches Verhältniß diese zu den anschaulichen Vorstellungen, in denen die Welt dasteht, haben: da wäre Anschauung und Reflexion auseinandergetreten. Nicht bloß wie die reine und nur formale Anschauung a priori, sondern auch wie ihr Gehalt, die empirische Anschauung, ins Bewußtseyn kommt, hätte nun untersucht werden müssen. Dann aber hätte sich gezeigt, welchen Antheil hieran der Verstand hat, also auch überhaupt was der Verstand und was dagegen eigentlich die Vernunft sei, deren Kritik hier geschrieben wird. Es ist höchst auffallend, daß er dieses Letztere auch nicht ein einziges Mal ordentlich und genügend bestimmt; sondern er giebt nur gelegentlich und wie der jedesmalige Zusammenhang es fordert, unvollständige und unrichtige Erklärungen von ihr; ganz im Widerspruch mit der oben beigebrachten Regel des Cartesius104. Z.B. S. 11; v, 24, der »Kritik der reinen Vernunft« ist sie das Vermögen der Principien a priori; S. 299; v, 356, heißt es abermals, die Vernunft sei das Vermögen der Principien und sie wird dem Verstande entgegengesetzt, als welcher das Vermögen der Regeln sei! Nun sollte man denken, zwischen Principien und Regeln müsse ein himmelweiter Unterschied seyn, da er berechtigt, für jede derselben ein besonderes Erkenntnißvermögen anzunehmen. Allein dieser große Unterschied soll bloß darin liegen, daß was aus der reinen Anschauung, oder durch die Formen des Verstandes, a priori erkannt wird, eine Regel sei, und nur was aus bloßen Begriffen a priori hervorgeht, ein Princip. Auf diese willkürliche und unstatthafte Unterscheidung werden wir nachher bei der Dialektik zurückkommen. S. 330; v, 386, ist die Vernunft das Vermögen zu schließen: das bloße Urtheilen erklärt er öfter (S. 69, v, 94) für das Geschäft des Verstandes. Damit sagt er nun aber eigentlich: Urtheilen ist das Geschäft des Verstandes, so lange der Grund des Urtheils empirisch, transscendental, oder metalogisch ist (Abhandlung über den Satz vom Grund, § 31, 32, 33); ist er aber logisch, als worin der Schluß besteht, so agirt hier ein ganz besonderes, viel vorzüglicheres Erkenntnißvermögen, die Vernunft. Ja, was noch mehr ist, S. 303; v, 360 wird auseinandergesetzt, daß die unmittelbaren Folgerungen aus einem Satze noch Sache des Verstandes wären, und nur die, wo ein vermittelnder Begriff gebraucht wird, von der Vernunft verrichtet würden; und als Beispiel wird angeführt aus dem Satz: »Alle Menschen sind sterblich«, sei die Folgerung: »Einige Sterbliche sind Menschen« noch durch den bloßen Verstand gezogen; hingegen diese: »Alle Gelehrte sind sterblich« erfordere ein ganz anderes und viel vorzüglicheres Vermögen, die Vernunft. Wie war es möglich, daß ein großer Denker so etwas vorbringen konnte! S. 553; v, 581, ist mit einem Male die Vernunft die beharrliche Bedingung aller willkürlichen Handlungen. S. 614; v, 642, besteht sie darin, daß wir von unsern Behauptungen Rechenschaft geben können: S. 643, 644; v, 671, 672, darin, daß sie die Begriffe des Verstandes zu Ideen vereinigt, wie der Verstand das Mannigfaltige der Objekte zu Begriffen. S. 646; v, 674, ist sie nichts Anderes, als das Vermögen das Besondere aus dem Allgemeinen abzuleiten.
Der Verstand wird ebenfalls immer wieder von Neuem erklärt: an sieben Stellen der »Kritik der reinen Vernunft«, S. 51; v, 75,