Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern. Johannes Cassianus

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Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern - Johannes Cassianus


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zu ihm und sagte: „Wo eilst du hin, oder welche Ursache läßt dich deines Greisenernstes vergessen und regt dich so jugendlich auf, daß sie dich antreibt, so leichtbeweglich zu laufen?“ Als nun dieser bei der Anklage seines Gewissens und der Verwirrung durch den schändlichen Trieb glaubte, die Leidenschaft seiner Brust sei verrathen, und nun, da die Geheimnisse seines Herzens dem Greise offenbar seien, durchaus nicht wagte, dem Forschenden eine Antwort zu geben, sagte Apollo: „Kehre zurück in deine Zelle und lerne endlich, daß du bisher vom Teufel entweder nicht gekannt oder verachtet warst, und daß er dich nicht unter die Zahl Jener rechnete, von deren Fortschritten und Bestrebungen er täglich zu Kampf und Streit angereizt wird, da du nach einer solchen Reihe von Jahren, die du in diesem Berufe hingebracht hast, nicht einmal ein einziges Geschoß desselben ich will nicht sagen zurückwerfen, sondern nicht einen einzigen Tag ertragen konntest. Der Herr hat dich durch dasselbe deßhalb verwunden lassen, daß du wenigstens im Alter lernest, Mitleid zu haben mit fremder Schwäche, und durch dein eigenes Beispiel und Erfahrung belehrt werdest, dich herabzulassen zu der Gebrechlichkeit der Jüngeren. Du hast einen Jüngling, der an teuflischer Anfechtung litt, nicht nur mit keinem Troste gepflegt, sondern ihn auch in verderbliche Verzweiflung gestürzt und, so viel an dir lag, den Händen des Feindes überliefert, daß er ihn schrecklich verschlinge. Der hätte ihn wohl gewiß nicht mit dem heftigen Kampfe angegriffen, mit dem er dich bisher zu suchen verschmäht hat, wenn er nicht aus Neid über den künftigen Fortschritt desselben sich beeilt hätte, jene Tugend, die er in seinem Gemüthe vorhanden sah, im Keim zu ersticken und durch seine feurigen Geschoße zu zerstören. Ohne Zweifel erkannte er ihn als einen Stärkern, da er es der Mühe werth fand, ihn mit solcher Heftigkeit anzugreifen. Lerne jetzt an dir selbst, mit den Ringenden Mitleid zu haben und die Gefährdeten ja nicht mit verderblicher Verzweiflung zu schrecken oder mit harten Worten rauh zu behandeln, sondern sie vielmehr mit sanfter und zarter Tröstung zu erquicken, und nach der Vorschrift des so weisen Salomo 73 unterlaß nicht, zu retten, die zum Tode geführt werden, und zu befreien, die zum Untergange bestimmt sind. Lerne aus dem Beispiele unsers Erlösers, das geknickte Rohr nicht zu brechen und den glimmenden Docht nicht auszulöschen 74 und jene Gnade vom Herrn zu erbitten, mit welcher du selbst vertrauensvoll in That und Wahrheit singen kannst: 75 „Der Herr gab mir eine kundige Zunge, damit ich durch mein Wort zu stärken wisse den, der gefallen ist.“ Denn Keiner könnte die Nachstellungen des bösen Feindes aushalten oder die fleischliche Leidenschaft, deren Feuer gewissermaßen von Natur aus aufflammt, auslöschen oder unterdrücken, wenn nicht die Gnade Gottes unsere Gebrechlichkeit entweder unterstützen oder beschützen und festigen würde. — Da nun der Grund dieser heilsamen Anordnung beseitigt ist, durch welche der Herr entweder jenen Jüngling von seiner gefährlichen Glut befreien oder dich über die Heftigkeit der Anfechtung und das Gefühl des Mitleids belehren wollte, so wollen wir ihn in gemeinschaftlichem Gebete anflehen, daß er die Entfernung dieser Geißel, die er des Nutzens wegen dir zu senden sich würdigte, befehlen möge. (Denn er macht Schmerz und heilt wieder: er schlägt und seine Hände heilen; er erniedrigt und erhöht, er tödtet und macht lebendig, führt zur Unterwelt und wieder zurück.) 76 So möge er denn die feurigen Geschoße, die er, wie ich meine, Dir einbohren ließ, durch den Thau seines Geistes wieder auslöschen.“ Obgleich nun der Herr diese Versuchung ebenso schnell, als er sie erregt werden ließ, auf ein einziges Gebet des Greises wieder hinwegnahm, so hatte er doch durch eine klare Probe gelehrt, daß man nicht nur Keinem die eröffneten Fehler vorwerfen dürfe, sondern daß auch der Schmerz des Ringenden nicht einmal leicht verachtet werden solle. Deßhalb darf uns auch von dieser heilsamen oben genannten Bahn und Lehre der Vorfahren durchaus nicht abschrecken oder entfernen die Ungeschicklichkeit oder Leichtsinnigkeit des Einen oder Weniger, deren Greisenhaar der schlaue Feind mißbraucht zur Täuschung der Jüngern; sondern es muß Alles ohne Hülle der Scham den Altvätern geoffenbart werden und von ihnen entweder die Heilmittel für die Wunden oder die Beispiele für den Wandel und das Leben vertrauensvoll geholt werden; darin werden wir immer die gleiche Hilfe und den ähnlichen Erfolg erfahren, wenn wir durchaus Nichts nach eigener Beurtheilung und Annahme zu erstreben suchen.

       14. Über die Berufung Samuels.

      Endlich bewährt sich diese Lehre so sehr als Gott wohlgefällig, daß wir ebendieselbe Anweisung fleissig in den heiligen Schriften eingereiht finden, so daß der Herr den Knaben Samuel, den er nach seinem Rathschluß vor Andern auserwählt hatte, nicht durch sich selbst in der Schule göttlicher Unterredung lehren wollte, sondern ihn wieder und wieder zu einem Greise eilen ließ. So wollte er also, daß Derjenige, den er zu seiner Ansprache rief, selbst durch die Lehre eines Solchen unterwiesen werde, der Gott beleidigt hatte, weil es doch ein Älterer war, und wollte lieber, daß Der, den er seiner Berufung für so würdig erachtet hatte, durch den Unterricht eines Älteren gebildet werde, damit nemlich so theils die Demuth dessen, der zum göttlichen Dienste berufen wurde, sich bewähre, theils den Jüngern das Bild dieser Unterwürfigkeit als Beispiel hingestellt werde.

       15. Von der Berufung des Apostels Paulus.

      Auch den Paulus, den er selbst gerufen und angeredet hat, will Christus, obwohl er ihm sogleich den Weg der Vollkommenheit erschließen konnte, lieber zu Ananias senden und läßt ihn von Diesem den Weg der Wahrheit lernen, indem er sagt: „Steh’ auf und geh’ in die Stadt, und dort wird man dir sagen, was du thun sollst.“ Er sendet also auch Diesen zu einem Älteren und bestimmt, daß er eher durch dessen Unterricht als den seinen belehrt werden solle; damit nemlich nicht das, was bei Paulus ganz in Ordnung geschehen wäre, den Späteren ein böses Beispiel zur Anmaßung biete, indem Jeder sich einreden würde, er müsse auf ähnliche Weise auch eher allein durch Gottes Lehre und Schule als durch die Anleitung der Ältern unterrichtet werden. Die volle Verwerflichkeit dieser Anmaßung lehrt auch der Apostel selbst nicht nur in seinen Briefen, sondern auch in That und Beispiel. Deßhalb allein versichert er nach Jerusalem gegangen zu sein, damit er das Evangelium, das er unter dem Beistande des heiligen Geistes und mit der Kraft der Wunder und Zeichen den Heiden verkündete, mit seinen Mitaposteln und Vorgängern in einer besondern und vertraulichen Prüfung vergleiche. „Und ich verglich“, sagt er, 77 „mit ihnen das Evangelium, das ich unter den Heiden predige, damit ich nicht etwa vergeblich laufe oder gelaufen wäre.“ Wer sollte also so anmaßend und blind sein, daß er es wagt, sich seinem eigenen Urtheil und seiner Entscheidung zu überlassen, während das Gefäß der Auserwählung bezeugt, daß er der Besprechung der Mitapostel bedurft habe? Dadurch wird aufs Klarste bewiesen, daß Gott Keinem den Weg der Vollkommenheit zeige, der im Besitze dessen, was ihn unterrichten kann, Dieß verachtet, nemlich Lehre und Anweisung der Väter, und so gering schätzt jenen Ausspruch, den man auf’s Sorgfältigste beobachten sollte: 78 „Frage deinen Vater, und er wird dir Kunde geben; deine Ahnen, und sie werden es dir sagen.“

       16. Daß die Klugheit anzustreben sei.

      Man muß also das Gut der Klugheit, die uns unversehrt bewahren kann vor jeder Übertreibung, mit allem Eifer durch die Tugend der Demuth zu erlangen suchen. Es ist nemlich ein altes Sprüchwort: ἀκρότητες ἰσότητες, d. i. Übertreibungen gleichen sich — denn zu demselben Ende kommt das Übermaß im Fasten wie die Gefräßigkeit, und in denselben Verlust bringt den Mönch die unmäßige Andauer der Nachtwachen wie die Lähmung des tiefsten Schlafes. Der durch Übertreibung der Enthaltsamkeit zu sehr Geschwächte muß nemlich nothwendig in jenen Zustand zurückversetzt werden, in welchem der zu Nachläßige durch seine Sorglosigkeit gehalten wird, so daß wir oft sahen, wie Solche, die durch Gefräßigkeit nicht verführt werden konnten, durch Übermaaß im Fasten zu Fall gebracht wurden und bei Gelegenheit ihrer Schwäche gerade in die Leidenschaft herabsanken, welche sie besiegt hatten. Auch die Nachtwachen und die unvernünftige Schlaflosigkeit stürzten Jene, welche der Schlaf nicht hatte besiegen können. Deßhalb muß man nach dem Apostel durch die Waffen der Gerechtigkeit an dem, was zur Rechten und zur Linken ist, vorbeigehen mit richtiger Mäßigung und zwischen beiden Übertreibungen mit Hilfe der leitenden Klugheit einhergehen, daß wir uns weder von dem überlieferten Pfade der Enthaltsamkeit abführen lassen noch durch schädliche Nachsicht in die Gier des Gaumens und des Bauches zurückfallen.

       17. Von dem unmäßigen Fasten und


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