Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern. Johannes Cassianus

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Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern - Johannes Cassianus


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zu erwartenden Besuches auf den Abend aufheben, um es, wenn unerwartet einer der Brüder kommt mit ihm gemeinsam zu nehmen, ohne der sonstigen Gewohnheit Etwas beizufügen. Bei dieser Ordnung wird uns der Besuch des Bruders, der uns sehr angenehm sein muß, durchaus nicht betrüben. So leisten wir also die Pflichten der Menschenfreundlichkeit auf eine Weise, die uns Nichts von der Strenge der Enthaltung nachgeben läßt. Wenn aber Niemand kommt, so nehmen wir das andere Brod, als nach dem gesetzlichen Maaße uns gebührend, ohne Bedenken auch sogleich. Bei dieser Kargheit kann der Magen Abends nicht beschwert werden, da ja um die neunte Stunde schon ein Brod vorausgenommen wurde; dagegen pflegt Dieß meist denen zu geschehen, die im Glauben, eine strengere Entsagung zu üben, die ganze Labung auf den Abend verschieben. Denn die kurz zuvor genommene Speise läßt nicht zu, daß man beim abendlichen und nächtlichen Gebete eine feine und leichte Fassungsgabe finde. Daher ist sehr zum Vortheil und Nutzen um die neunte Stunde eine Essenszeit erlaubt worden, und der Mönch, der sie hiezu benützt wird sowohl in den nächtlichen Vigilien leicht und frei erfunden werden als auch sehr fähig zu der abendlichen Gebetsfeier, da die Speise schon verdaut ist.

      So sättigte uns der gottselige Moses mit der Speise eines doppelten Unterrichtes: da er uns nicht nur die Gnade und Tugend der Klugheit im gegenwärtigen Lehr-vortrage, sondern auch in der vorausgegangenen Besprechung die Weise der Entsagung und die Bestimmung und den Endzweck dieses Berufes zeigte, so daß, was wir vorher nur in der Glut des Geistes und im Eifer für Gott gleichsam mit geschlossenen Augen verfolgt hatten, uns nun heller als das Licht durch ihn eröffnet war. Er brachte uns auch zur Einsicht, wie weit wir diese Zeit her von der Reinheit des Herzens und der Richtschnur der Klugheit abgewichen seien; da ja auch die Wissenschaft aller sichtbaren Künste dieser Welt ohne die Bestimmung eines Zweckes nicht bestehen und ohne Hinblick auf ein bestimmtes Ziel gar nicht erreicht werden kann.

      Dritte Unterredung

      

       welche die mit dem Abte Paphnutius ist, über die drei Entsagungen.

       1. Lob des Paphnutius.

      In jenem Reigen der Heiligen, die wie helle Sterne in der Nacht dieser Welt glänzten, sahen wir den hl. Paphnutius durch die Klarheit seines Wissens wie ein großes Licht leuchten. Er war nemlich ein Priester unserer Congregation, d. i. jener, die in der scythischen Wüste weilte, und hielt in dieser so bis in sein höchstes Alter aus, daß er nie aus der Zelle, die er in jüngern Jahren bezogen hatte, und die fünf Meilen 80 von der Kirche entfernt war, in die Nachbarschaft ging. So ließ er sich auch trotz der Altersschwäche nicht durch den weiten Weg beirren, am Sabbath 81 oder Sonntag in die Kirche zu kommen; ja es war ihm nicht einmal genug, leer von da zurückzukehren, sondern er lud ein Gefäß mit dem Wasser, das er die ganze Woche hindurch brauchte, auf seine Schultern und trug es zur Zelle. Obwohl er das neunzigste Jahr überschritten hatte, duldete er doch nie, daß es ihm von Jüngern gebracht wurde. Dieser nun hatte sich von Jugend auf der Einübung des Klosterlebens mit solchem Eifer hingegeben, daß er schon nach kurzer Zeit ebenso reich war an dem Kleinod der Unterwürfigkeit wie an Kenntniß aller Tugenden. Durch Übung der Demuth und des Gehorsams tödtete er nämlich allen Eigenwillen ab, — und nachdem er so alle Laster getilgt und alle Tugenden vollkommen erreicht hatte, welche die Einrichtung der Klöster oder die Lehre der ältesten Väter als Grund legte, eilte er im Drang nach höherm Fortschritt in die Einsamkeit der Wüste, um dem Herrn, dem er unter den Schaaren der Brüder weilend untrennbar anzuhangen dürstete, dort um so leichter sich zu einen, wo ihn kein menschlicher Umgang mehr abzog. Auch dort übertraf er wieder die Tugend der übrigen Einsiedler mit solchem Eifer, daß er im Verlangen und Suchen nach jener beständigen und göttlichen Beschauung den Anblick Aller mied, in die ödesten und unzugänglichen Stellen der Wüste eindrang und sich lange dort verbarg, so daß er von den Anachoreten selbst nur schwer und höchst selten getroffen wurde und man glaubte, er habe den Genuß und die Wonne eines täglichen Umganges mit den Engeln. So gaben sie ihm denn wegen seiner Einsamkeit auch den Beinamen Bubalus (Waldstier, Büffel).

       2. Von der Rede dieses Vaters und unserer Antwort.

      Da wir also wünschten, durch seine Belehrung unterrichtet zu werden, und uns manche Gedanken wie mit Stacheln beunruhigten, kamen wir zu seiner Zelle, als schon der Tag sich zum Abend neigte. Er schwieg zuerst ein wenig stille und begann dann unsern Vorsatz zu preisen, daß wir das Vaterland verlassen, so viele Provinzen aus Liebe zum Herrn durchzogen hätten und so sehr bestrebt seien die Armuth und Öde der Wildniß zu ertragen und die Strenge ihres Lebens nachzuahmen, welche kaum sie selbst aushalten könnten, die sie doch in dieser Dürftigkeit und Armseligkeit geboren und erzogen seien. Da antworteten wir, wir seien deßhalb zu ihm als dem Lehrer und Meister gekommen, damit wir einigermaßen durch die Unterweisung und Vollkommenheit eines so großen Mannes gefördert werden könnten, da wir durch unzählige Zeugnisse erfahren hätten, daß ihm Beides innewohne; nicht aber seien wir gekommen, um von ihm durch Lobsprüche betrübt zu werden, deren Grund in uns nicht vorhanden sei; oder um auch durch seine Reden entzündet zu werden zu jener Überhebung des Gemüthes, von der wir auch in unsern Zellen zuweilen auf Eingebung des Feindes gereizt würden. Deßhalb baten wir, er möge uns vielmehr das einflößen, wodurch wir zerknirscht und gedemüthigt würden, nicht aber, was uns veranlassen könnte, uns selbst zu schmeicheln oder übermüthig zu werden.

       3. Lehre des Abtes Paphnutius über die drei Arten der Berufungen und die drei Entsagungen.

      Dann sprach der gottselige Paphnutius: Es gibt drei Ordnungen der Berufungen, und wir müssen auch drei Entsagungen kennen, die dem Mönche in jeder dieser Ordnungen nöthig sind. Zuerst nun müssen wir die Ursache der besagten drei Stufen der Berufung genau untersuchen, und wenn wir erkannt haben, daß wir zum ersten Grade der Gottesverehrung erwählt sind, so müssen wir nach dessen Höhe auch unsern Wandel entsprechend einrichten. Denn es wird Nichts nützen, hoch angefangen zu haben, wenn wir nicht für ein zum Anfang passendes Ende sorgen. Wenn wir aber auch einsehen, daß wir für die letzte Reihe dem Weltleben entzogen worden sind, so laßt uns doch, je weniger vorzüglich der erste Zug zur Religion, auf den wir uns stützen, zu sein scheint, um so eifriger dafür sorgen, daß wir uns zu einem bessern Ende durch geistiges Feuer anfachen. — Auch eine zweite Ursache, nemlich die der dreifachen Entsagung, müssen wir auf alle Weise kennen lernen, weil wir die Vollkommenheit durchaus nicht werden erreichen können, wenn wir sie entweder nicht kennen oder nach der Erkenntniß sie nicht im Werke zu bethätigen suchen.

       4. Erklärung der drei Berufungen.

      Damit wir also diese drei Weisen der Berufung in besonderer Unterscheidung auseinandersetzen, so ist die erste von Gott, die zweite von Menschen, die dritte stammt aus der Nothwendigkeit. Aus Gott ist sie, so oft eine gewisse Inspiration (Eingebung) in unser Herz gesenkt wird, die uns zuweilen sogar aus dem Schlafe zu dem Verlangen des ewigen Lebens und Heiles erweckt und uns mit gar heilsamer Erschütterung ermahnt, Gott zu folgen und seinen Geboten anzuhängen. So lesen wir in den hl. Schriften, daß Abraham durch das Wort des Herrn von seinem Geburtslande, von den Banden der ganzen Verwandtschaft und dem Hause seines Vaters hinweggerufen worden sei, da der Herr sprach: 82 „Geh’ heraus aus deinem Lande und deiner ganzen Verwandtschaft und dem Hause deines Vaters!“ Auf diese Weise ist, wie wir wissen, auch der heilige Antonius gerufen worden, der den Anlaß zu seiner Bekehrung von Gott allein erhielt. Er kam nemlich in eine Kirche und hörte dort das Wort des Herrn im Evangelium: 83 „Wer nicht haßt Vater und Mutter, Kinder und Gattin, seine Felder und noch dazu sein Leben, der kann mein Jünger nicht sein;“ und: 84 „Wenn du vollkommen sein willst, geh’ und verkaufe, was du hast, und gib es den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben, und dann komm und folge mir nach!“ Dieß Gebot des Herrn nahm er als eigens an ihn gerichtet mit der größten Erschütterung des Herzens auf, und sogleich Allem entsagend folgte er Christo, durch keine menschliche Ermahnung oder Lehre aufgefordert. — Die zweite Weise der Berufung ist die, von der wir sagten, daß sie durch Menschen geschehe, wenn wir durch das Beispiel oder die Ermahnungen der Heiligen angetrieben


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