Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern. Johannes Cassianus

Читать онлайн книгу.

Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern - Johannes Cassianus


Скачать книгу
Erfrischung zwei oder drei Tage aufgeschoben hatte, nicht einmal eine Erinnerung an jenes Essen den Geist mahnte; und wieder hatte ich auf Anfechtung des Teufels hin den Schlaf so sehr meinen Augen entzogen, daß ich dann mehrere Nächte und Tage Gott bitten mußte, er möge nur ein wenig Schlaf auf meine Lider gießen. Und schwerer fühlte ich mich nun gefährdet durch die Abneigung gegen Schlaf und Speise, als durch den Kampf gegen Schläfrigkeit und Eßlust. Wie wir also frühzeitig dafür sorgen müssen, daß wir nicht durch Verlangen nach leiblicher Lust in gefährliche Erschlaffung fallen und uns ja nicht herausnehmen, vor der festgesetzten Zeit uns Speise zu erlauben oder ihr Maaß zu überschreiten: so muß man doch die Erfrischung durch Speise und Schlaf zur erlaubten Zeit annehmen, selbst wenn man Abneigung dagegen hat. Denn beide Kämpfe entstehen durch das Treiben unseres Feindes, und größere Verheerung richtet die ungeordnete Enthaltsamkeit an als die zu nachsichtige Sättigung. Von dieser nemlich kann man mittelst einer heilsamen Zerknirschung zum Maaße der Strenge sich erbeben, von jener nicht.

       18. Frage über das Maaß der Enthaltung oder der Erfrischung.

      Germanus: Welches ist also das Maaß der Enthaltsamkeit, welches wir in gleicher Eintheilung festhalten müssen, um unverletzt zwischen beiden Übertreibungen durchkommen zu können?

       19. Von dem richtigsten Maaße der täglichen Speise.

      Moyses: Ich weiß, daß über diesen Punkt von unsern Vorfahren oft verhandelt worden ist; denn sie besprachen die Entsagungen Verschiedener, die ihr Leben beständig entweder nur mit Hülsenfrüchten oder Gemüsen oder Äpfeln fristeten, gaben aber den Vorzug vor all Dem der Nahrung mit Brod allein, als dessen passendstes Maaß sie zwei Zwiebacke bestimmten, welche kleinen Brode ganz gewiß kaum das Gewicht eines Pfundes haben. 79

       20. Einwurf über die Leichtigkeit der Entsagung, die mit zwei Broden eingehalten wird.

      Germanus: Das nahmen wir gerne an und antworteten, daß uns dieses Maaß durchaus für keine Entsagung gelte, da wir es keinenfalls ganz verzehren könnten.

       21. Antwort, wie das besagte Gesetz der Enthaltung beobachtet werden müsse.

      Moyses: Wenn ihr die Kraft dieser Anordnung erproben wollt, so haltet dieß Maaß beständig ein, und nehmet ausserdem keine gekochte Zuspeise am Sonntag oder Samstag oder unter dem Vorwande der Ankunft von Brüdern; denn hievon gestärkt vermag der Leib an den übrigen Tagen nicht nur mit einem geringern Maaße erhalten zu werden, sondern sogar die ganze Labung ohne Mühe aufzuschieben, weil er gekräftigt ist durch die Zugabe jener Speisen, die man ausserdem genommen hat. Wer aber stets mit der Quantität des besagten Maaßes sich begnügt, der wird das durchaus nicht zu thun vermögen und nicht die Labung mit dem Brode auf den kommenden Tag aufschieben können. Denn ich erinnere mich, daß unsere Vorfahren — wie es auch uns meines Wissens oft ergangen ist — mit solcher Mühe und Schwierigkeit diese karge Kost aushielten und unter so viel Anstrengung und Hunger das genannte Maaß wahrten, daß sie sich gewissermaßen ungern und nicht ohne Seufzen und Leid diese Grenze der Labung auflegten.

       22. Welches das allgemeine Maaß des Fastens und der Labung sei.

      Das allgemeine Maaß der Enthaltung ist jedoch Dieß, daß je nach der Fähigkeit der Kräfte oder des Körpers oder des Alters Jeder sich so viel Speise erlaubt, als die Erhaltung des Leibes, nicht aber das Verlangen nach Sättigung erfordert. Denn wer in seinem ungleichen Verhalten jetzt den Leib durch die Dürre des Fastens einschnürt, jetzt durch zu vieles Essen auftreibt, wird in beiden Fällen den größten Nachtheil dulden. Wie nemlich der Geist durch den Mangel der Speise erschöpft die Kraft zum Gebete verliert, da er durch die zu große Schwäche des Körpers gedrückt zum Schlafe gedrängt wird: so kann er wieder durch zu große Gefräßigkeit niedergehalten seine Gebete zu Gott nicht rein und leicht aussenden. Aber nicht einmal die Keuschheit kann er in ununterbrochener Beständigkeit rein bewahren, da ihm selbst an jenen Tagen, an welchen er das Fleisch mit größerer Enthaltsamkeit zu züchtigen scheint, doch der Stoff der frühern (überreichen) Speise das Feuer der fleischlichen Begierde entzündet, obwohl in der Gegenwart sein Körper schwach ist.

       23. Wie der Überfluß der Zeugungssäfte im Zaume gehalten werden solle.

      Was einmal durch den Überfluß der Speisen im Marke sich gebildet hat, das muß Drang haben und von dem Gesetze der Natur selbst fortgetrieben werden, da sie nicht duldet, daß Überfluß an irgend einem unnöthigen Saft, der ihr ja schädlich und entgegen ist, in ihr bleibe. Deßhalb müssen wir immer mit einer vernünftigen und gleichmäßigen Kargheit unsern Leib in Zucht halten, damit, wenn wir auch von dieser natürlichen Nothwendigkeit, solange wir im Fleische weilen, nicht ganz frei sein können, uns der ganze Jahreslauf doch seltener und nicht öfter als dreimal von diesem Ausflusse benetzt finde. Das soll aber ohne allen Reiz der ruhige Schlaf ausstoßen und nicht ein Trugbild als Zeichen heimlicher Lust hervorlocken. Deßhalb ist es diese besagte Mäßigung und Enthaltsamkeit, diese Beschaffenheit und Menge, wie sie auch durch das Urtheil der Väter gebilligt wird, — daß nemlich die tägliche Labung des Brodes auch der tägliche Hunger begleite, — sie ist es, welche in einem und demselben Zustande Leib und Seele bewahrt und den Geist weder durch die Erschöpfung des Fastens hinfällig noch durch Sättigung beschwert werden läßt. Denn man hört nach so einfachem Mahle auf, daß der Geist bisweilen nach der Abendzeit kaum merkt oder sich erinnert, daß er gegessen habe.

       24. Von der Beschwerde einer gleichmäßigen Labung und von der Gefräßigkeit des Bruders Benjamin.

      Das geschieht nun so wenig ohne Beschwerde, daß Diejenigen, welche die Vollkommenheit der Klugheit nicht kennen, lieber das Fasten bis zum zweiten Tage fortsetzen wollen und das, was sie heute genossen hätten, auf den morgigen Tag aufbewahren, um nur, wenn sie zum Essen kommen, die ersehnte Sättigung zu erlangen. Ihr wisset, daß das neulich euer Mitbürger Benjamin hartnäckig eingehalten bat, der, um nicht täglich mit zwei Broden in gleichmäßiger Kasteiung immer die nemliche Kargheit haben zu müssen, lieber das Fasten immer zwei Tage fortsetzen wollte, um nur, wenn er zum Essen käme, mit doppeltem Maaße die Gefräßigkeit des Leibes stillen zu können, d. h. durch den Genuß von vier Broden sich der gewünschten Sättigung zu erfreuen und die Anfüllung seines Magens gewissermaßen durch das zweitägige Fasten auszugleichen. So gehorchte er eigensinnig und hartnäckig mehr seinen eigenen Bestimmungen als der Lehre der Vorfahren, und ihr erinnert euch ohne Zweifel, mit welchem Ende er seinen Beruf beschlossen habe. Er verließ nemlich die Wüste, verwickelte sich wieder in die leere Weisheit dieser Welt und die Eitelkeit des Zeitlichen und mag so die obengenannte Lehre der Väter durch das Beispiel seines Falles besiegeln und durch seinen Untergang Alle lehren, daß Niemand auf seine Entscheidungen und sein eigenes Urtheil vertrauend die Höhe der Vollkommenheit irgend einmal ersteigen oder auch nur den verderblichen Täuschungen des Teufels entgehen könne.

       25. Frage, wie immer ein und dasselbe Maaß eingehalten werde.

      Germanus: Wie werdet ihr nun im Stande sein, dieß Maaß ununterbrochen zu bewahren? Denn zuweilen, wenn um die neunte Stunde, wo das Fasten schon beendet ist, Brüder ankommen, ist es nöthig, aus Rücksicht auf sie entweder dem festgesetzten und gewöhnlichen Maaße Etwas beizufügen oder sicher die Menschenfreundlichkeit, die wir Allen entgegenbringen sollen, ganz zu verläugnen.

       26. Antwort, daß man das Maaß der Labung nicht überschreiten solle.

      Moyses: Man muß Beides in gleicher Weise und Sorgfalt beachten. Denn wir müssen sowohl das Maaß der Speise wegen der Enthaltsamkeit und Reinheit mit aller Genauigkeit einhalten als auch die Menschenfreundlichkeit und Verehrung den ankommenden Brüdern der Liebe wegen gleichfalls leisten, weil es gar zu abgeschmackt ist, dem Bruder, ja Christo selbst, den Tisch anzubieten und nicht mit ihm gleichfalls Speise zu nehmen oder sich von seiner Mahlzeit abzusondern. Daher werden wir in keinem der beiden Punkte tadelnswerth erfunden werden, wenn wir diese Gewohnheit einhalten,


Скачать книгу