Der Dreißigjährige Krieg. Ricarda Huch

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Der Dreißigjährige Krieg - Ricarda Huch


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wo das Schick­sal ihn dar­an mahn­te, dass er ver­fal­len war. Es war ein Som­mer­abend in Un­garn, und ein brei­ter Wind hauch­te über das Schilf, das am Ufer der still strö­men­den Theiß wuchs, so­dass die schma­len Sil­ber­lei­ber sich dreh­ten und nach den Wei­sen zu tan­zen schie­nen, die um ein Feu­er la­gern­de Zi­geu­ner geig­ten. Er, Ruß­worm, saß mit ein paar Freun­den in sei­nem Zelt und trank und spiel­te, als ei­ni­ge Of­fi­zie­re nä­her­ka­men, un­ter de­nen ein Frem­der war, der durch die aus­ge­such­te Ele­ganz, Keck­heit und An­mut sei­ner Er­schei­nung auf­fiel. Ruß­worm er­kann­te so­gleich, dass es we­der ein Deut­scher noch ein Ita­lie­ner, noch ein Wal­lo­ne war; es muss­te ein Fran­zo­se sein, und ein selt­sa­mes Frös­teln über­lief ihn, in­dem er das dach­te. Un­ter­des­sen wa­ren die Of­fi­zie­re her­an­ge­tre­ten und stell­ten den Frem­den als den jun­gen Herrn Bas­som­pi­er­re vor, der im Ge­fol­ge des Prin­zen von Join­ville ge­kom­men sei, um un­ter Ruß­worms Füh­rung ge­gen die Tür­ken zu kämp­fen. In­dem er sich ver­neig­te, sag­te der schö­ne jun­ge Mann, Ruß­worm habe, so viel ihm be­kannt sei, sei­ne Lauf­bahn un­ter sei­nem Va­ter, dem al­ten Mar­schall Bas­som­pi­er­re be­gon­nen; umso eher wer­de er jetzt dem Soh­ne ge­stat­ten, das Hand­werk von ihm zu ler­nen. Ruß­worm gab eine nicht un­höf­li­che, aber kur­ze Ant­wort, wäh­rend sein Herz beb­te; es kam ihm vor, als sei die schein­ba­re Un­be­fan­gen­heit des Fran­zo­sen er­küns­telt und als spie­le ein spöt­ti­sches Lä­cheln um sei­nen freund­li­chen Mund. Er war­te­te einen Au­gen­blick ab, wo er mit Bas­som­pi­er­re al­lein war, um ihm zu sa­gen, er habe nichts ge­gen ihn und wer­de ihm nichts zu­lei­de tun; aber sein An­blick sei ihm zu­wi­der, und er sol­le ihn mei­den, so viel das mög­lich sei. Den­noch sah er ihn oft, nicht nur im Fel­de, son­dern auch in den Häu­sern des ka­tho­li­schen Adels in Prag, wo nie­mand so er­folg­reich wie der jun­ge Bas­som­pi­er­re den Da­men den Hof zu ma­chen wuss­te; und so­wie er ihn er­blick­te, hör­te Ruß­worm die sü­ßen Gei­gen­tö­ne wie­der, die die Zi­geu­ner an je­nem Abend an der Theiß ge­spielt hat­ten.

      Nie war Ruß­worm so wild und über­mü­tig, als wenn er Bas­som­pi­er­re in der Nähe wuss­te. Tol­le Fes­te fei­er­ten sie auf dem Schlos­se des Burg­gra­fen von Karl­stein, in des­sen jüngs­te Toch­ter er, Ruß­worm, eben da­mals ver­liebt war. In den Sä­len, wo man tanz­te, roch es nach Wachs, Schweiß und Blu­men; er hielt die Ge­lieb­te in den Ar­men und drück­te zum Ab­schied auf eine ih­rer Brüs­te, die aus dem sei­de­nen Mie­der quol­len, einen lan­gen Kuss, so­dass eine röt­li­che Stel­le sicht­bar blieb und das Mäd­chen auf­at­mend da­von­lief, um sich frisch zu pu­dern. Dann ritt er mit Bas­som­pi­er­re in die alte Stadt und er­zähl­te die­sem, er wis­se einen Gast­wirt mit zwei hüb­schen Töch­tern, die er ih­nen für ein paar Du­ka­ten ver­kup­peln wür­de. Der Wirt saß noch bei ei­nem Lämp­chen in der Gast­stu­be zwi­schen den Töch­tern, von de­nen die eine ihr ge­lös­tes Haar kämm­te, wäh­rend die an­de­re aus ei­nem al­ten Ka­len­der vor­las. Sie wur­den ein­ge­las­sen, und Ruß­worm setz­te sich so­fort zu der, die ihre Haa­re flocht und de­ren scheu­er Blick sei­ne Lei­den­schaft ent­zün­det hat­te. Er woll­te kei­ne Zeit ver­lie­ren, nann­te sie Lieb­chen und um­arm­te sie, und als der ent­rüs­te­te Va­ter ihn an­pack­te, droh­te er die­sem und be­haup­te­te, er habe schon Geld von ihm für sei­ne Kin­der an­ge­nom­men. Dass Bas­som­pi­er­re ihn warn­te und zu ver­mit­teln such­te, reiz­te ihn nur mehr: er hielt das jam­mern­de Mäd­chen in ei­nem Arme fest und wehr­te mit be­waff­ne­ter Hand den Va­ter ab; in­des­sen hat­te die an­de­re Toch­ter ein Fens­ter ge­öff­net und schrie um Hil­fe in die Nacht. Nun ka­men von ver­schie­de­nen Sei­ten die Nach­barn, mit Knüp­peln, Mes­sern und Äx­ten be­waff­net; er ver­such­te eine Wei­le, sich zu weh­ren, muss­te aber doch end­lich, am Arme ver­wun­det, das Mäd­chen los­las­sen und, von der er­bit­ter­ten Men­ge ver­folgt, durch die en­gen und stei­len Gas­sen flüch­ten.

      Der Schweiß trat ihm bei der Erin­ne­rung auf die Stir­ne. Da­mals hat­te es ihn nicht an­ge­foch­ten; nur ein paar Tage spä­ter ritt er nachts an der Spit­ze ei­nes Mas­ken­zu­ges, denn es war Fa­sching, durch die Stadt, er in der Tracht ei­nes rei­chen Tür­ken, mit ei­nem per­len­be­han­ge­nen Tur­ban und ei­ner schar­lach­ro­ten Schär­pe aus­staf­fiert. Am Tore der Alt­stadt wur­den sie durch Wäch­ter auf­ge­hal­ten, die die Ver­ord­nung hat­ten, bei Nacht nie­man­den, wer es auch sei, pas­sie­ren zu las­sen. Ruß­worm, nicht wil­lens zu ge­hor­chen, trotz­te und droh­te mit sei­nem Na­men und An­se­hen; der Lärm führ­te den Haupt­mann der Po­li­zei­wa­che her­bei, der, nach­dem Ruß­worm sich zu er­ken­nen ge­ge­ben hat­te, die Ge­sell­schaft vor­beiließ und zu­gleich die Wäch­ter ent­schul­dig­te, die als arme Leu­te nur er­hal­te­ne Be­feh­le aus­ge­führt hät­ten. Die­se De­mü­ti­gung ge­nüg­te nicht, sei­nen Zorn zu be­sänf­ti­gen; viel­mehr be­wirk­te er, dass die Wäch­ter in har­tes Ge­fäng­nis ge­wor­fen wur­den und wo­chen­lang dort schmach­te­ten. Die Frau­en der Män­ner war­fen sich ihm zu Fü­ßen und fleh­ten sein Er­bar­men an, ohne dass es ihn rühr­te; ih­ren Män­nern, sag­te er, ge­sch­ehe recht, der Über­mut müs­se ge­straft wer­den, in Zu­kunft wür­den sie sei­nen Na­men ken­nen. Erst als zwei von den Ge­fan­ge­nen vor Käl­te und Hun­ger ge­stor­ben wa­ren, ließ er die üb­ri­gen frei.

      Was hat­te ihn um­ge­trie­ben bei al­lem sei­nem Tun? Wo­hin war er ge­ra­ten? Sei­ne Bli­cke folg­ten den schwar­zen Wol­ken, die un­auf­halt­sam vor­über­feg­ten wie die Au­gen­bli­cke sei­nes grau­en­vol­len, be­sin­nungs­los ver­geu­de­ten Da­seins. Er hat­te das Wie­de­r­ein­tre­ten des Je­sui­ten­pa­ters über­hört und wen­de­te sich mit ei­nem Schrei des Schre­ckens um, als die­ser die Hand auf sei­nen Arm leg­te und ihn frag­te, ob er be­reit sei, das Abend­mahl zu emp­fan­gen.

      Ruß­worm schlug die Hän­de vor das Ge­sicht, stürz­te auf die Knie und rief aus: »Ich bin der sün­den­volls­te al­ler Sün­der, nicht wert, dein Ge­wand, mein Va­ter, zu be­rüh­ren! Wie soll­te ich den Leib des Herrn emp­fan­gen?« Der Geist­li­che leg­te die Hand auf Ruß­worms Schei­tel, sag­te, dass Reue auch ein Über­maß von Sün­de zu til­gen ver­mö­ge, und for­der­te ihn auf, zu beich­ten. Fast eine Stun­de ver­ging dar­über, wor­auf der Je­suit dem Bü­ßen­den das Cre­do vor­zu­spre­chen be­gann. Als er die Wor­te aus­sprach: »Et in­car­na­tus est«, er­beb­te Ruß­worm, wie wenn ein Po­sau­nen­stoß sie be­glei­tet hät­te. »Auch mei­ne See­le«, rief er aus, »war ein un­s­terb­li­cher Hauch Got­tes, aber das Fleisch, in das sie ein­ging, hat sie ver­schlun­gen. Die Edle ist eine Skla­vin ge­wor­den, ent­stellt und be­su­delt, und ließ das Fleisch als einen grau­sa­men He­ro­des über sich tri­um­phie­ren. Es ist zu viel, zu viel«, stöhn­te er, »mei­ne Schuld ist zu groß für Got­tes Gna­de.« Die Trä­nen stürz­ten hef­tig aus sei­nen Au­gen, in­dem er die Knie des Pa­ters um­schlang. »Got­tes Gna­de ist un­er­mess­lich«, sag­te die­ser sanft. »Dass der Au­gen­blick da wäre«, flüs­ter­te Ruß­worm, »wo ich dies Fleisch op­fern darf, das durch und durch vol­ler Sün­de ist! Aber ist das Buße, dass ein Schwert mei­nen Na­cken durch­schnei­det? Ich möch­te, dass je­des mei­ner Glie­der ein­zeln zu Tode ge­mar­tert wer­den könn­te. Lang­sam soll­te das Feu­er mich ver­zeh­ren; viel­leicht lie­ße Gott zu, dass, wäh­rend mein Fleisch in Qua­len schmöl­ze, mei­ne See­le ver­jüngt und ge­rei­nigt wür­de.«

      Der Pa­ter such­te den lei­den­schaft­lich Schluch­zen­den zu be­ru­hi­gen. »Er­gib dei­nen Wil­len in Gott«, sag­te er zu ihm, »auch dar­in, dass du nicht mehr op­fern willst, als er von dir ver­langt. Brin­ge dich ihm wil­lig dar,


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