Der Dreißigjährige Krieg. Ricarda Huch

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Der Dreißigjährige Krieg - Ricarda Huch


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und des­halb von dem Je­sui­ten, der ne­ben ihm ge­gan­gen sei, eine Maul­schel­le emp­fan­gen, was die an­de­ren be­glei­ten­den Pfaf­fen ge­ta­delt hät­ten, so­dass es un­ter die­sen fast zu ei­ner Schlä­ge­rei ge­kom­men wäre; der an­de­re wäre, sei­ner Mei­nung nach, vor Angst ge­stor­ben, als ihm die Sch­lin­ge um den Hals ge­legt wor­den wäre; denn er hät­te nicht das we­nigs­te ge­zap­pelt. »Die ha­ben es hin­ter sich«, sag­te Bla­hel, »wenn es mit uns nur auch schon vor­über wäre.« Am fol­gen­den Tage wur­de er we­gen der ent­deck­ten Zwi­schen­trä­ge­rei mit Ruß­worm ver­haf­tet, und die­ser hör­te nun nichts mehr von drau­ßen.

      Da­ran, dass er zum Tode ver­ur­teilt wer­den wür­de, zwei­fel­te er nicht mehr; aber dass das Ur­teil aus­ge­führt wür­de, das glaub­te er doch nicht, im letz­ten Au­gen­blick wür­de die Gna­de des Kai­sers da­zwi­schen­tre­ten.

      Es war ein dunk­ler No­vem­ber­tag, als ihm an­ge­kün­digt wur­de, dass er sein Ge­fäng­nis ver­las­sen müs­se, um nach dem Rat­hau­se über­ge­führt zu wer­den: ein wei­te­res Zei­chen des na­hen En­des. Die lan­ge Haft hat­te ihn so schwach ge­macht, dass er ohne Hil­fe die stei­le Trep­pe nicht hin­un­ter­stei­gen konn­te. Das Zim­mer, das ihm an­ge­wie­sen wur­de, war grö­ßer und luf­ti­ger als das vo­ri­ge, die Tür war von Sol­da­ten be­wacht, die blo­ße Schwer­ter in der Hand und Ge­weh­re über der Schul­ter hän­gen hat­ten. Im Lau­fe des Ta­ges wur­de ihm das To­des­ur­teil zur Kennt­nis ge­bracht, und gleich­zei­tig kam der Je­suit, der ihn vor­be­rei­ten und sei­ne Beich­te emp­fan­gen soll­te. An­fäng­lich ge­bär­de­te sich Ruß­worm un­ge­stüm ent­rüs­tet als das Op­fer bos­haf­ter Rän­ke und ty­ran­ni­scher Will­kür; aber die ver­ständ­nis­vol­le Mil­de des Geist­li­chen mach­te ihn all­mäh­lich zu­gäng­li­cher. »Ich glau­be Euch«, so etwa sag­te die­ser, »dass rach­süch­ti­ge Fein­de die Ur­sa­che Eu­res To­des sind, auch mag es sein, dass je­ner Bel­gio­jo­so nicht von Eu­rer Hand ge­fal­len ist oder dass er Euch nach dem Le­ben stell­te; aber an­statt an Eure Fein­de und ihr Un­recht zu den­ken, ver­gleicht Euch mit je­nem Mer­coeur, der, ein ta­del­lo­ser Held, durch den Wil­len Got­tes un­ter Ket­zern ster­ben muss­te, oder ver­gleicht Euch mit dem Herrn Chris­tus, un­se­rem Hei­land, der zwi­schen Mis­se­tä­tern am Kreu­ze hing. Scheint es Euch dann noch, als ob Ihr schuld­los lit­tet? Ist kein Fle­cken auf Eu­rem Ge­wis­sen, den mit Eu­rem Blu­te til­gen zu dür­fen Euch lieb sein soll­te?«

      Ruß­worm wur­de hier­auf schweig­sam und nach­denk­lich. Da der Pa­ter ihn nach ei­ner Wei­le frag­te, ob er das hei­li­ge Abend­mahl zu neh­men wün­sche, bat er, zu­nächst eine Wei­le al­lein blei­ben zu dür­fen; er füh­le das Be­dürf­nis, in sein In­ne­res ein­zu­keh­ren und sich mit Gott zu ver­söh­nen, be­vor er das Sa­kra­ment emp­fin­ge.

      Dun­kel zu­sam­men­ge­ballt wa­ren Ge­füh­le und Ge­dan­ken in der See­le des Feld­herrn em­por­ge­stie­gen; es grau­te und ge­lüs­te­te ihn zu­gleich, sie zu ent­wir­ren. Er trat an das Fens­ter und sah in die un­ru­hi­ge Spät­herbst­nacht hin­aus: wie eine Her­de hung­ri­ger Wöl­fe jag­te der Wol­ken­him­mel über die schau­dern­de Stadt hin. Vor der kal­ten, nas­sen Luft, die durch die Fu­gen drang, zog Ruß­worm un­will­kür­lich sei­nen Man­tel dich­ter über sich zu­sam­men. Es fiel ihm auf ein­mal die lang­ver­gan­ge­ne Zeit ein, wo er sich vor der Dun­kel­heit in die Arme der Mut­ter ge­flüch­tet hat­te. Wie hat­te ihn einst ihr Kuss be­se­ligt, mit dem sie zu­wei­len, wenn er fra­gend zu ihr auf­sah, ihm die Au­gen schloss! An sei­nem Bet­te hat­te sie das Luther­lied ge­sun­gen, und er er­in­ner­te sich plötz­lich deut­lich an das trot­zi­ge Blit­zen ih­rer schö­nen Au­gen, das sich für ihn mit dem Ge­sang ver­knüpf­te. Wie hat­te er spä­ter, als Ka­tho­lik, dies Lied so has­sen kön­nen, dass er, wenn er es in ei­ner Kir­che sin­gen hör­te, sich kaum zu­rück­hal­ten konn­te, mit sei­nen Sol­da­ten ein­zu­bre­chen und den Ket­zern mit dem Schwer­te das Maul zu stop­fen? Hat­te er sich über­haupt im­mer zu­rück­ge­hal­ten? Fast nie mehr hat­te er an sei­ne Kind­heit zu­rück­ge­dacht; der Tag sei­nes Re­li­gi­ons­wech­sels hat­te ihn von der Wur­zel sei­ner Ver­gan­gen­heit los­ge­ris­sen und den Stür­men des Schick­sals preis­ge­ge­ben. In die blen­den­de Zu­kunft stürz­te er sich, de­ren Gip­fel er in ei­nem An­lauf neh­men woll­te, einen Gip­fel des Ruh­mes, des Reich­tums, al­ler ir­di­schen Genüs­se. Wer ihm da­bei im Wege stand, den be­trach­te­te er als sei­nen Feind; nie­mals war es ihm in den Sinn ge­kom­men, das Recht der an­de­ren und ei­ge­nes Recht oder Un­recht ab­zu­wä­gen.

      Ein grau­es Schloss im El­saß stieg vor ihm auf, des­sen un­heil­vol­le Schwel­le sei­ne Erin­ne­rung nie wie­der be­tre­ten hat­te; nun tat er es un­wil­lig, mit der Hand den Griff des Fens­ter­kreu­zes um­klam­mernd. Im Auf­tra­ge sei­nes da­ma­li­gen Vor­ge­setz­ten, des Mar­schalls Bas­som­pi­er­re, hat­te er es be­setzt und zu­gleich den Schutz ei­ner vor­neh­men Dame und ih­rer Toch­ter über­nom­men, die sich dort­hin ge­flüch­tet hat­ten. Die Mut­ter war schö­ner; aber das Mäd­chen, fast noch Kind, hat­te ihn wie einen Ge­sand­ten Got­tes an­ge­se­hen, des­sen Be­ruf es sei, das Böse auf Er­den zu be­kämp­fen, und ihr be­wun­dern­der, un­be­wusst sich hin­ge­ben­der Blick hat­te ihn hin­ge­ris­sen. Nach­dem er sie ver­führt hat­te, schi­en es ihm, als habe sie schuld an der är­ger­li­chen Sa­che, und die Em­pö­rung und Verzweif­lung der Mut­ter und das Fle­hen des Kin­des er­reg­ten eine so grau­sa­me Lust in ihm, dass er die Ge­schän­de­te in ei­ner wil­den Nacht sei­nen trun­ke­nen Ka­me­ra­den über­ließ. Er fühl­te kei­ne Reue, son­dern Wut und Hass, als er die ent­eh­ren­den Wor­te hö­ren muss­te, mit de­nen Mar­schall Bas­som­pi­er­re ihm sei­ne un­rit­ter­li­che Tat vor­warf. Vor schmach­vol­ler Stra­fe ret­te­te ihn die Flucht, und schon wähn­te er sich si­cher, als ein zu­fäl­li­ges Aben­teu­er ihn wie­der in die Hän­de des Mar­schalls führ­te, der un­ver­züg­lich das To­des­ur­teil an ihm voll­zie­hen woll­te.

      Da­mals war er ver­fal­len. Wa­rum büß­te er nicht wil­lig sei­ne ers­ten Ver­bre­chen? War es Gott, der ihm noch ein­mal die Frei­heit gab, da­mit er sich durch edle Ta­ten ent­sün­dig­te? Er je­doch hat­te die Frist be­nützt, um sich de­sto tiefer in die Höl­le zu ver­stri­cken. Jetzt schi­en es ihm, als habe er, wäh­rend er sich der zwei­ten glück­li­chen Flucht ge­rühmt und sie als Ge­währ be­trach­tet habe, dass er ge­feit vor Ge­fah­ren sei, zu­tiefst in der Brust das Be­wusst­sein ge­tra­gen, dass er ein ent­ron­ne­ner Ver­bre­cher sei. Er sah sich, wie er den Sol­da­ten, den Ka­me­ra­den, den Vor­ge­setz­ten er­schi­en: stolz, ge­fürch­tet, be­wun­dert, ge­hasst; wie ihm nichts ge­nüg­te und eine sinn­lo­se Un­ge­duld ihn vor­wärts trieb. Die Sie­ge, die ein an­de­rer er­rang, freu­ten ihn nicht, die Ehren, die an­de­ren zu­teil wur­den, schmerz­ten ihn schlim­mer als Wun­den. Er­mor­det hat­te er we­der Schwar­zen­berg noch Mer­coeur, noch Solms; aber hät­te er sie nicht ster­ben las­sen, wenn es in sei­ner Macht ge­we­sen wäre? Ge­wiss war, dass ihr Tod ihm will­kom­men war und dass er sich ein­bil­de­te, Gott habe alle die­se Män­ner hin­ge­mäht, da­mit er auf­stie­ge. Er, der alle hass­te, die über ihm wa­ren, ver­gab nie­mals Neid oder Ei­fer­sucht und Wi­der­setz­lich­keit, die sich ge­gen ihn rich­te­ten. Er sah sich bei Raab, als die Tür­ken be­siegt und in die Flucht ge­schla­gen wa­ren, wie er, trun­ken vom Schlach­ten, trie­fend und kle­bend von Schweiß, Schmutz und Blut, durch das ver­las­se­ne La­ger der Tür­ken voll der von ih­nen zu­rück­ge­las­se­nen Schät­ze ritt, de­ren größ­ter Teil ihm, als dem Feld­obers­ten, zu­fal­len muss­te. Als sein Blick auf zwei


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