Kranichtod. Thomas L. Viernau

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Kranichtod - Thomas L. Viernau


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war hier kaum Verkehr. Aber ausgerechnet dann, wenn er sowieso schon etwas Zeitdruck hatte, musste es sich hier stauen. Ihm fiel wieder die Meldung aus dem Verkehrsfunk ein. Natürlich, nur so konnte er sich das Desaster erklären. Einer der technisch minder bemittelten Bauerntölpel hatte bestimmt seinen Trecker an den Baum gesetzt und so die Vollsperrung ausgelöst. Die Vorstellung belustigte ihn sichtlich und er fand es schade, dort nicht vorbei fahren zu können.

      III

      Die Fernverkehrsstraße zwischen Biesenthal und Lankenhorst

      Montag, 23. Oktober 2006

      Nur noch ein vollkommen deformierter Blechklumpen war von dem Fahrzeug übrig geblieben. Der Aufprall musste bei recht hoher Geschwindigkeit passiert sein. Mindestens hundert Stundenkilometer, vielleicht sogar noch mehr. Der Alleebaum, der von dem Wagen erfasst worden war, wies tiefe Risse in seiner Rinde auf. Auch die Leitplanke an der rechten Seite war vollkommen demoliert. Feuerwehr, Rettungswagen und Polizei standen auf der Straße. Zwischen dem Wrack und den Einsatzfahrzeugen hasteten Uniformierte hin und her. Es herrschte routinierte Unruhe.

      Alle wussten, was zu tun war, alle waren konzentriert bei der Sache und man merkte allen die nervliche Anspannung an. Zwei riesige Feuerwehrleute mühten sich mit Schneidbrennern am Wrack.

      Aus dem Innern drang ein leises Wimmern. Eine junge Frau in Polizeiuniform sprach beruhigend auf die unbekannte Person ein, die sich da vorsichtig bemerkbar machte.

      Zwei Weißkittel aus dem Rettungswagen hatten bereits eine Trage und diverse Apparaturen bereitgestellt. Den Feuerwehrleuten rann der Schweiß in kleinen Bächen übers Gesicht. Mühsam nur kamen sie mit ihren Schneidbrennern voran. Endlich erschien eine Hand, die kraftlos aus dem scharfkantigen Blech hing. Einer der beiden Sanitäter schrie kurz auf: »Stopp!«

      Die beiden Hünen mit dem Schneidbrenner hielten inne. Ein Mann in Weiß und seiner grell orangefarbenen Weste sprintete herbei. Mit einer Taschenlampe leuchtete er in das dunkle Wrack. Was sich ihm da für ein Anblick bot, ließ ihn kurz zögern.

      Er war schon einiges gewöhnt in seinem Job als Unfallsanitäter, aber dies war selbst für ihn etwas zu viel. Dass die Frau überhaupt noch am Leben war, schien ein biologisches Wunder zu sein. Ein trostloses Szenario bot sich dem Betrachter. Das Lenkrad hatte sich tief in den Oberkörper der Frau gepresst. Der Airbag war aus unerfindlichen Gründen nicht aufgegangen. Quer über das Gesichtsfeld zog sich eine tiefe, blutende Wunde. Das linke Auge war nur noch als ein großer, blutiger Krater wahrzunehmen. Aus dem Mund lief ein rotes Rinnsal. Das Armaturenbrett war auf die Oberschenkel gedrückt worden, so dass man nicht sehen konnte, welche Verletzungen im unteren Bereich des Körpers passiert waren. Die Verletzte schien etwas sagen zu wollen. Ein kraftloses Gemurmel bewegte die Lippen der Frau.

      Der Rettungssanitäter versuchte sich bemerkbar zu machen: »Hallo, können Sie mich sehen? Hören Sie mich?«

      Immer wieder sprach er eindringlich diese kurzen Fragen aus und beobachtete dabei die Gesichtsmimik der Verunglückten. Ein winziges Zucken durchlief plötzlich ihr Gesicht, so als ob aus weiter Ferne etwas an sie herangekommen war. Dem Sanitäter erschien dieses Zucken wie ein angedeutetes Lächeln.

      Er winkte die junge Polizistin herbei, die nur wenige Meter neben dem Wrack stand. Gemeinsam leuchteten sie mit ihren Taschenlampen in den dunklen Schacht, der vor wenigen Minuten noch eine behagliche Fahrerkabine war. Die Polizistin starrte auf die sich bewegenden Lippen der schwer verletzten Frau. Irgendetwas schien sie da zu verstehen. Nur wenige Worte. Es klang wie »anderes Auto« und »Geisterfahrer«.

      Der Sanitäter schob die junge Polizistin wieder zur Seite. Dabei schüttelte er nur schweigsam den Kopf. Man könne nichts tun im Moment. Nur warten.

      Motorengeräusch drang durch den dichten Nebel. Ein weiteres Polizeiauto traf ein. Eine gedrungene Gestalt in Uniform stieg aus. »Morjen! Polizeihauptmeister Roderich Boedefeldt! Wer hat denn hier den Unfall jemeldet?«

      Die junge Polizistin drehte sich ihm zu. »Das war ich. Polizeianwärterin Marion Illert.«

      »Was ist denn jenau passiert? Jibt et Tote? Verletzte?«

      »Tja, so genau kann das keiner im Moment sagen. Es sieht erst einmal so aus, als ob wir hier einen Totalschaden haben. PKW. Ein Insasse. Eine Frau. Alter unbestimmbar im Moment. Schwer verletzt. Nicht transportfähig. Unfallursache unbekannt. Hier ist eine gerade, ziemlich wenig befahrene Allee, trotzdem scheint das Auto von der Fahrbahn abgekommen zu sein und ist dann mit hoher Geschwindigkeit frontal an einen Baum geprallt. Die Wucht des Aufpralls muss so groß gewesen sein, dass sich der Wagen nach dem Aufprall die kleine Böschung hinab überschlug und mehrmals um die eigene Achse drehte. Dass die Insassin noch lebt, grenzt an ein Wunder.«

      »War ein anderes Auto involviert in den Unfall? Vielleicht Fahrerflucht?«

      »Wir konnten bisher keinerlei Anhaltspunkte für ein zweites Auto feststellen. Keine Reifenspuren. Keine Lackspuren am Wrack, die nicht dem Unglückswagen zuzuordnen sind. Vielleicht ergibt eine genauere Untersuchung noch etwas Brauchbares. Wer weiß, vielleicht hat die Frau im dichten Nebel irgendwelche Schatten gesehen und dann in einer Panikreaktion das Lenkrad verrissen. Doch die Insassin ..., die hat etwas gemurmelt von einem anderen Auto. Es klang nach »Geisterfahrer«, was ich da von ihren Lippen ablesen konnte.«

      »Wissen wir denn schon, wer die Frau ist, die da im Wrack liegt?«

      »Nein. Leider nicht.«

      »Die Überprüfung des Kennzeichens hat schon erste Ergebnisse erbracht?«

      »Ja. Das Auto ist auf einen Herrn Wolfgang-Adalbert Hopf aus Berlin-Reinickendorf zugelassen. Immobilienmakler bei Hopf & Partner Real Estate.«

      »Aber was da im Auto sitzt, ist eindeutig eine Frau, oder?«

      »Ja, eindeutig. Wir haben Herrn Hopf bereits telefonisch informiert. Er ist auf dem Weg hierher. Er ließ sich leider nicht davon abhalten ...«

      Die junge Polizistin hatte den Satz noch nicht richtig beendet, als ein großer Daimler mit voll aufgeblendeten Lichtern aus südlicher Richtung mit stark überhöhter Geschwindigkeit heranbrauste. Am Steuer saß ein Mittfünfziger mit verkniffenen Gesichtszügen. Er lenkte den Wagen direkt an die Unfallstelle, stieg hastig aus und sagte bloß das kurze Fragewort »Wo?«.

      Es war nicht sehr laut ausgesprochen worden, aber alle hatten es vernommen. Einen kurzen Augenblick herrschte Totenstille. Dann räusperte sich Boedefeldt und ging auf den Mann zu. »Kommen Sie.«

      Der Mann folgte ihm. »Lebt sie noch?«

      »Ja. Aber ihr Zustand ist kritisch.«

      Der Mann stand wie erstarrt vor dem Unfallwagen. Ungläubig schaute er auf den Blechhaufen. »Ist sie noch da drin?«

      »Ja. Wir können nicht mehr tun, als abzuwarten. Sie ist nicht bei Bewusstsein. Bitte schauen Sie nicht hinein. Behalten Sie Ihre Frau so in Erinnerung, wie sie bis vor kurzem noch aussah.«

      Hopf sah Boedefeldt mit einem kritischen Blick an. Was der dicke Polizist da sagte, klang wie aus einem schlechten Heimatfilm. Er war kein zart besaiteter Mensch, konnte auch Negatives ertragen ohne mit der Wimper zu zucken.

      Wortlos schob er den Polizisten zur Seite und schaute in das Wrack hinein. Einen Augenblick dauerte es, bis sich seine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten. Dann sah er sie. Eingequetscht, blutüberströmt, ohne Lebenszeichen. Ihm war in diesem Moment klar geworden, dass er eine bereits aus dem Leben Gegangene sah. Diese nur noch in letzten Energiequanten bebende Biomasse war einmal seine Frau gewesen: Irmingard Hopf von Quappendorff.

      IV

      Auszug aus dem Unfallprotokoll

      B-IHQ 3463 / Hopf, Irmingard

      ... lässt sich eine Fremdverschuldung ausschließen. Der Wagen der Verunglückten ist mit hoher Wahrscheinlichkeit aufgrund eines Fahrfehlers von der Fahrbahn abgewichen und mit überhöhter Geschwindigkeit frontal mit einem


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