Kranichtod. Thomas L. Viernau

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Kranichtod - Thomas L. Viernau


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Zeugen des Unfallhergangs konnten nicht ermittelt werden.

      R. Boedefeldt

      Polizeihauptmeister

      V

      Irmingard Hopf von Quappendorff

      Was war das nur für ein unsäglich schlechter Scherz, den sich Wolfgang mit ihr erlaubt hatte! Sie war zu Tode erschreckt von diesem Schabernack.

      Beim Treppensteigen hatte plötzlich der alte Mantel am Kleiderhaken angefangen zu leben. Nun, nicht direkt, aber ein Ärmel bewegte sich kurz auf und ab. Zuerst glaubte sie, einer visuellen Irritation erlegen zu sein. Sie trug immerhin eine Gleitsichtbrille. Aber beim zweiten Hinschauen war es wieder zu sehen. Ganz deutlich bewegte sich der Ärmel. Sie stieß einen kurzen Schrei aus. So kurz, dass sie selbst darüber erstaunt war, ihn noch so intensiv zu hören.

      Dann rannte sie die Treppe hinab. Sie spürte ihren Herzschlag überlaut im Brustkasten, fast schon schmerzhaft, pochen. Sie begann zu hyperventilieren. Immer wenn sie sich aufregte, traten diese Symptome in schöner Regelmäßigkeit hintereinander auf. Als nächstes bekam sie große, rote, unregelmäßige Flecken auf den Wangen und Schweißausbrüche. Dazu fühlte sie sich leicht schwindelnd und bekam zum Schluss auch noch weiche Knie. Dann brauchte sie dringend einen Stuhl. Ansonsten fiel sie um, meist theatralisch.

      Schon als kleines Mädchen hatte sie mit solchen Panikattacken zu kämpfen. Alle wussten davon. Aber mit der Zeit wurden die Attacken immer heftiger und kamen immer öfter. Ihre Mutter war mit ihr deswegen bei diversen Ärzten vorstellig geworden. Meist schauten diese Halbgötter nur mitleidig zu ihr herab, tätschelten ihr die Wangen und erzählten etwas von frühpubertären Störungen im Hormonhaushalt.

      Wolfgang, ihr Mann, machte sich manchmal einen Spaß daraus, sie zu erschrecken. Einmal hatte er in dem großen Sessel im Schlafzimmer gesessen, ohne einen Mucks verlauten zu lassen. Irmi, so wurde sie von Wolfgang meistens genannt, war schlaftrunken ins Zimmer gekommen und wollte sich zu Bett begeben, als plötzlich ein tiefes Röcheln zu vernehmen war. Irmi stand wie ein Stehaufmännchen im Bett und schrie. Wolfgang jedoch lachte nur. Die ganze Nacht konnte sie nicht mehr schlafen. Seitdem sah sie als erstes, wenn sie ins Zimmer kam, nach den Sesseln.

      Irmi hatte sich inzwischen wieder im Griff. Heute war schließlich wieder ein Familientreffen auf Gut Lankenhorst angesagt. Sie mochte diese Treffen da draußen auf dem alten Gutshof. Schließlich traf sie ihren Vater und sah auch ihre Schwester, zu der sie ansonsten nur noch wenig Kontakt hatte. Dass ihr etwas aus der Art geratene Cousin Lutger auch erschien, war ihr zwar unangenehm, aber irgendwie schaffte sie es, ihm soweit wie möglich aus dem Weg zu gehen.

      Eigentlich hatte Irmi es nicht mehr nötig, irgendwelche Aufgaben zu übernehmen. Ihr Mann hatte ein kleines Vermögen als Immobilienmakler erwirtschaftet. Damit hatte die ganze Familie ausgesorgt. Ihre beiden Kinder waren bereits aus dem Hause, studierten in Amerika und Australien und die große Villa, in der sie lebten, war auch schon abbezahlt.

      Aber da war diese Angst vor der Leere, dieses Unbehagen vor dem Nichtgebrauchtwerden. Sie war überglücklich, als sich vor ein paar Jahren ihr Vater bei ihr meldete und von seinen verrückten Plänen berichtete. Natürlich war das Ganze nur ein Spleen eines pensionierten Lehrers.

      Wolfgang hatte sich, nachdem der alte Baron seine Pläne von der Übernahme des alten Familiengutes in Lankenhorst offen legte, das Objekt mal angesehen. Also nur so ganz unverbindlich. Wolfgang hatte mit dem Kopf geschüttelt und etwas von »hoffnungsloser Fall« und von »Einöde« und »Millioneninvestitionen für umsonst« gebrabbelt.

      So genau verstand sie das sowieso nicht. Sie stand mit Zahlen auf dem Kriegsfuß. Ja, etwas geschmackvoll einrichten und passende Kleidungsstücke entsprechend der aktuellen Mode auswählen, das konnte sie. Darauf legte sie auch stets Wert. Sie war immer chic, aber dezent gekleidet. Ein leichter Hauch eines raffinierten Parfums schwebte jederzeit um sie herum und das war ihr eigentlich wesentlicher als all dieses trockene Zählen und Rechnen.

      In dieser Welt hatte es sich Wolfgang eingerichtet. Ohne seinen Laptop war er eigentlich nur ein halber Mensch. Sie staunte noch immer, wie viele Zahlenkombinationen er so einfach im Kopf hatte. Sie wäre schon längst verrückt geworden, wenn sie nur ein Drittel dieses Zahlenwustes meistern müsste.

      Irmi hatte schon genug damit zu tun, die Kinder aufzuziehen und den Haushalt zu führen. Ihre Woche war lange Zeit streng geregelt. Neben den klassischen Pflichten, wie etwa Frühstück für die Familie zubereiten, Einkäufe tätigen und Hausaufgaben bei den heranwachsenden Mädchen kontrollieren hatte sie so nach und nach einen recht anspruchsvollen Arbeitskalender füllen können.

      Montags brachte sie die Mädchen zum Klavierunterricht und traf sich dann abends mit den Damen vom Kirchenchor. Dienstags fuhr sie Wolfgang zum Tennis und die Mädchen zum Schwimmen. Mittwochs spielte sie Rommé am Nachmittag mit drei befreundeten Damen aus der Nachbarschaft. Donnerstags war Einkaufstag. Das war blanker Stress! Lange Listen, die sie so im Laufe der Woche schrieb, wurden dann abgearbeitet. Eine große Runde mit vielen Stopps wurde von ihr abgefahren. Freitags war wieder etwas erholsamer. Die Mädchen hatten nachmittags immer Sport. Irmi konnte dann zum Friseur oder zur Kosmetikerin.

      Tja, und nun diese neue Aufgabe. Stiftungsrat! Mein Gott! Wie wichtig das klang. Sie fühlte sich angenehm wichtig. Was da von Papa besprochen wurde, verstand sie zwar nicht annähernd. Irgendetwas wollte er da draußen auf dem verfallenen Gutshof aufbauen und auch Veranstaltungen waren geplant. Konzerte und Ausstellungen. Sie hatte ihm schon signalisiert, beim Einrichten der Räume aktiv helfen zu wollen und auch bei der Garten- und Parkplanung wollte sie mitmachen. Alles andere interessierte sie nur marginal. Dennoch nahm sie gern an diesen Stiftungsratssitzungen teil. Es war immer ein nettes Geplauder mit den anderen Stiftern möglich. Außerdem hatte sie eine nicht unbeträchtliche Summe zur Verfügung gestellt. Also Wolfgang hatte das ermöglicht. Er hatte etwas von Steuersparmodellen erwähnt und das eine solche Stiftung dafür doch ideal geeignet wäre. Na ja, das waren dann wieder diese unsäglichen Zahlen ...

      Irmi hatte sich sorgfältig geschminkt an diesem Morgen und ein besonders edles Parfum ausgewählt: »La Belle de Russe«. Irgendetwas Raffiniertes mit einem Hauch von Magnolienblüten. Üblicherweise blieb sie über Nacht dann auch im Gutshaus. Ihre Tasche war schon gepackt. Für Papa hatte sie außerdem ein kleines Geschenk verpackt. Ein Necessaire mit Edelstahlscherchen, Nagelfeilen und Pinzette. Alles geschmackvoll umhüllt von genopptem Leder im Kroko-Look. Das Etui hatte sie als Giveaway bei einer Werbeaktion für Kosmetikartikel bekommen. Wolfgang konnte sie es nicht schenken. Der hatte schon zwei. Aber Papa ... Nun, der freute sich immer, wenn sie an ihn dachte.

      Dieser Morgen wollte überhaupt nicht zum Tag werden. Draußen war ein trüb milchiges Dämmerlicht. Nebel hatte sich breit gemacht. Irmi würde am liebsten zu Hause bleiben. Aber sie hatte telefonisch fest zugesagt. Eigentlich mochte sie es nicht, bei Nebel längere Zeit am Lenkrad zu sitzen. Es war einfach anstrengend, immer in das weiße Nichts zu starren und irgendwo nach möglichen Hindernissen zu spähen. Aber sie vertraute auf ihre Fahrkünste und auf die Nebelscheinwerfer ihres Citroens. Knapp eine dreiviertel Stunde dauerte die Fahrt, wenn sie zügig fuhr. Allerdings, jetzt bei diesen Verhältnissen würde sie wohl eine halbe Stunde mehr einplanen müssen.

      Irmi schaute auf ihre mit kleinen Saphiren besetzte Lacroix-Uhr. Es war kurz vor Sieben. Höchste Zeit loszufahren, wenn sie noch halbwegs pünktlich um Neun eintreffen wollte. Etwas hektisch schnappte sie ihre Tasche und rannte die Treppe hinab zur Garage. Ihr dunkelroter Citroen wartete schon auf sie.

      Sie war eine gute Fahrerin. Sie liebte es, den Wagen rasant und sportlich durch die Straßen zu bewegen. Wolfgang bewunderte sie dafür. Er fuhr immer sehr bedächtig und vorsichtig mit seinem schweren Daimler. Als ob er den vielen Pferdestärken in seinem Motor nicht so recht vertrauen würde. Sie spottete manchmal, dass sie in ihrem Citroen, der nur einen halb so starken Motor habe, doppelt so schnell unterwegs war wie er.

      Aber heute war Nebel. Kein Wetter, um flott voran zu kommen. Sie hasste es, bei Tempo dreißig mit dem Wagen durch die Straßen zu schleichen. Aber vielleicht hob sich der


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