Kranichtod. Thomas L. Viernau

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Kranichtod - Thomas L. Viernau


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es nur noch ein paar Kilometer bis Gut Lankenhorst. Erleichtert lehnte er sich zurück und gab Gas.

      Die Quappendorffs waren für Hülpenbecker eine Art Ersatzfamilie. An einer eigenen Familiengründung hatte er nie so richtig gearbeitet. Die Frauen fanden ihn zwar immer recht zuverlässig und akkurat, aber das war es dann auch schon. Einmal hatte er sich so richtig verliebt. Noch zu Studentenzeiten war das passiert. Er war Student der Betriebswirtschaft, war im Lesesaal, um irgendwelche dicken Wälzer zu konspektieren.

      Da saß sie ihm gegenüber, blätterte in einer bunten Illustrierten und schlürfte geräuschvoll Kakaomilch aus einer Tetrapaktüte. Das war Clara-Louise von Quappendorff. Spontan verliebte er sich in die Blondine. Aber er hatte nie den Mut, ihr seine Liebe zu gestehen. Jedes Mal, wenn er sie auf dem Campus sah, hatte er den Impuls, zu ihr hinzugehen und sie auf einen Kaffee einzuladen.

      Doch die Angst vor einem Korb war zu groß. Tja, und dann war sie weg. Nach einem halben Jahr verschwand sie plötzlich von der Bildfläche der Uni. Später erfuhr er dann, dass sie in eine andere Stadt gezogen war. Sie hatte sich verlobt und schwanger sei sie auch.

      Irgendwann viele Jahre später tauchte sie wieder auf. Aus der blonden Studentin war eine sehenswerte Frau geworden. Sie gehörte zu der Familie seines guten Kunden, Rochus von Quappendorff. Und als der ihn fragte, ob er nicht Lust habe, in seiner Stiftung mit tätig zu sein, musste Hülpenbecker nicht lange überlegen. Er freute sich jedes Mal, wenn der Stiftungsrat tagte und auch Clara-Louise auftauchte.

      Seine geheime Leidenschaft für diese Frau verbarg er natürlich. Ihm wäre es furchtbar peinlich, würde diese stille Passion ruchbar.

      Die Eichenallee kam in Sicht und Hülpenbecker bog mit seinem Wagen in die kleine Auffahrt ein. Er war da.

      Die Weiße Frau

       Gehüllt in weiße Witwentracht,

       Im weißen Nonnenschleier,

       So schreitet sie um Mitternacht

       Durch Burg und Schlossgemäuer.

      

       Christian Graf zu Stolberg-Stolberg

       (Deutsch-dänischer Dichter der Romantik, 1748-1821)

      

      

       Eines der ältesten und bekanntesten Gespenster im märkischen Raum ist wohl die »Weiße Frau«, eine Gestalt, die in wallende, weiße Tücher gehüllt, durch Wände ging, und den Lebenden so einen Schreck einjagte. Vor allem in den alten Schlössern soll sie gespukt haben. Manche Geisterseher gehen davon aus, dass sie bis heute dort noch anzutreffen sei, ja versteigern sich sogar in der Behauptung, die »Weißen Frauen« wären inzwischen ortsungebunden und würden sogar in den Städten und auf dem offenen Lande herum spuken.

       Die ältesten Berichte über das Auftreten einer »Weißen Frau« gehen bis ins 15. Jahrhundert zurück. Später dann, im 17. Jahrhundert, wurde die »Weiße Frau« ein ausgesprochen populäres Gespenst.

       Der damalige Zeitgeist der Gegenreformation machte aus dem Spuk ein Standesattribut. Keine Adelsfamilie kam ohne eine solche Erscheinung mehr aus, wenn sie wirklich zu den großen und alteingesessenen Häusern gehören wollte.

       Am bekanntesten dürfte wohl die »Weiße Frau« der Hohenzollern sein. Früheste Aufzeichnungen haben Kunigunde von Orlamünde als Ursprung für den Spuk in den Hohenzollernschlössern ermittelt.

       Dieses Burgfräulein soll ihren beiden Kinder aus erster Ehe erst die Augen ausgestochen und sie dann getötet haben, um so die ersehnte Gattin des damaligen Burggrafen Albrecht von Hohenzollern zu werden. Der verstieß die liebestolle Kunigunde jedoch, als er erfuhr, was sie getan hatte.

       Später ward dann der Geist der schönen »Gießerin«, Anna Sydow, zu einer »Weißen Frau«. Die Sydow war die Maitresse des Kurfürsten Joachim II. Bereits 1598 wurde sie im Berliner Stadtschloss erstmals gesichtet. Später erschien sie regelmäßig, wenn ein Hohenzoller starb.

       Sogar ein Gastspiel in Thüringen soll sie gegeben haben, als Prinz Louis-Ferdinand gegen die Franzosen bei Jena und Auerstedt in den Krieg zog und fiel. Die »Weiße Frau« war stets ein stummer Geist, der nicht polterte oder den anderen Lebenden etwas Böses antat.

      

       Das ist die Sage: und will Gefahr

       Die Hohenzollern umgarnen

       Da wird lebendig ein alter Fluch,

       Die weiße Frau im Schleiertuch

       Zeigt sich, um zu warnen

      

       Sie kommt dreimal, geht um dreimal

       Zögernder immer und trüber

       Die Wache ruft ihr Halt-Werda nicht mehr,

       Sie weiß, den Gast schreckt kein Gewehr;

       Der Schatten schreitet vorüber.

      

       »Wangeline von Burgsdorf oder die Weiße Frau«

       von Theodor Fontane

      

       Oftmals geht auch in alten Klostergemäuern eine »Weiße Frau« um. Hierbei handelt es sich meist um den Geist einer unglücklich verliebten Nonne, die seufzend und weinend durch die verwaisten Gänge zieht.

       Andere märkische Adelshäuser kannten ebenfalls solche »Weiße Frauen«. So die Knesebecks, die Uchtenhagens, die Marwitzens, die Sparrs und die Rochows. Häufig handelt es sich hier bei der »Weißen Frau«, die manchmal auch als »Graue Frau« oder sogar als »Schwarze Frau« auftritt, um den Geist einer weiblichen Urahnin des betreffenden Geschlechts.

       Im Allgemeinen ist sie, sofern man ihr nicht zu nahe kommt, nicht böswillig oder gefährlich. Ihr Auftreten löst dennoch oft Furcht und Schrecken aus, da sich durch sie familiäre Katastrophen, insbesondere unerwartete Todesfälle von Familienmitgliedern ankündigen. Die Sagen über die »Weiße Frau« sind bis heute moderne Folklore geworden.

      

      

      I

      Gut Lankenhorst

      Sonntagnacht, 22. Oktober 2006

      Natürlich, es gab sie. Keine Frage. Gut Lankenhorst hatte sein Gespenst wie es sich für ein altehrwürdiges Gemäuer im märkischen Sand gehörte. Seit Jahrhunderten spukte sie schon hier nächtens durch die Zimmer und im Treppenhaus. Auch im Park wurde sie schon gesichtet.

      Stets war ihr Erscheinen an ein bevorstehendes Unglück gekoppelt. So stolz die Herren von Lankenhorst auf ihre »Weiße Frau« auch waren, so bedrückt waren sie auch jedes Mal durch ihr Erscheinen.

      Der alte Quappendorff hielt eigentlich nichts von übersinnlichen Dingen. Zu rational war seine Weltsicht. Aber er erinnerte sich noch oft an diese Nacht in seiner Kindheit, als ihm dieser Spuk das erste Mal erschienen war.

      Es war in den letzten Kriegstagen des Jahres 1945. In der Ferne konnte man die Einschläge der Granaten hören und im Dorf waren immer mehr verängstigte Städter zu sehen, die es noch geschafft hatten, dem Hexenkessel zu entkommen. Was sie berichteten, klang erschreckend. Brennende Häuser, überall Tote, marodierende Soldaten


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