Kranichtod. Thomas L. Viernau
Читать онлайн книгу.vor dem finanziellen Aus bewahrt. Die ursprünglich gedachte Geschäftsgrundlage für Gut Lankenhorst hatte sich bisher so nicht realisieren lassen. Auf dem Papier hatte er damals vor vier Jahren mit Hülpenbecker und seinen beiden Töchtern einen kühnen Plan entwickelt.
Gut Lankenhorst sollte schon nach kurzer Zeit so viele Gelder erwirtschaften, dass damit die laufenden Kredite bedient werden könnten und auch die eigenen laufenden Kosten gedeckt wären. Allerdings erwies sich dieser Plan in der Realität doch nicht als so einfach. Zumal die laufenden Kosten sich deutlich höher beliefen als geplant und zum anderen die Erträge aus dem neugegründeten Hofladen und den Veranstaltungen doch deutlich geringer ausgefallen waren als erwartet.
Sein größtes Projekt, das Wiederbeleben der hofeigenen Destillerie, war bisher aus dem Versuchsstadium noch nicht herausgekommen, hatte aber schon sehr viel Geld gekostet. Hinter dem alten Verwaltungsgebäude waren immer noch die vielen alten Obstgehölze, die er schon seit seiner Kindheit kannte. Zusammen mit Zwiebel hatte er die Bäume zurückgeschnitten, verwilderte Hölzer mit ertragreichen Sorten veredelt und inzwischen auch erste, respektable Ernten eingebracht. Davon verstand er etwas. Das hatte er schon viele Jahre in seinem großen Garten im Rheinland praktiziert.
Das Verarbeiten der Äpfel, Birnen und Zwetschgen erwies sich jedoch als ausgesprochen schwierig. Destillieren wollte gelernt sein. Der alte Baron hatte extra einen Kurs bei der Handwerkskammer belegt. Doch das frisch erworbene Wissen war leider nicht so recht tauglich, um ein wirklich hochwertiges Edeltröpfchen zu erzeugen. Anstelle von guten Obstbränden hatte er bisher nur Apfelessig und leidlich gut schmeckende Konfitüren erzeugt.
Die Erträge hierfür blieben natürlich weit hinter den zu erwartenden Umsätzen aus dem Vertrieb edler Brände zurück. In seinem Versuchskeller lagerten inzwischen einige hundert Flaschen missglückter Obstwässer, die eigentlich nur noch zu Anschauungszwecken verwendbar waren. Entweder war kein wirklich gutes Obstaroma zu spüren, so dass der Brand nur wie blanker Sprit im Hals kratzte oder ein unangenehm modriger Beigeschmack machte das Wässerchen völlig ungenießbar.
Der Baron wurde plötzlich aus seinen Überlegungen gerissen. In der Ferne hörte er das langgezogene Tatütata eines Polizeiwagens. Ein Blaulicht schien er auf der Straße durch den Nebel zu erkennen. Dann war wieder Ruhe.
Momente später sah er zwei Autos vorn am Eingangstor parken. Er konnte aus der Entfernung nicht erkennen, um was für Marken es sich handelte. Auf der Eichenallee näherten sich fünf Personen dem Gutshaus. Sie waren ihm allesamt unbekannt. Auch zwei Uniformträger schienen dabei zu sein. Etwas beunruhigt schritt der alte Herr die Treppe hinab um seine morgendlichen Besucher zu empfangen.
Die fünf waren inzwischen im Gutshaus eingetroffen. Sie blickten etwas irritiert auf den Baron, der da korrekt gekleidet vorsichtig die Treppe herab kam. Einer der beiden Uniformierten, Quappendorff hatte ihn schon des Öfteren in der Gegend gesehen und auch schon ein paar Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht, trat auf ihn zu, räusperte sich kurz und baute sich vor ihm mit wichtiger Miene auf.
»Herr von Quappendorff?«
»Jaaa, das bin ich. Guten Morgen, die Herrschaften.«
»Guten Morgen ..., ja. Also ..., um es kurz zu machen. Heute früh ereignete sich ein schwerer Verkehrsunfall hinter Biesenthal. Ihre Tochter, Frau Irmingard Hopf von Quappendorff, war leider darin verwickelt. Noch am Unfallort ist sie ihren schweren Verletzungen erlegen ... Also, ja, unser Beileid hiermit ... Mein Gott, ich bin nicht so ein guter Redner, um solche schlimmen Nachrichten ... Ächm, hmm, bitte haben Sie Verständnis.«
Der alte Mann sackte einen kurzen Moment zusammen als ob ihn ein Schlag unerwartet und heftig im Genick getroffen hätte. Dann fasste er sich wieder, straffte seine Körperhaltung, holte mehrfach tief Luft, schaute den Polizisten mit einem sonderbaren Blick direkt in die Augen und fragte dann mit schwacher, tonloser Stimme: »Musste sie noch leiden? Oder war sie gleich ...?«
Jetzt trat die zweite uniformierte Person, eine junge Frau Ende Zwanzig, heran und schilderte kurz, was sie vorgefunden hatten am Unfallort. Der Baron schien innerhalb von Minuten um Jahre zu altern. Seine Lebensenergie war auf ein Minimum gesunken. Mühsam nur hielt er sich noch auf den Beinen. »Kann ich Sie kurz allein lassen? Ich möchte mich ...«
Er kam nicht weiter. Mitten im Satz versagten seine Kräfte und er brach zusammen. Die drei Herren in Zivil eilten herbei. Einer war Arzt.
»Schnell, dort auf das Sofa mit ihm. Hat wohl ein schwaches Herz ... Rufen Sie bitte jemanden aus dem Haus. Wir sollten seinen Hausarzt konsultieren.«
Mit geübtem Griff lockerte er den Hemdkragen des alten Mannes, holte eine Injektionsspritze aus seinem Köfferchen, fühlte den Puls und hörte auch die Herzfrequenz ab.
»Er steht unter Schock.«
Ein spitzer Schrei ließ die fünf Personen zeitgleich aufschauen. Auf der Treppe stand wachsbleich eine mittelgroße, brünette Frau, die man in Modekreisen als vollschlank bezeichnen würde. Ihre Augen waren weit aufgerissen und blickten angstvoll auf den zu Boden gegangenen alten Herrn. »Papa!«, rief sie, »Papa, was ist mit dir?«
Ein riesiger Hund tapste die Treppe neben ihr herunter, lief schwanzwedelnd zu seinem Herrchen und schleckte mit seiner großen Zunge dessen Gesicht ab. Mit einem Stöhnen schien der alte Baron sich wieder im Leben zu melden. Er schlug die Augen auf, sah die besorgten Gesichter und auch das vor Schrecken kreideweiße Gesicht seiner Tochter Clara-Louise. Mit schwacher Hand schob er den großen Hund etwas beiseite: »Is ja gut, is ja gut ... Klärchen, es ist was Schreckliches ..., also, Irmchen, die ist ..., ein Unfall ..., ach Gott!«
Er rang sichtlich nach Worten, um diese schlimme Nachricht irgendwie auch für sich selbst begreifbar zu machen. »Kann ich einen Schluck Wasser ...?«
Die junge Polizistin nickte und rannte los. Clara-Louise rief ihr hinterher: »Den Gang bis nach hinten, dann rechts, da ist die Küche.«
III
Gut Lankenhorst
Montag, 23. Oktober 2006
Das Gutshaus hatte sich mit Menschen gefüllt. Kurz hintereinander trafen die Autos von Lutger von Quappendorff, dem Bankier Hülpenbecker und von Wolfgang Hopf auf dem großen Hof vor dem alten Prachtbau ein. Auch die Bewohner des Hauses waren inzwischen alle wach und rannten scheinbar ziellos herum.
Der unscheinbare Rolfbert Leuchtenbein hatte sich an die vollkommen aufgescheuchte Gunhild Praskowiak gehängt und folgte ihr auf Schritt und Tritt. Die Todesnachricht hatte sich in Blitzesschnelle herumgesprochen und eine allgemeine Bestürzung hervorgerufen.
Leuchtenbein redete leise ohne Unterbrechung auf Gunhild Praskowiak ein. Die stand bloß da und nickte fortdauernd. Hülpenbecker trat auf die beiden zu und hüstelte höflich. So richtig konnte er mit der Situation auch nicht umgehen. In dem großen Sessel am Fenster saß Lutger von Quappendorff und stierte in den Park hinaus. Die vollkommen aufgelöste Clara-Louise saß am Tisch und weinte leise vor sich hin. Hopf kümmerte sich um seinen Schwiegervater, der inzwischen wieder bei Kräften war und vollkommen apathisch das Glas Wasser in seinen Händen hielt.
Die unheimliche Spukerscheinung hatte ihre Entsprechung in der Realwelt gefunden. Als ob der alte Mann durch die ominösen Vorgänge der vergangenen Nacht schon auf diese traurige Nachricht eingestimmt werden sollte.
Er wiegte den Kopf. Mit wem sollte er sich über diese Dinge unterhalten? Man würde ihn nicht mehr ernst nehmen oder sogar milde belächeln. Der Baron begann zu grübeln.
Was ging da vor sich?
Hatte der Tod Irmis etwas mit den toten Vögeln zu tun?
Wieso kam auf einmal die Weiße Frau zurück?
Was hatte das alles mit seinem Projekt zu tun?
Etwas ratlos wandte er sich seinem Hund Brutus zu. Der schaute mit seinen großen braunen Knöpfchenaugen auf sein Herrchen. »Ach, Brutus. Jetzt müssen wir mal schauen, wie wir hier durch kommen.«
Verständnisvoll wedelte der große Vierbeiner mit seinem buschigen Schwanz. Er spürte, dass sein Herrchen etwas mehr an Zuwendung