Kranichtod. Thomas L. Viernau

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Kranichtod - Thomas L. Viernau


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ging um Millionen und Milliarden, sogar von Billionen war die Rede. Linthdorf versuchte im Kopf sich eine Billion vorzustellen. Eine Zahl mit zwölf Nullen, übersichtlich angeordnet in Dreiergruppen. Jede Dreiergruppe war ein Multiplikator mit Tausend. Also Tausend Milliarden waren eine Billion. Schon die Zahl Milliarde war schwer begreifbar. Sie hatte nur neun Nullen. Das waren Tausend Millionen.

      Er begann nachzurechnen, wie viele Jahre er arbeiten müsste, um diese Zahl zu verdienen. Er kam auf schwindelerregende 25000 Jahre! Das war jenseits dessen, was man durch seriöse Arbeit verdienen konnte. Wie haben es einzelne Menschen nur geschafft, soviel Geld heimlich am Fiskus vorbeizubringen? Ja, wie haben sie es überhaupt geschafft, in den Besitz solcher immensen Reichtümer zu gelangen? Und nun sollte er solche Raffkes jagen!

      Wie kam man diesen Leuten auf die Spur? Zog sich die Spur des Geldes wie ein roter Faden durch ihr Leben? Wahrscheinlich waren da diese Computermenschen gefragt. Die konnten mit ihren unheimlichen Fähigkeiten diese Spuren ausfindig machen im Labyrinth der unsichtbaren Zahlen, versteckte Kontenbewegungen herausfinden und die Wege des Geldes nachvollziehen.

      Knipphase berichtete inzwischen etwas über kriminelle Machenschaften von Firmen, die nur als Papiertiger fungierten, also überhaupt keinerlei nennenswerte Wirtschaftsaktivitäten vorweisen konnten, dafür aber einen Geldverkehr hatten wie ein mittleres Bankhaus. Meist waren es sogenannte Investmentgesellschaften, die als Projektentwickler agierten. Oftmals zapften solche Firmen öffentliche Geldtöpfe an, die in der Hoffnung, Investitionen in strukturschwachen Regionen zu tätigen, meist sehr bereitwillig große Summen diesen Papiertigern zur Verfügung stellten.

      Natürlich war dieses Geld schnell verschwunden. Die Firmen meistens auch. Speziell solche kriminellen Vereinigungen waren ins Fadenkreuz der Bundesbehörde gerückt. Der Zwang zum Einsparen hatte in den oberen Etagen zu unkonventionellen Denkansätzen geführt. Von interdisziplinärer Zusammenarbeit war da jetzt die Rede und von schnellen und kurzen Informationswegen. Ein bundesweit agierendes Netz von diversen Behörden wurde installiert und auch das LKA in Potsdam war mit eingebunden.

      Besonders hier in Brandenburg, das als strukturschwach und damit anfällig für die Attacken solcher kriminellen Firmen galt, gab es Anzeichen für diese Art von Wirtschaftskriminalität. Meist agierten diese Leute hart am Rande der Legalität und waren mit herkömmlichen Mitteln kaum zu fassen.

      Daher sollten professionelle Ermittler die Arbeit der Steuerfahnder und Computerspezialisten ergänzen. Knipphase knallte eine dicke Mappe auf den Tisch.

      »Meine Damen und Herren! Hier drin befindet sich Arbeit für die nächsten Monate. Es ist eine Zusammenstellung von Firmen und Gesellschaften, die möglicherweise in unser Schema passen und neben Steuerhinterziehung auch Kreditbetrug und Veruntreuung öffentlicher Gelder auf dem Kerbholz haben. Wir werden daher mit Hochdruck an der Aufklärung solcher Delikte arbeiten. Was wir Ihnen hierbei an Unterstützung geben können, wird auch gemacht. Wir werden Sie so viel wie nur möglich dabei aktiv unterstützen, diese Machenschaften einzudämmen und die Täter dingfest zu machen. Scheuen sie sich nicht, selbst bei großen Namen investigativ tätig zu werden. Damit viel Erfolg bei den Ermittlungen.«

      Alle Teilnehmer der Runde nickten nur. Ein Mitarbeiter verteilte Mappen mit Kopien der Listen, die Knipphase so theatralisch auf den Tisch geknallt hatte. Die Computerleute fingen an, nervös auf ihren mitgebrachten Notebooks herum zu hämmern. Die Steuerfahnder blätterten mit ernstem Blick die Listen durch, zogen ab und zu eine Augenbraue nach oben. Sie hatten den typischen Insiderblick.

      Die sechs LKA-Leute saßen erst einmal still da und ließen das Gesagte auf sich wirken. Linthdorf hatte auf dem karierten A 4-Block Zahlen mit vielen Nullen aufgeschrieben. Er begann sich mit der neuen Materie vorsichtig anzufreunden.

      Nägelein löste die Versammlung auf. Am Kaffeeautomaten traf Linthdorf auf Louise Elverdink. Sie begrüßte ihn wie einen alten Bekannten: »Herr Linthdorf, wie schön Sie wieder zu sehen! Möchten Sie auch einen Kaffee?«

      Linthdorf nickte. »Ja, ebenfalls. Wie kommt es, dass Sie hier zu finden sind? Eigentlich leiten Sie doch die Mordkommission in Brandenburg/Havel?«

      »Das ist eine komplizierte Geschichte. Aber diesen Job habe ich meinem Chef, dem alten Haberer zu verdanken. Der ist nämlich der Meinung, dass ich etwas für meine Weiterbildung machen soll und Erfahrungen bei solch strategisch koordinierten Einsätzen sammeln müsste. Er denkt dabei an seine baldige Pensionierung, die wahrscheinlich im nächsten Jahr ansteht.«

      »Oh. Ja, dann ... Gratulation zu dieser Aussicht. Jaaa, also, ich sehe der ganzen Angelegenheit mit recht gemischten Gefühlen entgegen. So richtig sehe ich die Erfolgschancen dieses Vorhabens nicht.

      Wieso konnten bisher solche Summen überhaupt angehäuft und am Fiskus vorbei geschmuggelt werden?

      Was haben die Steuerfuzzis denn bisher gemacht?

      Und inwieweit diese unsympathischen Computerfreaks da etwas machen können, na ja. Ich traue dem Ganzen nicht so recht.

      Wir können doch nur jemanden dingfest machen, dem man lupenrein eine kriminelle Machenschaft nachweisen kann.

      Das stelle ich mir hier sehr schwierig vor. Der Dr. Knipphase macht ja einen recht optimistischen Eindruck. Aber das ist wahrscheinlich auch sein Job. Konkret mit den Ermittlungen wird der sich ja nicht herumschlagen müssen.«

      »Ach, Herr Linthdorf, seien Sie doch nicht so ein Pessimist. Wer weiß, vielleicht können wir ja auch mal nen dicken Fisch ins Netz bekommen. Berlin ist gleich nebenan. Ich weiß von den dortigen Kollegen, dass sie schon einige echt kapitale Fänge gemacht haben.«

      Linthdorf schlürfte geräuschvoll seinen Kaffee. Knipphase war inzwischen an ihn herangetreten.

      »Sie werden also die neugeschaffene SoKo leiten. Ihr Chef hat mir schon sehr viel Löbliches über Sie erzählt. Sie kennen ja das Land wie kein Zweiter ...«

      »Nun, das ist vielleicht etwas übertrieben. Aber natürlich werde ich mein regional spezifisches Wissen mit einbringen. Wir sind da recht flexibel und haben auch ein gut funktionierendes Netz an Informanten. Mal sehen, was wir auf diesem Gebiet damit bezwecken werden.«

      Knipphase klopfte Linthdorf leutselig auf die Schulter, was aufgrund des Größenunterschieds zwischen den beiden Männern etwas eigenartig aussah. »Sie machen das schon. Ich muss wieder los nach Wiesbaden. Grüßen Sie ihren Chef schön von mir. Wir bleiben in Kontakt.«

      Damit drehte er sich um und ging mit federndem Schritt Richtung Tür. Linthdorf blieb mit Louise Elverdink zurück und nickte ihr kurz zu: »Jetzt wissen Sie, was ich mit schwierigen Zeiten meine.«

      II

      Immer noch Potsdam

      Montag, 23. Oktober 2006

      Linthdorf war wieder zurück in seinem kleinen Büro. Die neugegründete SoKo sollte sich in zwei Stunden wieder treffen. Linthdorf wollte mit den Spezialisten eine grobe Vorgehensweise abstecken und einzelne Ressorts festlegen. Auf seinem Monitor blinkte an der Seitenleiste das kleine Postzeichen auf. Er hatte eine neue Email bekommen. Es war eine Nachricht von der Polizeidienststelle Linum. Linthdorf erinnerte sich an seine Begegnung mit dem kugelrunden Dorfpolizisten Boedefeldt und dessen schrecklichen Bericht über das Kranichmassaker im Linumer Bruch.

      Was Boedefeldt da schrieb, brachte Linthdorf ins Grübeln:

      Mein lieber Linthdorf,

      Sie erinnern sich an unser Gespräch über die toten Kraniche. Wir treten ja hier etwas auf der Stelle. So richtig können wir uns bisher noch keinen Reim auf diesen Frevel machen.

      Doch etwas Licht könnte hier in diese verfahrene Angelegenheit kommen. Durch Zufall habe ich folgende Neuigkeiten in Erfahrung gebracht. Bei einem Verkehrsunfall, der etwas ominös verlaufen war und wobei es auch ein Todesopfer gegeben hatte, bin ich nach Gut Lankenhorst geraten.

      Lankenhorst ist eine halbe Stunde entfernt von Linum, eigentlich nicht mehr mein Revier, aber an jenem Montagmorgen


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