Ave Maria. Gisela Sachs

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Ave Maria - Gisela Sachs


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des Freizeitparks Tripsdrill direkt vor mir. An meinen Beinen reibt sich miauend eine schwarze Katze, meine verkotzten Schuhe stören sie nicht. Als ich die Schuhe mit meinem Papiertaschentuch putze, sehe ich einen schwarzen A6 mit Heilbronner Kennzeichen auf den Parkplatz einbiegen. Am Steuer sitzt ein Mann, der seinen Hut weit in sein Gesicht gezogen hat. Ich steige schneller ein, wie ich ausgestiegen bin, starte in Windeseile den Motor, die Räder drehen durch, die Reifen quietschen laut und ich sehe im Rückspiegel, dass ich die schwarze Katze platt gefahren habe, die vor ein paar Minuten noch um meine Beine gestrichen ist und von mir gestreichelt werden wollte.

      Ich wage es kaum, auf dem Parkplatz vor dem alten Rentamt auszusteigen. Meine Beine zittern wie Wackelpudding und ich bleibe erst mal wie erstarrt hinter dem Steuer sitzen. Ich habe Schiss vor dem Vorstellungsgespräch. Entsetzlich Schiss! Mein Blick verfängt sich in dem Fachwerk des alten Gemäuers. Ich sehe grüne Fensterläden und liebevoll bepflanzte Holzblumenkästen vor den Butzenglasfenstern. Viereckige Blumenkübel aus Metall begrüßen die Gäste im Eingangsbereich. Ich stolpere dagegen und haue mir granatenmäßig meine Waden daran an.

      Ich sehe die Kirche hinter dem Rentamt, den riesigen Lindenbaum mit seinen zartgrünen Blättern. Und ich sehe Pat, der mit geschwollenem Gesicht und blauem Auge plötzlich neben mir steht und mich zahnlos und mit bösem Blick anstarrt.

      Entsetzt stolpere ich die zehn abgetretenen Steinstufen bis zur Holztür des Eingangs hoch und ziehe ungeduldig an dem Messinggriff. Die Tür geht nicht auf. Ich läute. Die lautlose Klingel macht mich unsicher, nach gefühlten Ewigkeiten öffnet sich endlich die Tür und ich werde von einer nach grünem Apfel duftenden Dame in schwarzem Kleid und weißer Perlenkette hereingebeten.

      Der historische Gasthof ist teilweise mit antiken Möbeln ausgestattet, an den Fensterbänken blühen Orchideen. Die Gediegenheit macht mich verlegen. Mein Herz klopft wie verrückt. Ich fürchte, die können es hören.

      Wie benebelt laufe ich nach meiner Vorstellung nach draußen. An jeder der zehn Stufen bleibe ich kurz stehen, schaue in den Himmel.

      »Danke lieber Gott. Ich habe das Gespräch überstanden.«

      Ich weiß nicht mehr, was ich gefragt wurde, was ich geantwortet habe, wann ich Bescheid darüber bekomme, ob diese ehrenwerten Leute mich einstellen werden. Es gibt viele Bewerber für diese Stelle, habe ich erfahren.

      Ich schaue auf die grauen Pflastersteine, staune über die Größe des Parkplatzes, sehe das evangelische Pfarramt vor mir und einen Rundbogen zu meiner Rechten. Eine träumerische Idylle. Mama würde es hier gefallen.

      Das Auto von Pat steht zu meiner Erleichterung nicht mehr da. Wie in Trance laufe ich auf den Rundbogen zu, der zum Anwesen des Grafen Neipperg führt, laufe hindurch, sehe eine Kapelle und wie unter Wolkenzuckerwattegefühl höre ich eine glockenreine Stimme das Ave Maria singen.

      In diesem Moment weiß ich, dass ich die Stelle bekommen werde. Der liebe Gott wird sich schon etwas dabei gedacht haben bei der Aufgabe, die er mir stellte.

      Ein Abend wie alle meine Abende. Ich setze mich auf die weiße Bank vor das Grab meiner Mutter. Dort sind meine Gedanken am klarsten. Das Wetter ist unbeständig. Trotz Regen bleibe ich sitzen, schaue zu, wie Regenperlen die Messingtäubchen links und rechts der Bank benetzen. Es sieht aus, als würden die Täubchen weinen.

      Das Grab rechts neben Mamas Grab ist übersät mit Löwenzahn, Springkraut und Disteln. Raben haben Walnüsse in der Erde versteckt, es wachsen viele kleine Walnussbäumchen auf dem Grab. Diese sind hartnäckig mit der Erde verwurzelt, stelle ich fest, als ich sie herausziehen will. Feuerkäfer laufen über meine Hände. So ein verwahrlostes Grab hat niemand verdient. Ich leihe mir einen Spaten bei dem Friedhofsgärtner aus und sorge für Würde und Ordnung. Ich fühle mich gut dabei. Und ich fühle, wie Mama zufrieden lächelt. Der kleine Prinz auf Mamas Grab schaut sehnsüchtig den Wildvögeln nach, die ihm zur Flucht vor der Erde geholfen haben. Sein steinerner Blick folgt ihnen Richtung Weinberge und untergehender Sonne. Mein Blick folgt dem Seinen. Es ist ein einzigartiges Erlebnis, wenn die Sonne in den Weinbergen versinkt. Ich spüre dann einen tiefen Frieden in mir.

      »Heute habe ich die Zusage bekommen, Mama. Ich habe am ersten Advent meinen ersten Arbeitstag im Restaurant ‚Zum alten Rentamt’ in Schwaigern. Na, was sagst du dazu? Ich werde unser Haus vermieten, Mama. Ich bekomme ein Zimmer im Rentamt und essen darf ich dort auch. Dort kocht der Chef persönlich und der kocht gut, sagen die Leute. Herr Wolf ist kreativ, lässt sich allerhand einfallen. Stell dir vor, Mama, Herr Wolf hat eine Suppe kreiert, die er Neckarbrühe nennt. Eine Ochsenschwanzsuppe ist das und da schwimmt irgendwas darin herum, in das auch Ochsenschwanz mit eingepackt wurde. Die Brühe schmeckt gigantisch, ich durfte sie bei meinem Vorstellungsgespräch probieren.

      Ich werde nicht mehr jeden Tag bei dir sitzen können, Mama. Heute bleibe ich dafür etwas länger. Ich habe mir Zeitungen vom Kiosk mitgebracht. Hör mal zu, was da steht:

      Die Heilbronner Sonderkommission Parkplatz steht vor einem Rätsel. Schon wieder zeigt ein Einbruch die Spuren der gesuchten Polizistenmörderin von Heilbronn. Bereits 30 Mal wurden diese Spuren gefunden. Die ersehnte heiße Spur blieb trotz Suchmeldung im Fernsehen aus. Das Landeskriminalamt hat 150.000 Euro zur Ermittlung der unbekannten weiblichen Person angesetzt. Es geht was ab im Ländle, Mama!«

      Mein neues Leben gefällt mir. Sehr sogar! Ich mag Küchenarbeit, das hatte ich gar nicht gewusst. Wir backen gerade Zimtsterne. Die müssen schon Wochen vor Weihnachten gebacken werden, damit sie schön durchziehen. Der Chef hat gelacht, als er meine ersten Zimtsterne sah. Von welchem Planeten kommen die denn, hat er mich gefragt. Der Typ ist cool drauf. Die Chefin aber nimmt es mit allem ganz genau. Vor der habe ich großen Respekt. Mit ihr gemeinsam soll ich die Außenfassade des alten Rentamts sowie den Innenhof weihnachtlich dekorieren. Ich habe großen Bammel davor und ich werde mir verdammt viel Mühe geben müssen, damit sie zufrieden mit mir ist.

      Ich übe nachts Sterne basteln, statt zu schlafen nach Bastelbüchern, die ich in der überschaubaren Schwaigener Dorfbibliothek, die sich neuerdings Mediathek nennt, ausgeliehen habe. Ich will meine strenge Chefin beeindrucken, verpenne und kriege einen Rüffel ab.

      Ich fühle mich verletzt, mein Hirn schaltet auf Stand-by und mit meinem vernebelten Verstand löse ich frustriert eine Fahrkarte nach Heilbronn, setze mich dort auf eine Bank vor die Gleise und beobachte das Ankommen und Abfahren der Züge. Am Bahnhofkiosk kaufe ich diverse Tageszeitungen, mache es mir mit Pappbecherkaffee in gelben Plastikstühlen bequem und staune.

      Das Phantom von Heilbronn hat schon wieder zugeschlagen. Dieses Mal wurde eine Leiche im Saarland gefunden.

      Vor dem Hauptbahnhof steigert sich das Kommen und Gehen eiliger Menschen. Die Sonne blendet mich, ich sehe nur undeutlich die S4, die nach Öhringen fährt. Es sind kaum Leute in der Bahn. Im ersten der vier Waggons macht sich der Penner breit, der gerade eben noch in den Abfalleimern vor dem Bahnhof herumgestöbert hat.

      Neben mir streiten sich lautstark zwei Nutten. Sie reißen sich heftig an ihren verfilzten zotteligen Haaren, zerkratzen ihre Gesichter mit ihren dreckigen langen Struwwelpeterfingernägeln. Elend und Fäulnis riecht aus ihren Klamotten.

      Ich muss zurück ins Rentamt, verschafft sich ein Geistesblitz Gehör. Das ist nicht mehr meine Welt! Ich schaffe es gerade noch per Anhalter nach Schwaigern zu kommen, bevor die Zimmerstunde zu Ende ist und meine Arbeitszeit beginnt.

      Links neben dem Haupteingang des alten Rentamts führen gepflasterte Steine, terrassenmäßig angelegt, steil nach unten zu einem weiteren Eingang. An der linken Innenwand befindet sich eine Holzklappe mit zwei Verschlägen. Ich hebe die Klappe hoch. Da war einmal ein Fenster? Das Loch ist mit zwei Eisenstäben abgesichert. An den Stäben sind beigefarbene Leinenbeutel mit Anglerschnur angebunden. Das sind die Säckchen, in welchen Pat sein Dope vertickt, erkenne ich verwundert und melde meinen Arbeitgebern sofort diesen Fund. Das Pächter-Ehepaar ist irritiert und die angeforderte Polizeistreife rasch da.

      Bei der späteren DNA-Analyse stellte man eindeutige Spuren des

      ‚Phantoms von Heilbronn’ fest. Diese Spuren fand man in der gleichen Nacht bei einem weiteren Einbruch an einem abgebissenen Stück Keks.

      »Wir


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