Ave Maria. Gisela Sachs

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Ave Maria - Gisela Sachs


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mache ich die Schublade wieder zu. So enden, wie die Rockröhre will ich nicht!

      Ich werde mir Badewasser einlassen. Mit Lavendelduft. Oder Orange-Melisse-Duft vielleicht? Mama hat immer in diesen Düften gebadet, wenn sie überdreht, nervös und aufgeregt war.

      »Ein warmes Bad und eine Tasse heiße Milch mit Honig, dann sieht die Welt schon wieder bunter aus.«

      Ich mache Milch heiß, rühre drei Esslöffel Lindenblütenhonig darunter, verbrenne mir die Zunge beim ersten Schluck, lasse das Badewasser einlaufen, und während ich mich ausziehe, fällt mein Blick auf das gelbe Büchlein auf dem Badewannenrand.

      Mom hat den kleinen Kerl geliebt. Sehr sogar. Obwohl sie den

      ‚Kleinen Prinzen’ von Saint-Exupèry auswendig herunterbeten konnte, hatte sie ihn immer wieder in der Badewanne nachgelesen.

      »Es muss feste Bräuche geben.«

      In Schwermut eingetaucht, weine ich um Mama, steige aus der Wanne, haste zu der Kommode im Wohnzimmer, reiße die Schublade auf, meine Freunde und Amy lachen mir voller Vorfreude zu.

      ‚Back to Black.’

      Ich lache zurück, greife mit gierig zitternden Händen nach einer Einwegspritze und schicke mich in das Land der Träume.

      Zurück in Trauer. Ich hau mich hin.

      Ich war zu lange (weg), bin froh zurück zu sein (ich wette du weißt, ich bin …).

      Ja, ich bin frei gelassen worden

      Aus der Schlinge, die mich herum hängen ließ.

      Ich habe den Himmel angeschaut, weil es mich glücklich macht. Vergiss den Leichenwagen, weil ich niemals sterbe.

      Ich besitze neun Leben. Katzenaugen.

      Beschimpfe jeden von ihnen und tobe herum. Weil ich zurück bin.

      Ja, ich bin zurück. Gut, ich bin zurück.

      Ja, ich bin zurück, zurück, zurück, zurück, zurück.

      Das Letzte was ich höre sind die Kirchenglocken der nahegelegenen Matthäus-Kirche.

      »Mamiiiiiiiiiiiiiiiiii!«

      Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen habe, was für ein Tag heute ist.

      Ist es überhaupt Tag? Ich höre einen schrillen Dauerton. Was ist mit meinen Ohren los? Tinnitus? Hält da jemand vielleicht seinen Daumen auf die Haustürglocke?

      Ich gehe ins Bad, halte meinen brummenden Schädel unter eiskaltes Wasser, lausche. Der Ton in meinen Ohren ist weg. Mann, ist mir schwindelig! Ich lege mich wieder in mein Bett. Und höre wieder diesen Dauerton. Also doch Daumen auf der Klingel?

      Ich ziehe das Rollo hoch, öffne das Fenster und mein Blick schweift suchend über unseren Vorgarten. Mir ist speiübel, mein Magen dreht sich wie der Schleudergang meiner Waschmaschine und ich kotze grüngelbe Brühe aus dem Fenster.

      Ein Schatten springt rückwärts in den Garten.

      »Da habe ich aber noch einmal Glück gehabt.«

      »Was tun sie hier?«

      »Wer sind sie?«

      »Jetzt wird es aber Zeit zum Aufstehen junger Mann.«

      Die Stimme kenne ich, kann sie aber niemanden zuordnen. Meine Brille. Verdammt noch mal, wo habe ich meine Brille abgelegt.

      »Wir hätten da ein paar Fragen.«

      »Ja?«

      »Mach mal die Haustür auf, mein Junge!«

      Jetzt erst erkenne ich Harald Meckle, den Hauptkommissar und Pressesprecher der Heilbronner Polizei. Ohne meine Brille bin ich blind wie ein Maulwurf, ich taste mich die Treppen runter bis zur Haustür.

      »Guten Morgen. Ich habe dich wohl aus deinen Träumen gerissen?«

      Was soll ich darauf antworten?

      Ich öffne die Haustür bis zum Anschlag.

      »Nach dir«, sagt Kommissar Meckle.«

      »Und immer schön der Wand entlang!«

      Meckle läuft hinter mir her, ins Wohnzimmer, schaut sich kritisch um, drückt mich sanft auf das Sofa zwischen den bunten Kissenberg, setzt sich mir gegenüber.

      »Du siehst so richtig verratzt aus!«

      »Nichts gegessen?«

      »Lange nicht mehr gewaschen!«

      »Du stinkst wie ein alter Ziegenbock!«

      Kommissar Meckle steht auf und reißt das Fenster sperrangelweit auf.

      »Dein vernebeltes Gehirn braucht Sauerstoff«, knurrt er.

      »Bin gleich wieder da.«

      Meckle hat eine Aktentasche unter dem Arm, als er zurückkommt.

      »Iss«, befiehlt er und streckt mir seine Vesperdose entgegen.

      »Leberwurst«, sagt er.

      »Mit Gurkenscheiben drauf. In der Thermoskanne ist Pfefferminztee. Pass auf, der ist noch heiß!«

      Ich esse gierig, trinke Pfefferminztee.

      »Langsam, langsam, junger Mann, sonst kommt die Brühe wieder hoch.«

      »Du wirst im Leintal-Zoo vermisst, hast deine Arbeit nicht mehr angetreten«, sagt er nach einer Weile.

      »Ja.«

      »Was ja?«

      »Ich meine nein.«

      »Was jetzt? Ja oder nein?«

      »Ich war nicht mehr dort.«

      »Wie lange nicht?«

      »Ich weiß es nicht.«

      »Aber ich.«

      »Was wissen sie?«

      »Die Fragen stelle ich hier.«

      »Aus dem Teich im Leintal-Zoo wurde eine männliche Leiche geborgen. Hast du irgendetwas Verdächtiges bemerkt? Gesehen? Eine auffällige Frau vielleicht?«

      »Nein! Ich habe keine verdächtige Frau gesehen.«

      »Und gefunden hast du auch nichts? Bist du dir da sicher? Gefüllte Leinensäckchen vielleicht? Mit Anglerschnur an Gebüsche festgebunden vielleicht?

      »Nein!«

      »Man hat dich beobachtet, Davide.«

      »Auf was wollen sie hinaus?«

      »Was genau werfen Sie mir vor?«

      »Wer hat was gesehen?«

      »Was meinen sie zu wissen?«

      Meckle streicht sich gedankenvoll über seine Stirn.

      »Viele Fragen auf einmal.«

      »Mir wisse, was mer wisse! Bist du satt Bub?«

      »Ja.«

      Kommissar Meckle packt seine Vesperdose und die Thermoskanne in seine abgeschabte braune Ledertasche.

      »Der Mann war übrigens schon tot, bevor er ins Wasser fiel. Herzinfarkt. Um den geht es nicht. Es geht um die Säckchen. Nur um das Dope. Wir beide hatten erst kürzlich das Vergnügen miteinander. Da waren auch Säckchen aus Leinen im Spiel.

      Ich komme wieder. Pass gut auf dich auf, Davide!«

      Ich finde meine Brille auf dem Boden neben meinem Schaukelstuhl, erschrecke, als ich mich im Badezimmer-Spiegel sehe.

      Das bin ich?

      Ich halte das fremde Gesicht unter die Brause und hoffe auf die schnelle Wirkung eiskalten Wassers. Ich sollte mich rasieren, sehe aus wie ein Igel. Wo sind meine Rasierklingen? Ich wühle im Badezimmerschrank und Schubladen. Meine Beine sind


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