Ave Maria. Gisela Sachs

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Ave Maria - Gisela Sachs


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schon soweit eingearbeitet, dass sie ihn in unser Haus einführen können. Wir sind sehr zufrieden mit ihnen.«

      Mann oh Mann, was geht? Geil!

      Mein Herz rast, als mir am nächsten Morgen Pat als mein neuer Arbeitskollege, den ich in das Haus einweisen soll, vorgestellt wird. Er hat abgenommen. Viel. Wirkt hager. Hat neue Zähne. Seine mit Gel bearbeiteten Haare sind sehr kurz geschnitten. Er trägt eine schwarze Stoffhose, ein weißes Hemd und schwarze Lederschuhe. Der war wohl auch bei Röther, denke ich. Pat sprüht nur so vor Charme. Wie früher.

      Schweigend führe ich ihn durch das alte Gemäuer, zeige ihm das ehrwürdige Haus, den Innenhof, den Weinkeller, lasse ihn fragen, reden, gebe keine Antwort. Er will mir Dope verticken, rafft es nicht, dass ich clean bin, hält mir das Zeug immer wieder unter die Nase. Mit einer raschen Bewegung schlage es ihm aus der Hand. Pat grinst hämisch, als er das Leinensäckchen vom gepflasterten Boden aufhebt und in seiner Hosentasche verschwinden lässt.

      »Dich krieg ich wieder«, sagt er beim langsamen Hochgehen und fasst mir in den Schritt. Ich bekomme sofort einen Steifen und werde wütend über die Macht, die Pat immer noch über mich hat. Wenn ich ihm jetzt eine in die Fresse haue, verliere ich meinen Job. Verrate ich ihn bei meinen Arbeitgebern, verrate ich mich selbst. Ich zähle bis 100, um mich zu beruhigen.

      Pat wohnt im Zimmer neben mir und ich sehe und höre diesen Mistkerl bei Tag und bei Nacht. Sein Fernseher läuft so laut, dass ich die Nachrichten durch die Wände hören kann.

      Das Phantom von Heilbronn ist eine Packerin aus Bayern, höre ich erstaunt. Ganz Deutschland war auf der Suche nach dem Phantom von Heilbronn. Es hätte Flügel haben müssen, um an 40 verschiedenen, weit auseinanderliegenden Orten in Baden Württemberg, Rheinland Pfalz, dem Saarland und Österreich präsent gewesen zu sein. 32 Verbrechen, darunter drei Morde, verteilt auf drei Staaten ließ Deutschland zittern. Wie man jetzt erst herausgefunden hat, stammen die DNA-Spuren von einer Fabrikarbeiterin eines Wattestäbchenherstellers, der die Polizei beliefert.

      Manchmal klopft Pat nachts an meine Tür, will zu mir ins Bett. Ich habe Angst vor ihm und schließe mich ein.

      Pat und ich müssen gemeinsam Zimtsterne backen. Er stellt sich geschickter an, als ich beim ersten Mal, werkelt und werkelt den Teig mit Begeisterung hin und her, rollt ihn in seinen Händen zu einer dicken Wurst und schaut mir dabei provokant in die Augen.

      Mein Herz klopft wie wild, mein Magen zieht sich schmerzhaft zusammen, ich spüre einen Kloß im Hals und schäme mich über die Beule in meiner Hose.

      Vollmond. Ein lautes Rumsen schreckt mich aus dem Schlaf. Erschrocken hüpfe ich aus dem Bett und schaue in den Gang vor meinem Zimmer, sehe Pat, der nackt umherwandelt, zielsicher die Küche anpeilt, mit einer Hand voll Zimtsternen zurückkommt und wieder schlafen geht. Es fühlt sich an wie früher.

      Ich bin jetzt hellwach, mache einen Spaziergang rund um das Rentamt, laufe unruhig das ganze Gelände des Grafen Neipperg ab. Es ist weitläufig, dicht mit Büschen bepflanzt und mit Eisenstäben umzäumt, die wie Lanzen aussehen. Nur vereinzelt kann man einen winzigen Blick in den riesengroßen Park werfen. Ich höre eine Nachtigall singen.

      Hinter der Holzklappe finde ich wieder diese Säckchen aus grobem Leinen. Ich schneide das Anglergarn durch, und sie verschwinden in die dunkle Tiefe des Kellers. Ich höre Ratten davonhuschen. Auf unserem Gang ist es ruhig. Pat scheint zu schlafen.

      Aufgeregtes Hin und Her, geschäftiges Treiben, dann Türen schlagen, laute Stimmen und Geklapper aus der Küche haben unsanft viel zu früh meine Träume beendet. Verschlafen schaue ich aus dem Fenster, sehe zwei Polizeiautos auf dem Parkplatz davor. Dann klopft es auch schon heftig an meiner Zimmertür. Ich soll herunterkommen, befiehlt die Chefin.

      Was ich heute Nacht in der Küche gemacht habe, fragt sie mich kalt. Die örtlichen Polizisten durchsuchen das Haus und werden in meinem Zimmer fündig. Die Süßwasserperlenkette der Chefin, auf die sie ganz stolz ist, steckt in einem meiner Frotteesocken. Daneben, unter dem Stapel bunter Boxershorts, liegen drei benutzte Spritzen, ein paar Leinensäckchen mit Dope und die fehlenden Scheine aus der Küchenkaffeekasse.

      Unter meinem Bett finden sich zahllose andere Gegenstände, die in letzter Zeit auf mysteriöse Weise verschwunden waren und ich mache große Augen, als ein benutzter String meines Chefs zum Vorschein kommt. Die Finger des Polizisten bleiben daran kleben und der Beamte verzieht angeekelt sein Gesicht, rennt ans Waschbecken und schrubbt seine Finger, bis sie rotblau leuchten. Mir stockt der Atem. Pat und die Chefin tauschen Blicke, die ich nicht einordnen kann.

      Ich werde fristlos entlassen, darf noch im Rentamt wohnen bleiben, bis ich ein neues Zuhause gefunden habe. Zum Essen gibt es aber hier nichts mehr für mich.

      »Haben Sie eine Ahnung, was hier vorgeht?«, fragt meine Chefin einen der Polizisten.

      »Ich darf ihnen leider keine Antwort auf ihre Frage geben, dafür ist Hauptkommissar Meckle zuständig.«

      »Können sie sich das hier erklären Herr Meckle?«, fragt Frau Wolf süffisant.

      »Ahnen oder wissen sie etwas?«

      Ich lausche gespannt einer Antwort. Von Harald Meckle, dem Hauptkommissar und Pressesprecher der Polizei von Heilbronn habe ich schon einiges gelesen und gehört. Er leitet die Soko der ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter, sucht verzweifelt nach dem ‚Phantom von Heilbronn’.

      »Wissen sie«, sagt Kommissar Merkle und reibt sich nachdenklich die Stirn.

      »Mir wisse, was mer wisse!«

      Es ist verdammt schwer eine Wohnung zu finden, wenn man keine Arbeit hat.

      Meine unausgefüllten Tage verbringe ich meist bis zum Sonnenuntergang auf der weißen Bank vor dem Grab meiner Mutter.

      Kleiner Prinz, so nach und nach verstehe ich dein schwermütiges Leben, das du hattest. Ich habe auch nur die Lieblichkeit der Sonnenuntergänge.

      »Gute Nacht Mama, bis Morgen.«

      Der volle Mond hängt milchweiß über mir, als ich vor dem alten Rentamt in Schwaigern ankomme, scheint grell in mein Zimmer. Ich lege mich samt meiner Klamotten aufs Bett und lausche angespannt nach draußen auf den Gang, muss nicht lange warten, bis ich das Knarren von Pats Zimmertüre höre. Er stolpert den Gang entlang, haut sich an allen Ecken und Kanten an, sieht mich nicht, als ich das Fenster, auf das er zusteuert, öffne. Ich gehe zitternd zurück in mein Bett.

      Pat war schon kalt, als ihn die Zeitungsausträgerin in den frühen Morgenstunden auf dem grauen Steinpflaster fand. Über seinen weit aufgerissenen Augen hängt ein gefrorener Blutschleier, der wie ein filigranes Kunstwerk aussieht. Sein herausgequollenes Hirn umrahmt seinen Kopf wie ein Heiligenschein. Die Pflastersteine in der Gegend seines Unterleibs sind braun gesprenkelt. Der Geruch von Kot schwebt durch die Luft. Pats nackte Beine sind grotesk verdreht. Sein kleiner schlaffer Pippimann liegt mit den Beinen auf gleicher Höhe, umrahmt von Thujazweigen aus der Weihnachtsdekoration des viereckigen Pflanzkübels davor. Es sieht so aus, als hätte sein kleiner Freund einen Siegeskranz umgelegt bekommen und ich lache hysterisch, als ich mit meinen paar Habseligkeiten im Rucksack an ihm vorbeilaufe.

      »Lieber Gott, ich wollte doch nicht, dass Pat stirbt.«

      »Ich bin ein Mörder!«

      »Mama, ich bin ein Mörder. Ich habe Pat umgebracht. Es ist so viel geschehen, seit du tot bist, Mom. Mein Leben ist verwirrt. Mir kommt alles so unwirklich vor. Du bist wegen mir gestorben, Mami! Weil ich das Müsli nicht ohne Haselnüsse essen wollte! Mein Zuckerwattegehirn spielt mir oft Streiche. Ich höre dich reden, singen, lachen, kann dich sogar riechen und fühlen. Ich habe mein Studium geschmissen, Mom!

      Du bist wirklich tot, Mami?«

      Damals.

      »Verdammte Scheiße! Keine Haselnüsse für mein Müsli im Haus. Du bist schuld, wenn ich durch meine Matheklausur rassele. Wo ist mein grünes T-Shirt verdammt noch mal? Immer noch in der Wäsche?«

      Wütend knalle ich die Küchentüre zu, setze einen Tritt mit dem Fuß nach. Es reißt ein Ei großes Loch in die Tür.


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