Ave Maria. Gisela Sachs

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Ave Maria - Gisela Sachs


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scheinen viele andere Leute auch zu wissen, das Café ist hoffnungslos überfüllt. An einem der Tische entdecke ich meine Patentante Hanna, Mamas beste Freundin. Ich freue mich sie zu sehen und winke ihr wild zu.

      »Tante Hanna«, schreie ich aufgeregt und will an ihren Tisch laufen.

      »Bleib hier«, sagt Mama, packt mich an meinem Arm und zieht mich aus dem Café hinaus auf die Straße. Mama schnauft ganz laut und zittert.

      »Ist dir schlecht geworden Mami?«, frage ich ängstlich. Ich sehe Tante Hanna durch die Glasscheibe, sie lacht mit den Frauen an ihrem Tisch. Ich klopfe an die Scheibe und winke. Tante Hanna sieht mich, winkt aber nicht zurück.

      »Komm Davie«, flüstert Mama und wir gehen, ohne Eis zu essen, setzen uns an eine Bank am Neckar und füttern schweigend die Enten mit der verkrümelten Brezel, die ich noch in meinem Rucksack hatte. Ich sehe, dass Mama weint und bleibe ganz brav sitzen.

      Manche Dinge erledigen sich von selbst, hatte Mama immer gesagt.

      In meinem überfüllten Postfach in der Heilbronner Hauptpost finde ich einen Brief meiner Mieter. Neugierig reiße ich ihn auf, lese ihn im Laufen. Ich muss mich beeilen, meine Überraschung steht im Halteverbot. Es gab wieder einmal weit und breit keinen freien Parkplatz.

      Familie Braune fragt an, ob sie früher aus dem Mietvertrag aussteigen könne, sie haben auch schon einen Nachmieter parat. Berufliche Veränderung sei angesagt. In vier Wochen schon. Ich solle mich doch bitte melden.

      »Manche Dinge erledigen sich von alleine Mom. Da hast du recht wie immer! Ich wohne wieder in unserem Haus, Mama. Es ist fast wie früher. Unsere Möbel habe ich wieder so hingestellt, wie wir sie stehen hatten. Die Kommode, unsere Bilder, das Geschirr und die Bettwäsche habe ich vom Dachboden heruntergeholt, den Rest lasse ich vorerst noch oben.

      Der Karton mit der Bettwäsche war angeknabbert wahrscheinlich von einer Maus. Ich habe vorsorglich drei Fallen mit Leberwurst eingestrichen und auf dem Dachboden verteilt, hatte gerade nichts anderes da. Mäuse mögen doch Leberwurst, Mom, oder?

      Unsere Kissen auf dem Sofa habe ich so aufgereiht, wie du es immer gemacht hast. Farblich sortiert. Grün. Gelb. Orange. Blau. Violett. Ich schlage auch immer mit der flachen Hand in die Kissen. Mein Schlitz sitzt perfekter in der Mitte als deiner, Mom.

      ‚My home is my Castle’. Jetzt lachst du über mich Mom, gell?!

      Die Familie Braune hat gut auf unser Haus aufgepasst, es ist nichts beschädigt und der Garten sieht fast so gepflegt aus wie bei dir. Die Braunes haben ihre restlichen Lebensmittel bei mir stehen lassen. Sie scheinen sich von Fertigprodukten zu ernähren. Ich habe eine dieser Dosen geöffnet. Linsensuppe mit gerauchtem Schweinefleisch stand da drauf. Ausgesehen und gerochen hat die Pampe aber wie Katzenfutter und geschmeckt, wie schon einmal gegessen.

      Mein Fiat ist gerade mal wieder in Reparatur, Mom. Diesmal sind es die Zündkerzen. Hoffentlich bleibt es dabei. Ich bin fast pleite.

      »Im Leintal-Zoo in Schwaigern werden ehrenamtliche Helfer zur Pflege eines alten Pferdes gesucht, da werde ich mich melden. Ich will mich sinnvoll beschäftigen, bis ich eine feste Arbeitsstelle habe. Meine Bachelornoten sind nicht gerade der Burner. Vielleicht ist das der Grund, warum mich niemand einstellen will. Eher aber, weil ich schwul bin, denke ich. Die Arbeitgeber haben reichlich Auswahl. Von meinem Studiengang haben nur drei Studenten eine Anstellung bekommen. Die meisten haben sich notgedrungen dafür entschieden, den Master zu machen. Das kann ich mit meinen Noten aber kicken, habe auch kein Geld für die Studiengebühren.

      Ich muss dir etwas erzählen Mom. Nicht heute, irgendwann einmal.«

      Am Eingangstor zum Leintal-Zoo begrüßt mich lautes Tiergeschrei. Ich melde mich als ehrenamtlicher Helfer am Kassenhaus, die Dame freut sich, ich darf mich im Park umschauen, der Chef kommt erst in einer Stunde. Sie drückt mir eine Tüte säuberlich geschnittener Karotten, Apfelschnitze und eine Wegbeschreibung in die Hand.

      Nach ein paar Metern Fußweg stehe ich Auge in Auge mit einem Kranich.

      Hiiilfe! Ich habe gar nicht gewusst, dass diese Viecher so groß sind. Ich peile als erstes den ‚Lebensbereich Teich’ an, danach den Naturlehrpfad und den ‚Lebensraum Steinhaufen’. Die Schreie der Kraniche, Pfauen und Affen verfolgen mich. Ein grauseliges Orchester!

      Zwei Stunden später habe ich statt einer ehrenamtlichen Tätigkeit einen Vertrag für einen Minijob in der Tasche. Ich soll nach Parkschluss mit dem Rad das Zoo-Gelände abfahren, nachschauen, ob sich niemand darin versteckt hat, bei den Tieren alles in Ordnung ist, die Wege säubern und die Mülleimer leeren.

      An meinem dritten Arbeitstag werde ich fündig. Der ‚Lebensbereich Teich’ ist mit Holz überdacht, links und rechts sind Betonwände, zum Teich hin eine Glaswand. Da hat es sich einer bequem gemacht, sehe ich.

      »Sie müssen den Park jetzt bitte verlassen.«

      »Warum?«

      »Weil wir jetzt schließen.«

      »Ist doch mir egal.«

      »Uns aber nicht. Bitte gehen sie.«

      »Arschloch!«

      »Gehen sie endlich!«

      »Lass mich in Ruhe.«

      Der verwahrloste Mann will sein behagliches Bett aus alten Zeitungen nicht aufgeben, nimmt immer wieder einen tiefen Schluck aus seiner Pulle mit dem Meckstädter Doppelkorn und ich versuche noch einmal den Eindringling höflich daran zu erinnern, dass wir jetzt Feierabend haben und er hier unerwünscht ist.

      Der grauselig riechende Mensch wird wütend, schmeißt mir voller Wut die halb volle Flasche ins Gesicht, meine Nase knackt laut, mein Blut spritzt wie eine Fontäne in alle Richtungen, ich sehe Sterne. Viele. Sternenhimmel!

      »Volltreffer«, grölt der Penner begeistert.

      Ich ziehe den Kerl an seinen Haaren hoch, schüttle ihn, knalle ihn gegen das Holzgeländer an der Brücke, mein Blut läuft über sein Gesicht und ich schlage wütend auf ihn ein. Schlage immer wieder ein in seine blöd grinsende Fresse.

      »Verschwinde endlich.«

      »Halt’s Maul du Arsch-Ficker.«

      Ich versetze dem besoffenen Typen einen kräftigen Stoß mit meiner Faust, schubse ihn vor mir her, wie einen bockigen Esel. Ein Schubser. Er bleibt stehen. Ein Schubser. Er bleibt wieder stehen.

      »Lauf endlich!«

      »Halt dei Gosch.«

      Ich schubse ihn kräftiger, setze einen Fußtritt hinterher, trommle mit meinen Fäusten auf seinen Rücken ein, da fällt der Kerl in den Teich, gibt keinen Mucks mehr von sich und säuft so schnell zwischen Seerosen und Sumpfdotterblumen ab, dass ich staune.

      Ich setze meinen Rundgang fort und finde eine leere Spritze im

      ‚Lebensraum Hecke’. Als ich sie aufheben will, huscht eine Spitzmaus erschreckt vor mir davon.

      ‚Lebensraum Hecke’ zerkratzt meine Beine, meine Hände, meine Sinne. Durch Spinnwebenkunstwerke sehe ich schemenhaft Säckchen aus Leinen baumeln. Ich schneide wieder einmal das Anglergarn durch, stecke die Leinensäckchen in meine Hosentasche, verschweige meinen Arbeitgebern den Fund.

      Sorgfältig überprüfe ich den Spielplatz, laufe über das Klettergerüst, krabble suchend über das gelb rot blaue Trampolin. Ich bin erleichtert, als meine Suche ergebnislos verläuft. Die Kinder sollen Kinder bleiben dürfen.

      Hinter dem alten Holunderbaum nahe dem Holzsteg beim ‚Lebensbereich Teich’ werde ich abermals fündig. Ich verstaue die Leinenbeutel vorerst in meiner Hosentasche, dann bei mir zuhause in der Kommode im Wohnzimmer.

      »Im Teich des Affen-Zoos in Schwaigern liegt eine Leiche«, melde ich der zuständigen Polizeidienststelle in Lauffen und lege den Hörer auf, bevor man mich etwas fragen kann. Erschöpft sinke ich in meinen Schaukelstuhl vor dem Wohnzimmerfenster.

      Ich schaukele hoch und runter und immer wieder hoch und runter.


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