Geschichte des peloponnesischen Kriegs (Alle 8 Bände). Thukydides
Читать онлайн книгу.verfloß kein volles Jahr, bis sie, nachdem die nöthigen Einrichtungen getroffen waren, in Attika einfielen, und den offenen Krieg begannen.
126. In der Zwischenzeit schickten sie Gesandtschaften nach Athen, um ihre Beschwerden vorzubringen, damit, wenn sie kein Gehör fänden, der Krieg um so mehr gerechtfertigt erschiene. Durch die erste verlangten die Lacedämonier von den Athenern, sie sollten den Greuel tilgen, wodurch Athens Schubgöttin entheiligt wäre. Mit diesem Greuel hatte es folgende Bewandtnis. Es war vormals in Athen ein Bürger Cylon, der in Olympia einen Preis erhalten hatte, von edlem Geschlechte und großem Ansehen, vermählt mit einer Tochter des Theagenes, des Megareers, der damals Gewaltherrscher in Megara war. Eylon hatte das Orakel zu Delphi befragt, und die Antwort erhalten, er solle an dem größten Feste des Zeus die Burg von Athen besetzen. Er zog nun Kriegsvölker von Theagenes an sich, und gewann seine Freunde für seinen Plan ; und als das Olympische Fest im Peloponnes eintrat, so besetzte er die Burg, um der Alleinherrschaft sich zu bemächtigen (um das Jahr 600), in der Meinung, dieß sei das größte Fest des Zeus, das ihr als olympischen Sieger noch näher anginge. Ob aber in Attika oder sonst wo ein Fest das größte genannt werde, daran dachte er weiter nicht, und das Orakel hatte sich nicht darüber erklärt. Die Athener haben aber auch ein Fest, genannt Diasia, welches außerhalb der Stadt gefeiert wird, und das größte Fest des Zeus Milichius16 heißt, wobei das ganze Volk opfert, aber keine Schlachtthiere, sondern Opferkuchen, wie sie im Lande üblich sind. Er aber, in der Meinung, seine Ansicht sei die richtige, schritt zur Ausführung seines, Planes. Als die Athener dieß erfuhren, so rückten sie schaarenweise vom Lande gegen Cylons Partei, lagerten sich, vor der Burg, und schlossen sie ein. Da aber die Sache sich verzog, wurden die Athener der Beschwerden der Belagerung überdrüssig, zogen großentheils ab, und überließen es den neun Archonten, die Wachen und alles Uebrige mit uneingeschränkter Vollmacht und nach Gutdünken anzuordnen. Diese Behörde verwaltete damals die meisten Staatsgeschäfte. Die Anhänger des Cylon aber geriethen durch die Belagerung aus Mangel an Lebensmitteln und Wasser in große Noth. Cylon und sein Bruder entkamen. Die Uebrigen aber, als sie so im Gedränge waren, und schon Einige Hungers starben, setzten sich als Flehende auf den Altar in der Burg. Die Athener aber, denen die Wache aufgetragen war, als sie sahen, daß Jene in dem Heiligthume mit dem Tode rangen, forderten sie auf, wegzugehen, mit dem Versprechen, ihnen kein Leid zuzufügen: und so führten sie sie weg, und tödteten sie. Auch brachten sie Einige um, die sichy im Vorbeigehen auf die Altäre der ehrwürdigen Göttinnen (Eumeniden, Furien) gesetzt hatten. Daher wurden sie und ihre Nachkommen Greuelbeladene und Frevler an der Göttin genannt. Die Athener hatten nun zwar diese Verbrecher verbannt; dasselbe that auch später Kleomenes, der Lacedänonier, mit den zum Aufstande vereinigten Athenern, wobei die Lebenden vertrieben, und die Gebeine der Todten ausgegraben und weggeworfen wurden. Doch durften jene später in die Heimath zurückkehren: und noch befindet sich ihr Geschlecht in der Stadt.
127. Die Lacedämonier verlangten nun die Tilgung dieses Greuels, zunächst unter dem Scheine, die Ehre der Götter zu rächen, in der That aber, weil sie wußten, daß Perikles, des Xanthippus Sohn, von mütterlicher Seite mit den Greuelbeladenen verwandt war, und dachten, wenn Perikles verbannt wäre, so würde es ihnen eher mit den Athenern gelingen. Doch erwarteten sie nicht sowohl, daß ihm dieß widerfahren würde, als, daß es ihn bei der Stadt in schlimmen Ruf bringen dürfte, wenn man dieses sein nachtheiliges Verhältniß zum Theil als Ursache des Krieges ansähe. Denn er war der angesehenste unter seinen Zeitgenossen, und leitete die Staatsgeschäfte, und war in Allem den Lacedämoniern entgegen, und rieth immer den Athenern, nicht nachzugeben, sondern trieb sie zum Kriege an.
128. Zur Erwiederung verlangten nun die Athener von den Lacedämoniern, sie sollten den Greuel von Tänarus til: gen. Denn die Lacedämonier hatten einst flehende Schützlinge aus den Heloten vom Tempel des Poseidon in Tänarus weggelockt, sie abgeführt und getödtet. Man glaubt daher auch, das große Erdbeben in Sparta sei darum über sie gekommen. Ferner verlangten sie, Sparta sollte den Greuel, am Tempel der Athene Chalkiökos17 verübt, tilgen. Diese Sache verhielt sich also. Als Pausanias, der Lacedämonier, das erstemal durch die Spartaner von seiner Befehlshaberstelle im Hellesponte abberufen, von ihnen vor Gericht gezogen wurde, und von der Schuld freigesprochen war, so wurde er zwar von Staatswegen nicht mehr mit einer Sendung beauftragt: aber er nahm auf eigene Kosten einen Hermioneischen Dreiruder, und begab sich, ohne Genehmigung der Lacedämonier, in den Hellespont, unter dem Vorwande, an dem Hellenischen Kriege Theil zu nehmen, in der That aber, um für die Sache des Perserkönigs zu arbeiten, wie er es schon früher, als er nach der Oberherrschaft über Hellas trachtete, versucht hatte. Er hatte sich, um das ganze Unternehmen einzuleiten, den König zuerst durch folgende Gefälligkeit verpflichtet. Als er bei seiner früheren Anwesenheit nach dem Abzug von Cypern Byzanz eroberte, das von den Persern besetzt war, worunter sich einige Angehörige und Verwandte des Königs befanden, die dort gefangen wurden, so sendete er diese Gefangenen, ohne Vorwissen der übrigen Bundesgenossen, dem Könige heimlich zurück, und gab vor, sie seien ihm entwischt. Dieß veranstaltete er mit Hülfe des Eretriers Gongylus, dem er Byzanz und die Gefangenen anvertraut hatte. Diesen schickte er auch mit einem Briefe an den Perserkönig, der, wie man später fand, folgenden Inhalts war: "Ich Pausanias, Feldherr von Sparta, sende, um Dir eine Gefälligkeit zu erweisen, diese meine Kriegsgefangenen Dir zurück, und bin geneigt, wenn es Dir so gefällt, mit Deiner Tochter mich zu vermählen, und Sparta und das übrige Hellas unter Deine Botmäßigkeit zu bringen. Ich glaube auch, im Einverständnisse mit Dir im Stande zu sein, dieß zu bewerkstelligen. Genehmigst Du nun einen dieser Vorschläge, so sende einen zuverlässigen Mann an die Küste, durch den wir ferner unterhandeln können."
129. Dieß war der Inhalt des Schreibens. Dem Xerres war dieser Brief sehr angenehm ; er sandte den Artabazus, des Pharnakes Sohn, in die Seeprovinzen, mit dem Auftrage, die Statthalterschaft Daskylium18 zu übernehmen, und den Megabates, den bisherigen Statthalter, abzulösen: auch übergab er ihm ein Antwortschreiben mit dem Auftrag, es unter Vorweisung des Siegels sobald wie möglich übergeben zu lassen; und wenn Pausanias in seiner Angelegenheit etwas durch ihn bestellen wollte, so sollte er es mit aller Sorgfalt und Treue ausrichten. Er that nach seiner Ankunft, wie ihm befohlen war, und überschickte den Brief, der folgende Antwort enthielt: "Dieses entbeut der König Xerres dem Pausanias: die Gefälligkeit, welche du durch sichere Uebersendung der Männer aus Byzanz von der andern Meeresküste herüber mir erwiesen, wird bei meinem Hause in beständigem Andenken bewahrt bleiben. Auch deine Vorschläge billige ich. Betreibe Tag und Nacht unablässig das, was du mir versprochen. Weder an Gold und Silber, noch an Heeresmacht soll es dir fehlen, wenn solche irgend erforderlich sein sollten. Verhandle nun mit Artabazus, einem rechtschaffenen Manne, den ich an dich sende, meine und deine Angelegenheit, wie es für uns beide am besten und zuträglichsten sein wird."
130. Pausanias, der wegen des Oberbefehls bei Platäa schon zuvor bei den Hellenen in großem Unsehen stand, wurde nun nach Empfang dieses Schreibens noch übermüthiger, und konnte es nicht über sich gewinnen, nach hergebrachter Weise zu leben, sondern legte Persische Kleidung an, verließ Byzanz, und ließ sich auf einer Reise durch Thrazien von Persischen und Egyptischen Trabanten begleiten: richtete seine Tafel auf Persischen Fuß ein, und vermochte seine Gesinnung nicht zu verbergen, sondern verrieth bereits im Kleinen durch sein Betragen, was er im Großen später zu thun im Sinne hatte. Er wurde schwer zugänglich, und nahm gegen Jedermann ohne Unterschied ein so unerträglich hochfahrendes Wesen an, daß sich Niemand ihm nähern mochte. Dieß war auch eine Hauptveranlassung, warum der Bundesverein zu den Athenern überging.
131. Als die Lacedämonier dieses vernahmen, so riefen sie ihn das erstemal deshalb zurück. Da er nun zum zweitenmale mit dem Hermionischen Schiffe, ohne ihre Erlaubniß, hingesegelt, und es augenscheinlich war, daß er mit solchen Dingen umginge; als er ferner von den Athenern durch Gewalt genöthigt wurde, Byzanz zu verlassen, und nicht nach Sparta zurückkehrte, sondern sich in Kolonä, im Trojischen Gebiete niederließ, und die Klage vor die Spartaner gebracht wurde, daß er mit den Persern unterhandle, und in schlimmer Absicht dort verweile: so nahmen die Ephoren nicht länger Anstand, und schickten einen Herold mit einem Roubriefe19