Geschichte des peloponnesischen Kriegs (Alle 8 Bände). Thukydides
Читать онлайн книгу.aus Athen und Argos von seinen Freunden die Summen, welche er heimlich in Verwahrung gegeben hatte): und reiste dann mit einem Perser, der an der Küste Asiens wohnte, in's Innere des Landes, und sandte ein Schreiben an den König Artorerres, den Sohn des Xerres, der seit Kurzem die Regierung angetreten hatte. Der Inhalt des Schreibens war folgender:
"Ich Themistokles komme zu Dir, der ich, so lange ich mich gegen Deines Vaters Angriff nothgedrungen zu vertheidigen hatte, Deinem Hause am meisten unter allen Hellenen Schaden zugefügt, aber auch noch weit mehr Gutes er: wiesen habe, nachdem ich mich wieder in Sicherheit befand, er aber unter Gefahren sich zurückzog. Man ist mir also Dank für eine Wohlthat schuldig (hier führte er in seinem Schreiben an, wie er jenen von Salamis aus wegen des Rückzugs zu rechter Zeit Nachricht gegeben, und wie durch ihn damals die fälschlich vorgegebene Zerstörung der Brücken hintertrieben worden): und auch jetzt noch im Stande, Dir wichtige Dienste zu leisten, bin ich hier angekommen, da mich die Hellenen wegen meiner Freundschaft gegen Dich verfolgen. Ich will aber nach Jahresfrist Dir selbst eröffnen, warum ich hieher gekommen.".
138. Der König bewunderte, wie man erzählt, den Verstand des Mannes, und billigte seinen Plan. Er aber machte sich während der genommenen Frist mit der Persischen Sprache und den Landessitten, so viel wie möglich, bekannt. Nach Verfluß des Jahres erschien er vor dem König, und gelangte bei ihm zu großem Ansehen, wie noch kein Hellene, theils wegen des zuvor erworbenen großen Ruhmes, theils weil er dem Könige Hoffnung machte, ihm die Hellenischen Staaten zu unterwerfen, vornehmlich, aber, weil er ihm nach den gegebenen Proben als ein einsichtsvoller Mann erschien. Denn in der That war Themistokles ein Mann, in welchem sich die Kraft der Natur auf's stärkste offenbarte, und er war in dieser Hinsicht vorzugsweise vor Andern der Bewunderung werth. Denn er wußte durch seinen natürlichen Verstand, ohne diesen durch frühern oder spätern Unterricht unterstützt zu haben, nach ganz kurzer Ueberlegung plötzliche Vorfälle trefflich zu beurtheilen, und bei künftigen Dingen den wirklichen Erfolg meist ganz richtig zu errathen. Das, womit er sich beschäftigte, verstand er auch als Redner gut auszuführen, und selbst die geschickte Beurtheilung dessen, wovon er nicht unterrichtet war, blieb ihm nicht fremde. Auch bei dem, was noch die Zukunft verhütte, sah er das Bessere oder Schlimmere trefflich voraus. Er besaß, um mit Einem Worte Alles zu sagen, in hohem Grade den Vorzug, durch die Kraft der Natur und durch kurzes Nachdenken das Rechte augenblicklich herauszufinden. Er starb an einer Krankheit. Nach einigen Berichten hin: gegen roll er sich durch Gift getödtet haben, weil er sich ausser Stand glaubte, dem Könige seine Versprechungen zu erfüllen. Sein Grabmal steht auf dem Marktplatze zu Magnesia in Asien. Denn er war Statthalter dieser Gegend gewesen, da der König ihm Magnesia, welches jährlich fünfzig Talente eintrug, zum Brode, Lampsakus, welches den Ruf hatte, damals eine der weinreichsten Gegenden zu sein, zum Weine, und Myus zur Zuspeise angewiesen hatte. Seine Gebeine aber wurden, wie seine Angehörigen behaupten, seiner Anordnung gemäß, in die Heimath gebracht, und ohne Wissen der Athener in Attika beerdigt: denn es war nicht erlaubt, ihn dort zu begraben, da er als hochverräterischer flüchtig geworden war. So endete Pausanias der Lacedämonier, und Themistocles der Athener, die unter den Hellenen ihrer Zeit den glänzendsten Ruhm erlangt hatten.
139. Dieses waren nun die Ausinnen und Gegenforderungen, welche die Lacedämonier bei der ersten Gesandtschaft wegen der Verbannung der Fluchbeladenen machten und er: hielten. Später brachten sie wiederholt bei den Athenern das Begehren vor, sie sollten von dem Angriffe auf Potidäa ablassen, und Aegina die Unabhängigkeit gewähren. Auf's dringendste und bestimmteste aber erklärten sie, eine Bedingung der Abwendung des Krieges sei die Aufhebung des Beschlusses gegen Megara, wodurch, bestimmt war, daß die Megareer zu den Häfen in dem Athenischen Gebiete und zu den Attischen Märkten nicht sollten zugelassen werden. Allein so wenig die Athener in die übrigen Forderungen willigten, so wenig hoben sie jenen Beschluß auf, in welchem sie als Beschwerde gegen die Megareer die Anpflanzung des heiligen Feldes und der noch nicht abgegrenzten Ländereien, und die Aufnahme ihrer entlaufenen Sklaven aufstellten. Endlich da zum letztenmale Rhamphias, Melesippus und Agesander als Gesandte von Sparta ankamen, und, ohne der früher gewöhnlichen Forderungen zu erwähnen, blos ihre Erklärung in folgende Worte faßten: „die Lacedämonier wünschen den Frieden, und er werde fortbestehen, wofern Athen den Hellenen Unabhängigkeit gewähre," so veranstalteten die Athener eine Volksversammlung, und machten dieß unter sich zum Gegenstande der Besprechung: und man beschloß, ein für allemal das Ganze zu berathen, und eine Antwort zu ertheilen. Es traten nun verschiedene Redner auf, und die Meinungen waren getheilt: einige sagten, man solle die Waffen ergreifen: andere, jener Volksbeschluß rolle kein Hinderniß des Friedens werden: sondern man müsse ihn aufheben. Da trat auch Perikles auf, damals der erste Mann in Athen, ein eben so gewaltiger Redner als einflußreicher Staatsmann, und ermunterte sie durch folgende Rede:
140. "Noch immer, ihr Athener, beharre ich bei meiner Ansicht, daß man den Peloponnesiern nicht nachgeben dürfe, wiewohl ich weiß, daß die Menschen nicht dieselbe Lebhaftigkeit des Eifers, mit der sie sich zum Kriege bestimmen lassen, auch bei der wirklichen Ausführung behaupten: sondern daß mit den Glücksfällen auch die Gesinnungen wechseln. So sehe ich denn auch jetzt keinen andern Rath, den ich euch ertheilen könnte: und mache die Anforderung an diejenigen unter euch, welche mir beipflichten, daß sie unsere gemeinsamen Beschlüsse, auch im Falle, daß wir einen Stoß erleiden sollten, unterstützen, oder daß sie bei glücklichem Erfolge auch die klugen Plane sich nicht beimessen. Denn es ist möglich, daß die Fügungen des Zufalls einen eben so ungeschickten Gang nehmen, als die Gedanken der Menschen: daher sind wir auch gewohnt, wenn etwas Auffallendes sich ereignet, die Schuld dem Glücke beizumessen. Entschieden ist es, daß die Lacedämonier schon längst, und jetzt besonders, feindselige Absichten gegen uns hegen. Denn wiewohl ausdrücklich festgesetzt worden ist, daß beide Theile bei gegenseitigen Zwistigkeiten sich einer gerichtlichen Entscheidung zu unterwerfen haben, und daß jeder Theil im Besitz dessen, was er hat, bleiben solle, so haben doch sie noch keine rechtliche Verhandlung verlangt, noch unser Anerbieten derselben angenommen. Sie wollen lieber durch Krieg als durch Unterhandlung die Beschwerden erledigt wissen, und treten jetzt befehlend, und nicht mehr beschwerdeführend auf. Sie verlangen, wir sollen von unserm Angriffe auf Potidäa ablassen, Aegina die Unabhängigkeit gewähren, und den Volksbeschluß wegen der Megareer aufheben. Ja die jüngst angekommenen Gesandten erklären sogar, wir sollen den Hellenen ihre Selbständigkeit lassen. Niemand unter Euch glaube übrigens, daß es eine Kleinigkeit sei, für die wir Krieg ans fangen, wenn wir den Beschluß wegen der Megareer nicht aufheben, den jene hauptsächlich zum Vorwande nehmen, indem sie das Nichteintreten des Kriegs von seiner Aufhebung abhängig machen. Lasset bei euch selbst den Vorwurf nicht sich befestigen, daß ihr wegen unbedeutender Ursachen zu den Waffen gegriffen habet. Denn mit dieser Kleinigkeit hängt die Befestigung und Probe eurer Grundsätze überhaupt zusammen. Gebt ihr diesesmal nach, so wird man euch bald Größeres auferlegen, in der Meinung, ihr hättet auch jetzt aus Furcht nachgegeben. Widersetzt ihr euch dagegen mit Festigkeit, so werdet ihr jenen einen deutlichen Beweis geben, daß sie euch, fernerhin mehr als ihres Gleichen behandeln müssen."
141. "Dem zufolge möget ihr nunmehr euch bedenken, ob ihr, ehe ihr einen Nachtheil leidet, euch fügen wollet, oder ob wir Krieg anfangen sollen (was ich meinerseits für das Beste halte), als Männer, die unter keinem Vorwande, er sei wichtig oder unwichtig, nachgeben, und furchtlos, was sie errungen, behaupten werden. Denn die kleinste und größte Forderung, welche jemanden von seines Gleichen vor rechtlicher Entscheidung auferlegt wird, hat eine gleich erniedrigende Bedeutung. Daß wir aber hinsichtlich des Kriegs und der beiderseitigen Hülfsmittel nicht der schwächere Theil sein werden, darüber laßt euch durch meinen Vortrag im Einzelnen belehren. Die Peloponnesier leben von ihrer Handarbeit, und weder der einzelne Bürger, noch der öffentliche Schatz ist dort mit Geld versehen. Sodann haben fie feine Erfahrung in langdaurenden und in solchen Kriegen, die mit überseeischen Feinden zu führen sind, weil sie, ihrer Armuth wegen, unter sich nur kurze Kriege führen. Solche Leute vermögen weder Schiffe, die sie bemannen, noch Landheere wiederholt auszusenden, indem sie dann von ihrem Eigenthum sich entfernen, und von demselben auch die Kosten bestreiten müssen, und dazu noch das Meer ihnen gesperrt ist. Kriege aber kann man mehr durch Geldvorrath, als durch gewaltsam abgerungene Steuern aushalten. Leute, die von ihrer Handarbeit leben, sind auch geneigter, persönlich, als mit Geld, Krieg zu führen, weil sie in Betreff ihrer Person die Zuversicht haben, unter den Gefahren sich doch wohl durchzubringen, ihrer Habe wegen aber