Flucht durch Schwaben. Rafael Wagner

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Flucht durch Schwaben - Rafael Wagner


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»Besser, wir schlagen uns allein durch und suchen die Krieger des heiligen Gallus.«

      Darauf entgegne ich: »Aber im Wald wird es doch ebenso von Spähern wimmeln.«

      »Dann müssen wir eben auf der Hut sein. Außerdem konnten wir uns vorhin doch ganz gut gegenseitig beschützen.«

      Damit habe ich meine Antwort. »Einverstanden.« Ich würde nicht von ihrer Seite weichen. Zusammen sehen unsere Überlebenschancen gar nicht so schlecht aus.

      Wir sitzen nah beieinander. Anna hat die Decke vom Boot über uns geworfen, und so warten wir auf die vollkommene Dunkelheit. Damit erübrigt sich auch das abwechselnde Wache halten. Wer würde uns im dunklen Wald schon finden? »Ich bin dir noch immer eine Antwort schuldig«, spricht Anna leise.

      »Eine Antwort worauf?«, frage ich ehrlich verwundert.

      Anna fährt fort: »Ich war, soweit ich mich erinnern kann, nie in Arbona, aber ich scheine dir vertrauen zu können, als wären wir uns schon einmal begegnet. In deiner Nähe fühle ich mich sicher.«

      »Mir geht es genauso«, stimme ich ihr zu, »und dies nicht nur, weil du mich heute vor dem sicheren Tod bewahrt hast. Ich schulde dir etwas.«

      »Woher kommst du? Und sag jetzt bloß nicht Arbona. Ich weiß selbst, wo ich dich gefunden habe«, setzt Anna belustigt nach und ignoriert damit besonders meinen letzten Satz ganz geschickt.

      »Du wirst es mir nicht glauben, aber ich weiß es nicht. Ich kann dir weder sagen, woher ich komme, noch wer meine Eltern sind«, versuche ich meine wirren Gedanken zu ordnen. »Ich kann mich bloß an Arbona erinnern. Man nannte mich aber auch einmal ›Marcus aus dem Albgau‹. Damit konnte ich noch weniger anfangen.« Wir schweigen uns an. Nun hält sie mich wohl endgültig für verrückt.

      Doch dann beginnt Anna zu erzählen: »Es ist wohl einfach zu viel passiert in den letzten Tagen. Meine Erinnerungen sind wie von einem dunklen Schatten überzogen.«

      »Und deine Geschichte als Magd des Wolfbert?«, frage ich vorsichtig.

      Anna möchte antworten, hält dann kurz inne und versucht es erneut: »Nicht alles war erfunden.« Dachte ich es mir doch. »Tatsächlich verbrachte ich einige Zeit am Hof des Wolfbert, doch ist alles, was vorher passierte, nicht von Belang.« Ich beobachte sie stirnrunzelnd. Schließlich ringt sie sich zu einer Erklärung durch: »Meine Eltern habe ich nie kennengelernt. Stattdessen wuchs ich am Hof eines Bauern des Wolfbert auf.« Anna hält kurz inne. Ihr tiefes Schlucken und die bebenden Lippen lassen nichts Gutes erahnen. »Der Kampf um die Herzogsherrschaft über die Alemannia hat viel Tod und Verderben über uns gebracht.« Ich blicke schweigend auf meine Füße. »Wenn wir morgen überhaupt eine Chance auf Rettung durch das Galluskloster erhoffen möchten, sollten wir jetzt schlafen«, beendet Anna unser Gespräch. Sie dreht sich leicht mit dem Rücken zu mir, sodass ich nicht anders kann, als meinen Arm um sie zu legen. Für einen kurzen Augenblick vergesse ich die Gefahr und bin einfach nur froh, dass das Schicksal uns zusammengeführt hat. Gemeinsam schlafen wir ein.

      Cap. IV

      Freitag, 28. April 926

      Ein unsäglicher Schmerz durchfährt meine rechte Schulter, sodass ich hochschnelle und sogleich die Kraft aus meinem Körper schwindet. »Runter!« Anna reißt mich zur Seite und drückt mich hinter einem Busch zu Boden. Ihre Hand presst sie auf meinen schmerzverzerrten Mund, sodass ich keinen Laut mehr herauskriege. In der Ferne ertönt ein schriller Pfiff, der von lautem Hufgetrappel beantwortet wird. »Er zieht sich zurück. Was für ein Glück! Nach den zwei Spähern heute Morgen, die unser Nachtversteck, ohne Verdacht zu schöpfen, passiert haben, habe ich nicht mit einem dritten gerechnet. Schön, dass du auch endlich wach bist. Da hatten wir echt noch einmal Glück«, flüstert mir Anna zu, doch sind die letzten Silben nur noch als unverständliches Glucksen zu verstehen. Das Glück hat sich gerade etwas relativiert. Ein dicht befiederter Pfeil steckt in meiner Schulter.

      »Warum kommt er nicht zurück und erledigt mich endgültig«, stöhne ich mit bleichem Gesicht.

      »Halte still«, befiehlt mir Anna, die ihre Stimme mittlerweile wiedergefunden hat. »Du blutest zum Glück nur schwach, doch kann ich den Pfeil nicht entfernen, ohne dass du zu viel Blut verlierst. Du musst ruhig bleiben.« Wie soll ich denn jetzt ruhig bleiben? Ich wurde grade von einem dieser berittenen Bastarde wie Wild erlegt. Kraftvoll drückt sie mir ein Bündel aus Moos und einem Stück Holz auf den Teil der Wunde, der von der Pfeilspitze neben der eigentlichen Einschussstelle zusätzlich aufgerissen wurde. Ich reiße den Mund auf zum Schrei, übergebe mich vor Schmerz aber ins dichte Unterholz des Waldes. Mit einem Stück ihres Leinengewandes legt Anna einen straff gezogenen Druckverband über meine verletzte Schulter. »Ich habe den Pfeil etwas stabilisiert. Der Verband sollte verhindern, dass zu viel Schmutz in die Wunde kommt. Jemand mit Erfahrung sollte sich das anschauen. Ich wage nicht, den Pfeil selbst zu entfernen.«

      Einige Minuten bleiben wir beide an Ort und Stelle liegen. Momente der Ruhe, die ich bitter nötig habe. »Sie sind wohl endgültig weitergezogen. Wahrscheinlich halten sie dich ohnehin für tot. Für einzelne Personen scheinen sie sich nicht sonderlich Zeit zu nehmen. Die sind auf unbewachte Höfe, schwach befestigte Siedlungen und schnelle Beute aus.«

      Langsam kehren meine Sinne zurück, doch wage ich nicht, mich zu bewegen. Ein stechender Schmerz durchfährt mich beinahe bei jedem Herzschlag. Doch steigt mir ein unangenehmer Geruch in die Nase: »Riechst du das?«

      »Na, dein Erbrochenes ist es jedenfalls nicht«, entgegnet Anna, die – aufgeputscht vom Schrecken – schon wieder zu ersten Scherzen aufgelegt ist. »Aber ich weiß, was du meinst. In der Nähe brennt es wohl. Diese Richtung.« Sie weist mit ihrer Hand in irgendeine Richtung, doch kann ich weder erklären, woher sie das nun wieder weiß, noch ob es wirklich eine gute Idee ist, sich in Kriegszeiten einem Brandherd zu nähern.

      »Aber Feuer ist im Moment gleichbedeutend mit der Präsenz ungrischer Krieger.«

      Während sie mir beim Aufstehen hilft, entgegnet Anna harsch: »Was sollen wir sonst tun? Wir müssen schnellst möglich deine Wunde versorgen. Zurück zum Kastell können wir nicht. Die erwarten uns sicher. Und wer weiß, was Strello dem Tribun alles über unseren Verbleib erzählt hat.«

      Wir kämpfen uns durch den fast undurchdringlichen Wald und nähern uns einer Lichtung. Hätten wir bloß eines der Schwerter der gestern getöteten Feinde mitgenommen. Anna lässt mich an einen Baum gelehnt zurück und sondiert die Lage. Mitten auf der Lichtung steht ein stattliches Gehöft in Flammen. Die Tiere wurden bestimmt schon alle weggeführt und die Menschen getötet oder versklavt. Hat der Späher deshalb von mir abgelassen? Der hat sich bestimmt lieber auf die schon fast offen dargebotene Beute gestürzt. Außer dem römischen Kastell sind mir kaum irgendwelche Befestigungsmaßnahmen aufgefallen. Ein wahres Freudenfest für eine solche Horde auf Raubzug.

      »Bitte helft uns«, höre ich plötzlich eine zittrige Stimme von hinten. Ich versuche, den Kopf zu drehen, und blicke in die verschmutzten kleinen Gesichter zweier Kinder.

      »Wer seid ihr? Was ist hier passiert?« Offenbar handelt es sich um die zwei Söhne des Bauern, der einst diesen Hof bewirtschaftet hat. Die beiden blicken sich ängstlich um und erklären sich mir mit wenigen Worten. Der Ältere, Liubman, ist nur wenige Jahre jünger als ich, der Jüngere, Jacob, zählt in etwa die Hälfte meiner Lebensjahre. Ich mustere die beiden, pfeife dann laut, um Anna zurückzurufen, und bitte den Älteren um Aufklärung. Ihre Mutter weilt anscheinend schon länger nicht mehr unter den Lebenden, während ihr Vater vor zwei Tagen losgezogen ist, um beim Abt von Sankt Gallen wegen der drohenden Gefahr um Hilfe zu bitten. Heute Morgen seien plötzlich vier Reiter aufgetaucht. Sie hätten gerade noch aus dem Haus in den Wald rennen können, während der Knecht ihres Vaters auf der Stelle niedergestreckt worden sei.

      »Er liegt hinter der Scheune«, bestätigt Anna, die soeben zu uns zurückgekehrt ist. »Wir haben leider nicht die Zeit, ihn ordentlich zu begraben. Du musst versorgt werden, und es könnten jederzeit weitere Reiter auftauchen.«

      »Lasst uns nicht zurück«, beginnt plötzlich Jacob zu wimmern, und Liubman fügt, an Anna gewandt, hinzu:

      »Wir


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