Ostfriesisches Komplott. Lothar Englert
Читать онлайн книгу.Stecken haben. Dann ist es Tarnung.
»Macht alles fertig und packt es in die Akte«, sagt die Oberkommissarin, ehe sie fortfährt: »Sonst noch was?«
Die beiden Kollegen sehen sich an. Tjarko Joosten habe sich genauso verhalten wie der Bauunternehmer Nowack. Nur Antworten auf die Frage, kein weiteres Wort. Auffällig sei aber gewesen, dass Joosten sehr blass war und stark geschwitzt habe. Das wiederum notiert sich Mieke.
Es ist schon früher Nachmittag, als sich die Oberkommissarin mit der Kollegin Banafsheh Schariatmadari auf den Weg macht. Das Veilchen fährt. Sie wollen Jan Christoffers befragen, den Kaufhausbesitzer und Reeder. Der Mann wohnt in einem noblen Stadtteil des Auricher Westens. Mieke hat sie telefonisch angemeldet. Als sie anlangen, steht die Einfahrt zum Haus offen, beide Flügel der geschmiedeten Tür sind bis zum Wegrand zurückgeschwungen und verriegelt. Der Garten ist nicht nur sehr gepflegt, seine Geometrie scheint auf dem Reißbrett entworfen. »Typisch ostfriesisch«, stellt die Oberkommissarin nüchtern fest und das Veilchen nickt. »So lieben wir es.«
Die Dame des Hauses öffnet ihnen. Frau Christoffers ist eine mondäne Erscheinung, sie trägt einen teuren Hosenanzug, ist exquisit geschminkt und das Haar sitzt perfekt, aber die beiden Polizistinnen spüren bald, dass es unter der glatten Oberfläche brodelt. Ihre Stimme vibriert, und wenn sie spricht, begleitet sie ihre Worte mit ausholenden Gesten. Ihr Mann werde gleich kommen, sagt Frau Christoffers, er führe nur noch rasch ein kurzes Telefonat im Arbeitszimmer. Ob sie bei dem Verhör dabei sein dürfe?
Mieke Janßen lächelt. »Verhöre haben die Nazis geführt, Frau Christoffers. Wir vernehmen. Aber mit Ihrem Mann möchten wir uns nur unterhalten. Wir sind dabei, die Hintergründe des Falles Ukena aufzuklären.«
Letzteres weiß Frau Christoffers natürlich, aber nun bestürmt sie die Erinnerung an das schlimme Ereignis. »Ach Gott, ja. Der arme Albert. Und die arme Familie. Ist das alles nicht schrecklich? Wer tut so etwas? Haben Sie schon eine Spur?« Die Frau ist unruhig wie ein Rennpferd vor dem Start. An ihrem schlanken Hals zeigen sich rote Flecke. Ihre Stimme wird unvermittelt schrill. »Sie müssen auf meinen Mann Rücksicht nehmen. Jan verliert schnell die Nerven. Deswegen würde ich gerne dabei sein.«
Das Veilchen lässt einen kurzen Laut hören, den man nicht deuten kann. Mieke Janßen betrachtet die Frau des Kaufmanns und Reeders Jan Christoffers ausführlich. »Er verliert schnell die Nerven? Als erfolgreicher Geschäftsmann? Wie passt das denn zusammen? Das scheint mir doch ungewöhnlich«, sagt sie und Frau Christoffers knetet die Hände.
»Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Wir haben ja nichts zu verbergen.« Sie setzt sich in den Sessel und fingert nach einer Zigarette. »Aber Jan, mein Mann, nun ja. Er ist sehr labil. Früher war das anders. Er hat Geschäfte gemacht, die man als gewagt bezeichnen kann. Mit viel Risiko. Und war dabei zwar erfolgreich, aber das hat alles viel Kraft gekostet.«
»Rede kein dummes Zeug, Erika!«, sagt Jan Christoffers. Er hat unbemerkt den Raum betreten und die letzten Sätze seiner Frau wohl mitgehört. »Was sollen die Damen denken? Als Kaufmann war ich immer solide, und ein Reedereigeschäft ohne Risiko gibt es nicht. Besonders nicht in arabischen oder afrikanischen Gewässern.« Der Hausherr begrüßt die beiden Oberkommissarinnen fast fröhlich, aber sie merken sofort, seine Lockerheit ist aufgesetzt. Der Mann ist ebenso aufgeregt wie seine Frau. Mindestens. Der Händedruck ist fest, aber die Hand feucht und fischig kalt. Christoffers bittet die zwei in sein Arbeitszimmer. Seiner Frau sagt er schroff, er wolle sie nicht dabeihaben. »Das hier ist meine Sache. Lass mich machen.« Er faucht es fast.
Erika schluchzt. Mieke Janßen beruhigt sie. »Wir werden uns zunächst mit Ihrem Mann unterhalten, aber später auch noch mit Ihnen.«
Er hört es und sieht Mieke scharf an. »Ich darf vorangehen?«, sagt er.
Auf dem Weg ins Arbeitszimmer wirft Mieke dem Veilchen einen kurzen Blick zu. Das ist keine normale Vernehmung. Hier geht was. Sie sieht das Veilchen knapp nicken. Banafsheh hat es auch so wahrgenommen.
Das Arbeitszimmer ist sehr geräumig. An der Wand hinter dem Schreibtisch hängt ein präparierter Hecht; Jan Christoffers hält sich einiges darauf zugute, ein erfolgreicher Sportangler zu sein, den Hecht hat er selbst gefangen. Er bemerkt den Blick der Oberkommissarin. »Im Kanal«, sagt der Kaufmann stolz und fügt an: »73 Zentimeter, fast acht Kilo schwer. Fängt man auch nicht alle Tage.«
»Sie angeln regelmäßig?«, fragt ihn das Veilchen.
Christoffers schüttelt den Kopf. Dazu habe er nicht die Zeit. »Vor allem dann, wenn ich Ruhe und Entspannung brauche, um mich abzulenken«, sagt er.
»Abzulenken? Wovon?«
»Von Ärger und Stress. Von irgendwelchen Lasten halt.«
»Kann es sein, dass Sie deshalb zurzeit besonders häufig angeln?«, setzt das Veilchen spontan nach.
Jan Christoffers versteht die Frage nicht. Er versucht es mit Humor. »Wie kommen Sie denn auf dieses schmale Brett?«, fragt er grinsend, aber der Scherz wirkt aufgesetzt.
Sie stehen da und betrachten den präparierten Hecht. Mieke glaubt, das Tier zu riechen. Sie fühlt sich nicht besonders wohl dabei. Alle drei stehen noch, als sie ihren ersten Pfeil abschießt. »Sie haben Ihrer Frau gesagt, das hier sei Ihre Sache? Was ist hier Ihre Sache, Herr Christoffers?«, fragt die Oberkommissarin. Ihre Stimme ist ruhig, fast bedächtig, aber da schwingt ein Vorbehalt mit, das hört man deutlich.
Der Kaufmann lässt sich mit einem Stöhnen in den Drehstuhl fallen, er deutet auf die beiden Stühle vor dem Schreibtisch. »Ach, Sie wissen doch, wie Frauen sind!«, nörgelt Christoffers, dann ruckt er hoch. Er weiß, dass er einen Fehler gemacht hat. »Nein, entschuldigen Sie, nicht die Frauen. Meine Frau. Erika ist null belastbar. Sie kippt sofort aus den Pantinen, bei der kleinsten Schwierigkeit.«
»Schwierigkeit? Das müssen Sie uns erklären«, sagt Mieke, mit einem Mal fast eisig.
Der Hausherr rudert mit den Armen. »Nun ja, dieser Mord. Der Tod von Albert. Auf diese grausame Art. Das alles nimmt Erika unheimlich mit. Sie wäre kein nützlicher Gesprächspartner in dieser Lage, glauben Sie mir.« Dazu schweigt Mieke Janßen.
Das Veilchen beugt sich vor. »Ihre Frau hat gesagt, dass Sie nichts zu verbergen haben. Wie kommt sie auf den Gedanken, wir könnten glauben, Sie hätten etwas zu verbergen?«
Jan Christoffers wirft sich so heftig in seinem Drehstuhl zurück, dass die Lehne quietscht. »Na, bitte! Da haben Sie es. Erika ist völlig mit den Nerven fertig. Brutal am Boden. Und dann redet sie Unsinn. Selbstverständlich haben wir nichts zu verbergen, aber ebenso selbstverständlich ist diese Feststellung überflüssig.«
Die Tür öffnet sich und Erika Christoffers erscheint mit einem Tablett. Sie hat Kaffee und Tee gekocht. Stumm setzt sie alles auf dem Schreibtisch ab und verschwindet wieder, nicht ohne ihrem Mann einen bohrenden Blick zuzuwerfen. Er starrt ihr nach, bis sie das Arbeitszimmer verlassen hat. Dann bedient er die beiden Frauen mit Tee, er selbst trinkt einen Kaffee. Seine Hand zittert, als er den Becher anhebt. Er sieht, dass sie es bemerken. »Es tut mir leid. Mich selbst fasst die Sache natürlich auch an, aber ganz gewaltig. Schließlich war Albert Ukena mein Freund.«
Sie nicken. Die nächsten Fragen stellt wieder das Veilchen. Sie spricht sachlich und routiniert. Joostens Verhältnis zu Ukena, der Freundeskreis. Hatte Albert Ukena in diesem Kreis Männer, die er besonders mochte? Waren Leute darunter, die er eher nicht mochte? Zu allen Fragen gibt Christoffers plausible Antworten. Aber er wirkt oft hektisch und ausschweifend. Das unterscheidet ihn von den bisher Befragten; der Kaufmann redet mehr, als er muss. Deutlich mehr. In diesem Männerkreis seien alle gleich, jeder möge jeden, jeder könne mit jedem, es gebe keinen Missklang zwischen ihnen, nicht den geringsten. »Wir sind Freunde, das möchte ich betonen. Gute und alte Freunde.« Fragen zur Familie des Ermordeten beantwortet Jan Christoffers wie einer, der eine Ware anbietet. So feine Leute. Honorig. Gediegener, alteingesessener Stadtadel, das sagt er tatsächlich. Er redet noch, als Mieke ihm schon längst eine weitere Frage stellt. Sie muss ihre Frage sogar wiederholen, weil er sie in seinem Wortschwall nicht erfasst hat. »Hatte Albert Ukena Feinde?«
Seine Antwort