Ostfriesisches Komplott. Lothar Englert

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Ostfriesisches Komplott - Lothar Englert


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gab es plötzlich Komplikationen, und man hat den Bürgermeister dringend um Anwesenheit gebeten. Nein, dazu aufgefordert. Die Opposition, die »Freien für Aurich« haben es explizit verlangt. Her mit dem Mann, wir wollen ihn hören.

      »Wird es lange dauern?«, hat Mieke gefragt, aber Frau Vossen hat nur die Schulter gehoben.

      »Das weiß man nie so genau. Der Auricher Rat ist für jede Überraschung gut«, hat die Sekretärin geantwortet. Das klang kühl, fast abschätzig, als wollte sie sagen, Sie fragen nach dem Inhalt einer geschlossenen Wundertüte. So viel kann ich Ihnen sagen, er ist in jedem Fall minderwertig.

      Einen Augenblick lang hat die Oberkommissarin überlegt, ob sie das Gespräch verschieben soll. Eigentlich ist es Zeitverschwendung, auf Bachmann zu warten, es gibt genug zu tun. Doch dann geht sie in das Sitzungszimmer. Aus purer Neugier. Und da erlebt sie einen neuen Bürgermeister. Sie kennt Bachmann nicht sehr gut, hat ihn gelegentlich gesehen, auch kurz gesprochen, bei Empfängen und offiziellen Anlässen. Da war er immer freundlich, fast jovial, irgendwie glatt, aber stets vermittelte er diesen elitären Duktus, ein Gefühl der Überlegenheit. Hier lernt sie ihn von einer anderen Seite kennen. Mit einem Mal denkt Mieke, es ist richtig gut, dass ich hier bin. Ich gewinne Einsichten, die mir sonst vielleicht verschlossen geblieben wären. Als sie das Sitzungszimmer betritt, geht es dort hoch her. Sie schlüpft nach hinten zu den mäßig besetzten Stuhlreihen für das Publikum. Dort kennt sie niemanden, bis auf eine Redakteurin der Auricher Rundschau, Meike Ulferts. Sie hockt sich neben sie, raunt: »Die Rundschau schreibt über eine Routinesitzung des Finanzausschusses?«

      Meike Ulferts schüttelt den Kopf. Ob darüber geschrieben werde, sei offen. Sie solle ihrem Chef berichten, was gesprochen worden sei.

      »Dem Chefredakteur?«

      Dem Besitzer der Zeitung selber, Berthold Krang. Und ja, Chefredakteur sei der auch. Meike Ulferts senkt rasch wieder den Kopf, ihre Hand fliegt über den Stenoblock. Tonaufzeichnungen sind natürlich verboten. Und während sich Mieke noch darüber wundert – für derlei gibt es schließlich Protokolle, die man einsehen kann –, folgt sie einem erregten Wortwechsel.

      Mieke neigt ihren Kopf der Redakteurin zu. »Worum geht es?«

      »Kasernengelände«, flüstert Meike Ulferts ohne aufzusehen zurück, ihre Hand rast über das Papier. Der Fraktionsführer der »Freien für Aurich« steht, sein Kopf ist hochrot. Der Bürgermeister sitzt, sein Kopf ist noch nicht einmal rosa. Aber seine Stimme ist hart, sie erinnert an vereistes Metall. »Immer dieselbe Leier, Reemt!«, schimpft Bachmann. »Immer kommst du mit diesem Mist. Haben wir nicht oft genug darüber gesprochen? Wie viele Male haben wir das Thema diskutiert? Zu oft, wenn du mich fragst. Dieser Punkt ist endgültig erledigt. Es gibt eine alte Indianerweisheit: Wenn dein Pferd tot ist, steige ab!«

      Der andere steht und rudert mit den Armen. Reemt Smits weiß, dass er den Spitznamen Cato hat, aber es ist ihm gleich. »Das möchtest du gerne, dass diese Geschichte tot ist. Sie ist es nicht, sondern sie wird euch noch auf die Füße fallen. Euch allen!«

      Der Bürgermeister winkt lässig ab. Er redet von alten Schlachten, die man nicht mehr schlagen müsse, von aufwärmen, dass ihn das alles kaltlasse, aber an seiner Stimme hört man, es lässt ihn keineswegs kalt. »Die Filetstücke habt ihr euch doch gesichert, du und deine Freunde!«, faucht der Fraktionsführer, und jetzt steht auch Bachmann auf.

      Er weiß um seine Wirkung. Ehe er antwortet, läuft sein Blick flink durch den Raum. Er sieht vor allem nach hinten, zum Publikum, seine Augen ruhen einen Moment auf der Oberkommissarin. Zuerst referiert Bachmann ganz allgemein. Er betont noch einmal; wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte man das Gelände an einen solventen Investor verkauft. Die sauberste Lösung. Geld kommt in den Haushalt, es werden Arbeitsplätze geschaffen. Genau das aber habe die Opposition in der Stadt verhindert. Und nun beklage sie einen Zustand, für den sie selbst verantwortlich sei. So gehe es aber nicht. Dann wendet er sich direkt an Reemt Smits, seine Stimme trieft vor Spott: »Vielleicht darf ich im Übrigen dem Herrn Fraktionsführer ins Gedächtnis zurückrufen, dass der Handel mit dem Bauland frei war für jedermann. Warum hat er nicht selbst gekauft?«

      »Weil er kein Millionär ist!«, faucht Smits zurück, er spuckt es sogar aus, es klingt, als rede er von Abschaum.

      Der Bürgermeister nimmt wieder Platz, seine Stimme ist jetzt ganz ruhig. »Ich bin nicht bereit, auf diesem Niveau zu reden. Willst du ehrbaren Bürgern dieser Stadt zum Vorwurf machen, dass sie Geld haben? Ich erinnere daran, dass sie alle Steuern zahlen. Und nicht nur das. Viele von ihnen sind Mäzene zum Nutzen Aurichs. So führt man übrigens Neiddebatten.« Dann holt Bachmann zu einem Schlag aus. »Wie viel hast du denn im letzten Jahr gespendet?«

      Smits ist fast blau geworden. Jetzt fängt er an zu brüllen: »Unverschämtheit! Ich verbitte mir das. Euer reicher Klüngel. Klüngel und Filz. Unerträglich!«

      Da wird der Sitzungspräsident aktiv, er ruft irgendetwas dazwischen.

      Der Bürgermeister richtet sich auf. »Albert Ukena ist noch nicht unter der Erde, und du redest hier solch unsäglichen Dreck. Du solltest dich schämen.«

      In diesem Moment bricht der Tumult los. Rufen, Brüllen. Es rauscht durch den Saal.

      »Aufhören!« – »Jetzt ist es aber gut!« – »Ruhe!« – »das Publikum ausschließen!«, dann ist der Bürgermeister auf den Beinen und stürmt nach draußen.

      Mieke Janßen hat fasziniert gelauscht, der Stift der Redakteurin ist blind über den Block geflogen; sie hat geschrieben, während ihre Augen dem Geschehen folgten. Anscheinend hält Meike Ulferts genau fest, wer was sagt. Und während die Oberkommissarin sich erhebt, überlegt sie, ob es klug ist, jetzt mit dem Bürgermeister zu sprechen. Dann sagt sie sich: ja, jetzt. Genau jetzt. Der Mann ist vorgewärmt. Das verspricht interessante Ergebnisse.

      Sie geht ihm nach. Bachmann ist in sein Büro verschwunden. Frau Vossen meldet Mieke telefonisch an. Bachmann öffnet selbst, er lächelt sonnig. Dann fällt ein Schatten auf sein Gesicht, es wirkt wie gut einstudiert. Ah ja, die Ermittlungen in diesem entsetzlichen Mordfall. Wie schrecklich, wie fürchterlich ist das doch alles. Er bittet Mieke hinein und schließt die Tür. »Bitte setzen Sie sich. Tee oder Kaffee?«

      Mieke entscheidet sich für Tee.

      »Auch ein Glas Wasser?«

      »Ja. Gern.«

      Bachmann schenkt selbst ein, den frischen Tee ordert er bei Frau Vossen. Mieke zückt einen Schreibblock. »Es stört Sie doch nicht, wenn ich mir Notizen mache?«

      Der Bürgermeister lächelt kühl, er ist jetzt wieder beherrscht. »Wird das ein Gespräch oder eine Vernehmung?« Bachmanns Juristenhirn beginnt zu arbeiten.

      Mieke lächelt nicht, sie bleibt sachlich. »Wir ermitteln die Umstände. Sie kannten den Toten?«

      Bachmann nimmt hinter seinem Schreibtisch Platz. Er selbst trinkt bereits Tee und füllt seine Tasse nach, für die Antwort nimmt er sich Zeit. Mit plötzlicher Schärfe in der Stimme sagt er: »Kommen Sie, Frau Janßen, spielen wir nicht Versteck miteinander. Sie wissen, dass ich mit Albert Ukena befreundet war.«

      Die Oberkommissarin nickt knapp, sie lächelt noch immer nicht. Mit der Witwe von Albert Ukena hat sie schon gesprochen. Viel hat dieses Gespräch nicht erbracht. Ulrike Ukena war noch immer traumatisiert, konnte kaum Auskunft geben.

      »Wir müssen die Kontakte Ihres Mannes ausleuchten. Mit wem hatte er Umgang?«, hat Mieke sie gefragt.

      Ulrike antwortete, ohne nachzudenken. Die Namen der Freunde nannte sie mit der Stimme eines Automaten. Mieke Janßen notierte sie auf ihrem Block.

      »Welcher Art war diese Freundschaft?«

      Die Witwe hat mit leeren Augen dagesessen. Die Männer hätten sich regelmäßig in diesem Auricher Café in der Innenstadt getroffen. Ansonsten sei man gelegentlich zusammengekommen, manchmal auch mit den Ehefrauen. Grüße und Wünsche zu Familienfeiern, Taufen oder Geburtstage, derlei.

      Einem Instinkt folgend, hat die Oberkommissarin gefragt: »Gab es auch geschäftliche Kontakte?«

      Das


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