Ostfriesisches Komplott. Lothar Englert

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Ostfriesisches Komplott - Lothar Englert


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über den Verkauf des ehemaligen Kasernengeländes, obwohl dieses Thema längst abgeschlossen ist. Der Streit schwelt weiter, es wird eine Sache am Kochen gehalten, die als gegessen und verdaut gilt. Regelmäßig beim Tagesordnungspunkt »Verschiedenes« hebt der Fraktionsführer dieser Partei die Hand und weint los. Sein Spitzname ist deshalb »Cato« in Erinnerung an den Römer, der jede Rede im Senat mit der Forderung nach der Zerstörung Karthagos beendete. Lustig ist das nicht, eher lästig. Dass es nicht auch gefährlich wird, ist das Ziel dessen, was Bachmann für seine politische Arbeit hält. Und der andere ebenfalls. »Das hast du in der Hand«, hat er gesagt, »du allein.« Also sieh zu und versaue es nicht, so lautete die stumme Ergänzung. Manchmal fühlt der Bürgermeister Verbitterung. Ja, es handelt sich um eine Fläche in seiner Stadt, aber der andere hat die Sache eingefädelt. Das ursprüngliche Konzept ist ja ganz anders gewesen. Ein vernünftiger Plan. Wenn es nach Bachmann gegangen wäre, hätte man auch danach verfahren. Die gesamte Fläche wäre an einen großen Investor verkauft worden. Für teures Geld. Zur Errichtung einer Zentralklinik für Herzoperationen. Mit der Aussicht auf gute Arbeitsplätze und Steuereinnahmen, die für Aurich so wichtig sind. Die Ausschreibung lief und wurde von einer Schweizer Firma gewonnen. Aber dann regte sich Widerstand in der Stadt, vor allem auf der linken politischen Seite. Ein fremder Großinvestor? Für dieses Gelände, mitten in der Stadt? Was wird der wohl machen? Der wird sich das Sahnestück unter den Nagel reißen. Und dann damit für eigene Gewinne spekulieren. Und die Stadt guckt in die Röhre. In zahllosen Sitzungen und Diskussionen hat Bachmann gegen diese Bedenken angekämpft. Diese Ängste sind unsinnig, sorgt euch nicht. Mit Verträgen regelt man die Sache so, dass Aurich zu seinem Recht kommt. Mehr noch, die Stadt wird gewinnen. Wir eröffnen uns so eine sicher sprudelnde Einnahmequelle für lange Zeit.

      Es hat nichts genützt. Der Rat hat mehrheitlich beschlossen, das Gelände zu parzellieren und als Bauland auszuweisen. Davor hat der Bürgermeister gewarnt. Vorsicht, Leute, damit machen wir uns keine Freunde, das müsst ihr wissen. Die Grundstücke werden so teuer sein, dass sie sich nur wenige leisten können. Die Warnung wurde in den Wind geschlagen. Besser so als fremde Geldhaie in Aurich, hieß es. Natürlich wurde auch lamentiert, als es genau so kam, wie Bachmann vorhergesagt hatte. Die Eliten der Stadt kauften das Bauland, namentlich die Herzstücke im Zentrum des Geländes, die Parzellen, die für einen Investor besonders interessant waren.

      Bis dahin ist also alles in Aurich geblieben, geht es dem Bürgermeister nun durch den Kopf. Es hat einen überschaubaren Kreis von Eignern in der Kernfläche gegeben, dazu eine Anzahl von Trabanten weiter draußen, verschiedentlich ist mit dem Bau von Häusern begonnen worden. Und dann hat sich dieser Mann aus dem Kreishaus bei ihm gemeldet, dem er sich nun gegenüber sieht, und ihn zu einem wichtigen Gespräch eingeladen. Auch damals haben sie in diesem großen Büro gesessen, so wie jetzt, an dem schweren eichenen Schreibtisch. Der andere hat geredet und er, Bachmann, hat zugehört. Schnell ist klar geworden, dass der Mann ihm ein unlauteres Angebot machte. Der Bürgermeister ist Jurist. Was da vorgeschlagen wurde, erfüllte den Tatbestand nach § 263 des Strafgesetzbuchs und nannte sich Betrug. Hinzu kam Untreue nach § 266 StGB. Nicht zu reden von der besonderen Schwere des Missbrauchs einer Stellung als Amtsträger nach § 263 (3) Satz 2. Alle diese Tatbestände sind strafbewehrt, und zwar mit bis zu fünf Jahren Gefängnis oder einer Geldstrafe. Der Bürgermeister hat sich keine Illusionen gemacht. Bei den Summen, die hier im Raum standen, käme eine Geldstrafe vermutlich nicht in Betracht. Und was das Amt betraf, so konnte nur eines folgen: Edeka. Ende der Karriere. An diesem Punkt hätte Bachmann eigentlich sofort aufstehen und gehen müssen. Vielen Dank, mein Lieber, darauf lasse ich mich nicht ein. Doch er ist sitzen geblieben in einer Mischung aus starrem Entsetzen und purer Neugier. Bist du von Sinnen? Das kann niemals gut gehen. Der andere ist ebenfalls Jurist, auch er weiß sehr genau, welches Risiko sie eingegangen sind. Aber für ihn ist es kein Risiko gewesen. Alles schien einfach und plausibel. »Ich habe die Schweizer an der Hand«, hat er gesagt, und Bachmann wusste sofort, er meint die Firma, die damals die Ausschreibung für das Kasernengelände gewonnen hat.

      »Was heißt das, du hast sie an der Hand?«

      »Ich kenne da einige Leute. Die richtigen«, hat der andere ausweichend geantwortet.

      Woher?, wollte Bachmann fragen, aber das Wort ist ihm im Hals stecken geblieben. Und dann sind die Sätze gekommen, knapp, hart und zynisch. Man tue sich mit ein paar Vertrauten zusammen, die Geld haben und den Mund halten können. Dann kaufe man das Gelände auf dem Platz der alten Kaserne, jeder für sich, die Sahnestückchen aus der Fläche. Es müssten mindestens sieben Hektar zusammenkommen, besser wären zehn. Bebauung wäre kein Problem, sie sei aus Gründen der Verschleierung sogar erwünscht. Nach einiger Zeit, »wenn Gras über die Sache gewachsen ist«, verkaufe jeder sein Stück an die Schweizer.

      Wenn Gras über die Sache gewachsen ist? »Hast du eine Ahnung, worüber in Aurich eben niemals Gras wächst?« Aber dann kamen die Zahlen. Die Zahlen. Die Zahlen! »Was ist das deinen Schweizer Freunden denn wert?«, hat Bachmann gefragt, leicht spöttisch im Ton, aber sein Mund ist da bereits trocken gewesen.

      »Je nach Größe bis zu fünf Millionen für freie Grundstücke, bei bebauten kommen die Kosten für die Häuser hinzu. Jeder investierte Euro wird erstattet.«

      »Diese Summe? Das glaubst du doch selbst nicht!«

      »Und ob ich es glaube. Ich habe es sogar schriftlich. Hier.« Er ist an seinen Safe gegangen und hat etwas daraus hervorgezogen. Hat es auf den Schreibtisch gelegt. Ein gediegenes Papier aus gehämmertem Bütten mit Helvetierkreuz oben rechts. Unterschrift zügig hingewischt, darunter der gedruckte Name: »Wanderthaler, CEO«. Die Summen haben dort gestanden, schwarz auf weiß.

      Das sollte er besser nicht hier aufbewahren, ist es Bachmann durch den Kopf geschossen. Laut hat er gesagt: »Warum ist den Schweizern dieses Land so viel wert? Das ist doch deutlich über den üblichen Preisen!«

      Nonchalant hat der andere geschmunzelt. Nun ja, übliche Preise. Was ist ein üblicher Preis? Hier eben der. Diese Leute wissen, was sie tun. Die verschenken kein Geld. Ostfriesland ist als Drehkreuzstandort durchaus interessant. Die Nähe zur See. Dänemark, die Niederlande.

      »Was hat das mit einer Herzklinik zu tun? Die soll doch gebaut werden? Laut Ausschreibung.«

      »Die Schweizer wollen das Land. Was sie anschließend damit machen, steht auf einem anderen Blatt. Wie komme ich dazu, mir fremde Köpfe zu zerbrechen?«, hat darauf der andere gesagt.

      In Bachmanns Hirn haben sich jetzt die Räder gedreht. Fünf bis zehn Millionen. Natürlich ist ihm klar gewesen, dass das Schweizer Papier zunächst nur den Charakter einer Absichtserklärung besaß. Nichts, worauf man Forderungen begründen konnte. Ein »Letter of Intend«, ein LOI, so stand es auch auf dem Bütten. Aber immerhin. Die Leute wollten das Land. Und dann: diese Summen! Wahnsinn, das alles. Blanker Wahnsinn. Verlockender Wahnsinn. Dann hat er die Stirn gerunzelt. »Und du? Was ist mit dir? Kaufst du auch ein Grundstück?«

      Storjohann hat das sofort verneint. Er werde sich an dieser Sache nicht beteiligen.

      Das hat den Bürgermeister misstrauisch gemacht. »Sondern? Du arbeitest doch nicht für Gotteslohn.«

      »Ich werde durch eine Vermittlungsprovision abgefunden.«

      »In welcher Höhe?«

      »Das geht dich nichts an. Aber du kannst sicher sein, dass ich nicht schlechter gestellt bin als ihr anderen.«

      »Das glaube ich dir aufs Wort«, hat Bachmann gallig geantwortet. »Nun gut. Und wenn die Sache auffliegt?«

      Der andere ist kühl geblieben bis ans Herz. »Wenn alle den Mund halten, kann nichts auffliegen. Aurich ist deine Stadt. Dein Revier. Du musst die Leute eben gut aussuchen. Auch die richtigen«, hat er mit frostigem Lächeln gesagt.

      »Du kennst den Auricher Rat nicht«, hat Bachmann mit Nachdruck geantwortet. »Die riechen sofort Lunte, wenn wir plötzlich unsere Stücke verkaufen. An ebenjenen Schweizer, der beim ersten Mal nicht zum Zuge gekommen ist. Das sieht doch ein Blinder mit dem Krückstock, dass hier etwas faul ist.«

      Der Leeraner ist ruhig geblieben, nur sein Lächeln ist um eine Spur härter geworden. »Bis dahin hat sich die politische Lage verändert.


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