Ostfriesisches Komplott. Lothar Englert
Читать онлайн книгу.Bachmanns, Auswahl. Es hat halt alles recht schnell gehen müssen und die Zahl der solventen Partner ist nicht besonders groß gewesen. Eher übersichtlich. Also klein. Leute mit Geld sind gesucht worden, mit viel Geld, Geld, das sofort verfügbar gewesen ist. Anders ist ja das ganze Projekt nicht zu heben gewesen. Er selbst hat gewarnt, nun lass uns das mal in Ruhe angehen, aber der andere hat nichts davon wissen wollen. In Ruhe? Heute geht nichts mehr in Ruhe. Wer den rasanten Zeittakt des Lebens nicht aushalte, der verabschiede sich von der Teilnahme daran. Es müsse sofort gehandelt werden. Hat von einem kleinen Zeitfenster gesprochen, einem »window of opportunity«, das sich bald schließen würde.
Ärgerlich schüttelt der Bürgermeister den Kopf. Dass man im Kreishaus immer so geschwollen daherreden muss. Modern, nennt man das dort. Er hört Frau Vossen draußen telefonieren. Sie bereitet seine Termine vor. Davon hat er heute nicht viele, aber wichtige. Der Rat tagt zum Thema neuer Haushalt. Und heute Nachmittag der Finanzausschuss. Dazwischen Gespräche und Beratungen. Auch im Kreishaus. Da holen ihn seine alten Gedanken wieder ein. Die Regeln sind glasklar. Jeder hat sie gehört und ist einverstanden gewesen. Auch Albert Ukena hat sie gehört, aber vielleicht hat er nicht zugehört. Wer dabei ist, verdient eine Menge Geld. Aber alle haben unbedingtes Stillschweigen zu bewahren. Wer das nicht macht, der ist draußen. Draußen. So hat es damals geheißen. Jetzt weiß Bachmann, was das bedeutet, draußen. Nämlich tot. Wer das Maul nicht halten kann, der ist tot, so lautet die Regel. Dass man weg ist vom Fenster, weg von den Fleischtöpfen Ägyptens, so viel hat jeder gewusst. Aber dass ein Verstoß so grausam bestraft wird, das nicht. Jetzt ist es klar. Hoffentlich allen. Wen der Griff ans große Geld oder dessen Verlust nicht diszipliniert, der muss halt büßen. Zur Not mit der Höchststrafe. Zur Not? Nein, in jedem Fall. Und wenn der Kaufmann und Reeder Jan Christoffers nicht aufpasst, dann ist er der Nächste. Aber wer ist der Täter? Der Vollstrecker? Wer ihn steuert, das weiß Bachmann jetzt. Das ist er, der Mann im Kreishaus. Er wird ihn heute noch sehen. Mit ihm reden. Nicht darüber, denn sie sind nicht allein. Aber Bachmann weiß schon jetzt, dass es ihm schwerfallen wird, seine Gedanken auf die Politik zu richten.
4.
Unruhe
Auf der Titelseite der Auricher Rundschau springt ihm die erwartete Schlagzeile ins Auge. »Prominenter Bürger der Stadt brutal ermordet!« Sein Herz macht einen kleinen Hopser, aber es beruhigt sich sofort. Du stehst in der Zeitung! Genüsslich lehnt er sich zurück, nimmt noch einen Schluck Kaffee und faltet die Rundschau langsam auf. Das Papier knistert, es ist ihm Musik in den Ohren. Zuerst tasten seine Augen über den Artikel, er ist mehrere Spalten breit und sehr ausführlich. Das gefällt ihm. Dann liest er. Wort für Wort und sehr sorgfältig. Die Tat wird langatmig geschildert. Auch der Fundort der Leiche im Wallinghausener Wald, der Spaziergänger, der die Leiche entdeckt hat. Sogar sein Hund wird erwähnt. Auf die Einzelheiten wird aber verzichtet. Auch das Tape verschweigt man. Dann folgt das Eingeständnis fehlender genetischer Spuren am Tatort. Nichts gebe es dort, überhaupt nichts habe man gefunden. Der Rest ist leeres Geschwätz. Wortakrobatische Hülsen. Wilde Vermutungen zum Täter. Spekulationen über sein rätselhaftes Motiv. Kann er überhaupt eins gehabt haben? Doch wohl nicht. Zynischer Zufall. Die Polizei tappt völlig im Dunkeln. Ermittlungen erst am Anfang. Erfolgsaussichten höchst ungewiss, wenn nicht gar zweifelhaft. Warme Zufriedenheit erfasst ihn.
In einem Leitartikel wird dem Toten nachgeweint und dem schweren Verlust für ganz Ostfriesland. Ausgerechnet Albert Ukena. Tiefe Bestürzung über diese abscheuliche Tat, ihre Sinnlosigkeit, die Tragik des Opfers. Abscheu. Welch großartiger Mensch er gewesen sei. Erfolgreicher Unternehmer und Förderer der Stadt. Ehrbarer Bürger, Vorbild für uns alle. Einer, der anpackte und half, wo es notwendig war. Der dabei seine eigenen Mittel nicht schonte. Mäzen und Gönner. Auf diesen Sohn Aurichs könne man gewiss stolz sein. Ein ehrendes Gedenken sei das Mindeste. Als er diese Zeilen liest, werden seine Augen schmal und das Kinn hart. So ein Schwein. Arrogantes Stück Scheiße. Schade? Um den? Im Leben nicht! Er muss an sich halten, um nicht auszuspucken. Angewidert wirft er die Rundschau auf den Tisch und langt nach seiner Kaffeetasse. Doch schon nach dem ersten Schluck setzt er sie ab. Kalt. Einen Augenblick lang denkt er an seinen Auftraggeber. Er hat ihn getroffen, gestern Abend noch, auf einer Brache vor der Stadt. Es war ein fast feindseliges Gespräch, mit einem Mal hat der feine Herr Skrupel bekommen. »Ich habe gesagt, Sie sollen ihn beseitigen. Mehr nicht. Ihre perversen Spielereien missfallen mir.«
Er hat sich das Lamento angehört, aber es hat ihn weniger berührt als das Summen einer Fliege im Sonnenlicht. »Wenn ich mir schon für Sie die Hände dreckig machen soll, tue ich es auf meine Art«, hat er schroff geantwortet. Und dann angefügt: »Wenn es Ihnen nicht passt, dann machen Sie es doch selbst.«
Darauf ist der andere nicht eingegangen. »Was sollte das Tape? Die ausgestochenen Augen?«
»Es ist ein Zeichen«, hat er selbst trocken geantwortet und der andere ist aufgefahren.
»Ein Zeichen? Wofür?«
»Ein Zeichen für mich. Mein Markenzeichen.«
Sein Gegenüber hat ihn angesehen wie einer, der einen zu vollen Jaucheeimer anfassen soll. »Übertreiben Sie es nicht, Mann. Lassen Sie die Kirche im Dorf. Jedes unnötige Beiwerk ist ein Faden, an dem Ermittler ziehen können, denken Sie daran.«
Übertreiben Sie es nicht? Lassen Sie die Kirche im Dorf? Was soll das heißen? So spricht einer, der noch Aufträge hat. »Wobei soll ich die Kirche im Dorf lassen?«, hat er spöttisch gefragt. »Haben Sie denn weitere Stücke zu schlachten?«
Da hat sich der andere mit einem Ruck abgewendet und ist in die Nacht verschwunden. »Sie hören von mir!«, hat er noch von sich gegeben.
Für einen Moment verlor er selbst die Beherrschung. »Glauben Sie bloß nicht, dass Sie mich in der Hand haben. Es ist mindestens auch umgekehrt!«, fauchte er, doch da hatte die Dunkelheit den anderen schon verschluckt. Er hörte nur noch seine Schritte. »Aber Sie bezahlen mich, das ist doch wohl klar. Und das nächste Mal vorher. Auf die versprochenen 30.000 werde ich nicht verzichten!«, röhrte er ihm zornig hinterher.
Daran denkt er jetzt wieder, aber sein Atem geht ruhig, ebenso sein Herz. Er macht sich null Sorgen. Es ist eine Fügung gewesen, ein Zusammentreffen von Umständen, die eben passten, damals, bei seiner Einstellung im Landkreis. Wie solche Dinge sich manchmal ergeben, es lohnt nicht, darüber nachzudenken. Er hatte sich schon damit abgefunden, dass ein anderer den Posten bekommt, und wurde dann, als er eben gehen wollte, zu seiner Verwunderung in das große Amtszimmer gerufen. Der Mann wies ihm grußlos den Stuhl vor dem Schreibtisch an und schloss die schwere Tür. Der massive Eichentisch war blank und leer, vor dem Mann lag nur die Bewerbungsakte, ein dünner Hefter mit wenig Inhalt. »Sie sind schon lange arbeitslos.« Eine Feststellung, die verdammt nach Vorwurf klang. Und dann: »Es spricht für Sie, dass Sie versuchen, diesen Zustand zu ändern.«
Er hörte zu, während sich im Kopf die Räder drehten. Was will der, fragte er sich, was will er von dir? »In diesem Fall ja wohl wieder einmal vergeblich«, antwortete er trocken.
Der andere schloss die Akte und musterte ihn kühl wie jemand, der sich vor einer Entscheidung zum letzten Mal vergewissern will. »Nicht unbedingt.« Jawohl, die Stelle als Hausmeister in der IGS werde anders besetzt, aber es gebe eine weitere Möglichkeit. »Arbeiten Sie gerne an der frischen Luft?« Er dachte über die Frage nach, aber der andere wartete seine Antwort gar nicht ab. »Es gibt da einen Punkt in Ihrem Leben, über den ich mit Ihnen reden muss.«
Was weiß der über mein Leben?, schoss es ihm durch den Kopf.
Und dann las der Mann ihm brühwarm die Leviten. Tischte ihm diese alte Jugendsünde auf, die Sache mit dem jungen Fuchsweibchen, das er im Wald mit der Falle gefangen, an einen Baum gebunden, danach mit einem Stich in den Hals stimmlos gemacht und lebendig gehäutet hatte. Woher wusste er davon? Nachdem alles vorbei gewesen war, hatte er den Kadaver im Wald vergraben, an einer anderen Stelle, gut einen Meter tief. Ein Nachspiel hatte der Vorfall nicht gehabt, niemand hatte ihn beobachtet. Oder doch?
Als der andere wieder sprach, klang seine Stimme leicht angewidert. »Das ist, um es vorsichtig auszudrücken, ziemlich unappetitlich. Haben Sie da eine spezielle Neigung?« Das »spezielle« hatte er besonders betont und dabei