Ostfriesisches Komplott. Lothar Englert
Читать онлайн книгу.»Der Ratsbeschluss ist schließlich umgesetzt worden, die Stücke wurden an Auricher Bürger verkauft.« Er hat eine Schublade aufgezogen und ein Papier herausgeholt. Hat es über den Tisch geworfen, wie man einem Hund einen Knochen zuwirft. »Das ist das Protokoll eurer Sitzung von damals. Und nun zeige mir die Stelle, in der steht, was nach dem Kauf mit den Grundstücken gemacht werden soll oder darf. Zeige mir, wo verboten ist, dass man sie weiter veräußern darf, an wen auch immer? Das steht nirgendwo. An keiner Stelle. Da hat dein großartiger Rat einen Fehler gemacht.«
Bachmann hat das Papier zurückgestoßen wie ein widerliches Insekt. »Das mag ja sein. Was den Verkauf betrifft. Aber du kannst doch nicht abstreiten, dass unter dem Strich das Geld bleibt. Die Zahlungen der Schweizer an uns. Ich rede von uns beiden als Amtsträger, von dir und von mir. Wir unterlaufen einen Beschluss des Rates der Stadt Aurich zumindest dem Geist nach und nehmen dafür Geld. Viel Geld. Damit liegt ein schwerer Fall von Bestechlichkeit vor. Nach § 335 Strafgesetzbuch. Zehn Jahre. Und Edeka.«
Der andere hat hier zum ersten Mal die Beherrschung verloren. »Ja, Mann, Edeka. Aber nicht nur das!«, hat er gefaucht. »Es muss halt jeder den Schnabel halten!«
Bachmann hat ihn angesehen wie ein Matador den Stier vor dem Todesstoß. »Und wenn einer nicht den Mund hält?«
Sein Gegenüber hat abgewunken, er hatte sich wieder im Griff. »So viel Geld verschließt jede Lippe. Warum sich sorgen? Wozu schon jetzt Dinge begrübeln, ehe sie eintreten? Wenn es so weit ist, so weit kommen sollte, werden wir sehen. Und handeln. Im Lichte der Ereignisse. Nach den Gegebenheiten und Erfordernissen.«
Politikersprech. Das kannte Bachmann zur Genüge. Und trotzdem hat der Auricher Bürgermeister widersprochen, sich ein letztes Mal gegen die Versuchung aufgebäumt. Es schien ihm nun so, als müsse er seinem untadeligen Ruf noch eine Chance geben, unbefleckt zu bleiben. Sie würde nicht wiederkommen, das sah er mit einem Mal klar vor Augen. »Du träumst ja, Rolf. Das ist doch alles Quatsch. Wie kriegen wir das Geld denn nach Ostfriesland? Nach Aurich? In der Karibik nützt es uns doch nichts!«
»Der Träumer bist du, Matthias«, hat Storjohann grob herausgezahlt, »oder zumindest der Ahnungslose.« Und dann den anderen in harschem Ton belehrt. Das alles sei längst mit den Schweizern geregelt. Zunächst das Geld, der Leeraner Landrat sprach von 60 Millionen. Es liege formal bei einer Bank auf der Karibikinsel St. Kitts, in der Hauptstadt Basseterre, eigentlich aber auf einem Schweizer Konto. Was davon am Ende tatsächlich abfließe, sei natürlich heute noch offen. Aber die Summe sollte ausreichen, um alle Auricher zu bedienen. Sie sei im Übrigen verfügbar, sobald die Bedingungen in Aurich erfüllt wären. Der Transfer sei danach überhaupt kein Problem. Man gründe vor Ort eine Reihe von Scheinfirmen. Briefkastenfirmen. Mithilfe der Schweizer. Produzierendes Gewerbe komme nicht in Betracht. Es sei zu aufwendig, zudem eher nachprüfbar. Am besten geeignet wären Dienstleistungen. Die seien plausibel ertragreich und leicht zu tarnen. Storjohann zählte die Felder auf: Qualitätsmanagement, Personalwesen, Pflegedienst, Gastronomie und Hotellerie und Unternehmensberatung. Diese Firmen würden ins dortige Handelsregister eingetragen und damit behördlich registriert, mehr sei nicht erforderlich. »Ihr – du und deine Auricher Freunde – werdet Mitglieder der Geschäftsführung oder Teilhaber. So habt ihr Zugriff auf die angeblichen Gewinne. Ihr müsst euch überlegen, wie ihr das aufteilt. Die Schweizer raten dringend dazu, unterschiedliche Branchen zu besetzen, das dient der Verschleierung. Am klügsten wäre es, wenn immer zwei oder drei an einer Gruppe von Firmen beteiligt sind. Es wäre auch clever, diese Unternehmen in der Region zu verteilen. Das erschwert den Überblick für Außenstehende. Die Schweizer schicken uns dazu eine Liste mit Vorschlägen. Über alles das müsst ihr natürlich Stillschweigen bewahren, klar.«
Ganz allmählich haben die Dinge in Bachmanns Kopf konkrete Formen angenommen, doch mit der Klarheit ist auch seine Besorgnis gewachsen. Er hatte inzwischen ein Gefühl für das Risiko entwickelt, von dem der Landrat behauptete, es sei überschaubar klein, solange alle richtig mitzögen. Und dagegen standen die Zahlen. Die Zahlen! Die Zahlen! Sie haben ihm schier den Atem genommen. Storjohann hat dann den Rest schnell geschildert. Man arbeite mit anderen Scheinfirmen zusammen oder erfinde sie selbst. Alle Dokumente und Rechnungen wären Spielpapiere oder gefälscht. Hier hat Bachmann die Augen aufgerissen. »Und die anderen machen dabei mit?«
Storjohann ist ärgerlich über die Unterbrechung gewesen. »Wer? Die anderen? Das sind doch auch Dreckhasen. So wie wir. Alles nur eine Frage des Geldes.« Das Prozedere selbst klinge kompliziert, sei aber recht einfach. Dazu bediene man sich einer Struktur in der Region der Karibischen See bis zum Golf von Mexiko über Mittelamerika und den Norden von Südamerika, die komplex vernetzt sei, sodass Rückverfolgungen kaum möglich wären. Die Zeit, die es brauche, um die Dinge in Aurich reifen zu lassen, genüge, glaubwürdig einen zweistelligen Millionenbetrag in der geplanten Größe als Gewinn zu generieren. Danach werde das Geld nach Deutschland transferiert und versteuert. Und damit sei es sauber. »Es kann uns nichts Besseres passieren, als durch den deutschen Fiskus zu laufen«, hat Storjohann mit verschlagenem Lächeln gesagt. Dem Auricher Bürgermeister ist natürlich sofort klar geworden, dass damit auch die von Storjohann beschworene Diskretion ihr Ende finden musste. Spätestens jetzt, bei der Versteuerung des Geldes, musste man sich zumindest dem Finanzamt gegenüber erklären. Die würden wissen wollen, woher der Segen stammt. Und dann kam es darauf an, dass die Legenden hielten. Aber davon sprach der Landrat nicht. Stattdessen richtete er sich drohend auf. Und wiederholte seine Mahnung. »Es hängt halt alles davon ab, dass deine Leute das Maul halten, verstanden? Also suche dir die richtigen aus und sorge dafür.«
»Und wenn doch einer quatscht?«, ist Bachmann auf seine alten Bedenken zurückgekommen.
Storjohann hat gelacht, aber das Lachen hat seine Augen nicht erreicht. »Darüber denke ich nach, wenn es so weit ist. Und nun mach dir nicht so viele Sorgen, Mann. Kopf hoch! Wird schon schiefgehen!«
So ist das gewesen. Heute weiß Bachmann zweierlei: Den Zeitpunkt, aufzustehen und zu gehen, hatte er längst verpasst gehabt. Dazu war es zu spät gewesen. Oder vielleicht doch noch nicht? Er hat nicht gewusst, was er tun sollte. Und zweitens, dass der andere sehr wohl schon damals über einen solchen Fall nachgedacht und dafür Vorkehrungen getroffen hat. Albert Ukena hat angeblich den Mund nicht halten können. Und Albert Ukena war tot. Dafür hat dieser Mann da vor ihm gesorgt. Durch wen? Wer war sein Werkzeug? Mit einem Mal hasst er den anderen. Und ist sehr zornig auf ihn. Dieser Verführer! Wo ist er selbst da nur hineingeraten? Wie kommt er wieder heraus? Jetzt sind wir auch noch Mörder. Oder zumindest doch Mitwisser. Dass es so übel kommen würde, damit ist nicht zu rechnen gewesen, niemals im Leben hätte er an eine solche Entwicklung gedacht. Und wer weiß denn, ob es nun dabei bleiben wird? Womöglich wird es noch weitere Tote geben. Wenn wir ihn, wenn ich ihn weitermachen lasse. Unsäglich, das alles. Was tun? Wenn ich schweige, geht es vielleicht gut. Rede ich, ist alles verloren. Bachmann weiß keinen Ausweg.
Der Mann vor ihm scheint seine Gedanken zu riechen, die Sorgen und Ängste. Jedenfalls klingen seine nächsten Sätze wie eine offene Drohung. »Wir können uns keine Schwätzer leisten, ganz gleich, wer es ist. Ukena war notwendig. Er hat uns alle in Gefahr gebracht. Vor allem uns beide. Dich und mich. Wir spielen eine Sonderrolle, vergiss das nicht.«
Brütend sieht Bachmann ihn an. Seine Hände sind fest zu Fäusten geschlossen. Doch ehe er antworten kann, fährt der andere fort: »Es war ein bedauerlicher Betriebsunfall. Unschön, zugegeben, aber auch unvermeidbar. In diesem Fall. Sorge dafür, dass es dabei bleibt.«
Das ist eine Warnung, Bachmann spürt es genau. In diesem Moment begreift er Storjohann als großes Übel. Sogar als einen Feind. Einen, den man fürchten muss.
6.
Pulverdampf und Schwefel
Die Sitzungen des Rates der Stadt Aurich sind bis auf wenige Ausnahmen öffentlich. Oberkommissarin Mieke Janßen hat trotzdem noch keine miterlebt, aber nun ist sie in eine hineingeraten. Die Vorzimmerdame des Bürgermeisters, Frau Vossen, hatte ihr am Telefon gesagt, Herr Bachmann sei im Hause und zu sprechen. Also ist sie hinübergegangen, es sind ja nur ein paar Schritte über die Straße. Aber dann war Bachmann doch nicht in seinem Büro, sondern im Ratszimmer. Der Finanzausschuss tagt dort in Routinefragen. Sichtung des Haushalts, mittelfristige