Ostfriesisches Komplott. Lothar Englert
Читать онлайн книгу.schon aufstehen– ich habe nichts mit Ihnen zu schaffen, noch weniger habe ich mich vor Ihnen zu rechtfertigen –, aber da war der Job und seine lange Hartz-4-Zeit, die ihn ankotzte.
»Das bleibt unter uns. Ich nehme Sie trotzdem. Wir brauchen Gärtner«, sagte der Mann hinter dem großen Schreibtisch und fügte an: »Ihren Job verdanken Sie mir. Ich erwarte als Gegenleistung Ihre Gewogenheit.« Was das genau hieß, blieb offen, er fragte auch nicht danach.
Vor vier Monaten hat dieses Gespräch stattgefunden, vor vier Monaten und sieben Tagen, um genau zu sein. Und dann ist der Anruf gekommen. Sie haben sich auf der Brache getroffen, der andere hat geredet. Er hat zugehört und keine Fragen gestellt, es war nicht nötig, denn alles war ebenso klar wie einfach. Das Opfer kannte er, ein arrogantes Stück Mist, um das es nicht schade war. Er hatte sogar einen persönlichen Grund, ihn nicht zu mögen, denn beim letzten Stadtfest hatte er den Kerl gegrüßt, und der hatte blasiert über ihn hinweggesehen. Zu den Gründen für den Auftrag hat der Mann nur das Nötigste gesagt. Es gebe da ein gemeinsames Geschäft, das Diskretion verlange, aber der Ukena könne den Schnabel nicht halten. Das bringe alle in Gefahr, die damit zu tun hätten. Ukena müsse zum Schweigen gebracht werden. Er hörte sich das an, ohne weiter darüber nachzudenken. Es kümmerte ihn nicht. Aber schon damals bewunderte er die Umsicht des anderen. Das musste wohl ein pikantes Geschäft sein, von dem der da sprach, und ein großes. Auch eins, über das man nicht öffentlich reden durfte. Also eins, das nicht sauber war. Folglich musste der Mann frühzeitig erwartet haben, dass einer der Beteiligten quatschen würde. Und hat für den Fall Vorsorge getroffen. An diesem Punkt hörte er selbst auf, sich mit den Hintergründen zu befassen. Sie gingen ihn nichts an, sie interessierten ihn nicht. Der Rest war fast ein Kinderspiel. Sein Plan für die Tat war bald fertig, die notwendigen Fakten rasch ermittelt. Und die Umsetzung hat ihm ein stilles Vergnügen bereitet, diesen seltsamen Kitzel, den er so gern spürt.
Den er vielleicht wieder spüren wird, denn es hat ihm so geklungen. Er wäre jedenfalls bereit, und die weiteren 30.000 könnte er gut gebrauchen. Er legt die Zeitung zusammen und gießt sich einen neuen Kaffee ein. Während er trinkt, sieht er auf die Küchenuhr. Noch zwei Stunden bis zu seiner Schicht. Behaglich streckt er die Beine.
Der Leiter der Polizeiinspektion Aurich ist sehr sachlich. Polizeioberrat Rüster ist fast ein zu nüchterner Vorgesetzter. Mieke kennt ihn schon seit Jahren, wie man sich eben in der Polizei Ostfrieslands kennt. Man läuft sich immer wieder über den Weg. Bei ihrer Versetzung nach Aurich vor einem halben Jahr ist Rüster schon da gewesen, er hatte seinen Vorgänger, Direktor Wehner, bereits abgelöst. Mieke Janßen hat den Chef niemals aufgeregt oder sogar unbeherrscht erlebt. Rüster ist manchmal etwas spöttisch, das schon, aber immer staubtrocken, ein friesischer Kaltblüter. Auch jetzt hebt er kaum die Stimme. »Natürlich erregt diese Tat in der Stadt eine besondere Aufmerksamkeit. Auf Neudeutsch nennt man das ›Visibilität‹. Ukena war ja schließlich nicht irgendwer. Er gehörte zur Auricher Elite.« Der Polizeioberrat wartet schon eine ganze Weile auf seine Beförderung zum Direktor. Seine Einweisung in die Besoldungsgruppe A 15 zieht sich. Der neue Finanzminister hat nach der Landtagswahl eine Haushaltssperre verfügt, die immer noch andauert. Rüster ist ein Stoiker. Es ist klar, dass ihn die Sache ärgert, aber er zeigt es nicht. »Auf unsere Arbeit hat das keinen Einfluss. Wir ermitteln genauso, als würde es sich um einen Malocher vom flachen Land handeln«, hört die Oberkommissarin. Was den Täter betrifft, ahnt Rüster nicht, wie nahe er damit der Wahrheit kommt. Mieke auch nicht. Ihr fällt nur auf, dass der Oberrat von »unserer« Arbeit spricht und ihre meint. »Die Sonderkommission steht. Keine Rücksichten!«, fährt der Inspektionsleiter fort. »Gehen Sie ran, Frau Kollegin, auch bei der Staatsanwaltschaft. Wenn es Probleme gibt, kommen Sie zu mir.«
Sie nickt und nimmt die Spurenakte vom Tisch, aber der Chef ist noch nicht fertig. »Ich muss nicht betonen, dass der Fall trotzdem wichtig ist. Wir wollen ihn schnell lösen. So schnell wie möglich.« Wieder das »wir«, wo ein »Sie« gemeint ist. Und der Fall? Wichtig? Schnell lösen? Also doch nicht ganz so wie bei einem Malocher vom flachen Land?
Der Oberrat schenkt beiden Tee nach. Er ist gebürtiger Auricher, aber seine Familie stammt aus Pommern. Rüster blickt sinnend in seine Tasse, schaut zu, wie die Sahne im Tee verläuft. Dann hebt er den Kopf. Auf seinen Lippen steht ein nachdenkliches Schmunzeln. »Kollege Janßen hat ja nun Urlaub. Wenn Sie ihn brauchen, hole ich ihn zurück.«
Hauptkommissar Jonte Janßen ist Leiter des Fachkommissariats 1, jetzt mit seiner Frau in Ferien auf Norderney. Mieke gehört zu seinem Team, das Rüster manchmal scherzhaft als »Kampfgruppe Janßen« bezeichnet. Verwandt sind die beiden nicht, es handelt sich lediglich um eine vollständige Namensgleichheit. »Ob ich mich daran gewöhnen kann, weiß ich nicht«, hat Rüster grinsend bemerkt, als er die Polizeiinspektion übernommen hat. Jetzt legt er nach. Wird sogar ironisch. »Sie brauchen es nur zu sagen und Jontes Urlaub ist gestrichen. Er würde sich übrigens riesig freuen.«
Mieke schüttelt den Kopf. »Bloß nicht!«, versetzt sie selbstsicher.
Rüster nickt, er hat es nicht anders erwartet. »Ist ja auch doof, dass gerade jetzt Kollege Bullerjahn auf Lehrgang ist.«
Kriminalrat Bullerjahn ist Leiter des Zentralen Kriminaldienstes und besucht, kurzfristig abberufen, ein mehrwöchiges Weiterbildungsseminar in Hannover. Das ist auch der Grund, warum beide hier sitzen; der Chef nimmt Bullerjahns Aufgaben zusätzlich wahr, weil Jonte im Urlaub ist. »Sie müssen halt mit mir vorliebnehmen«, sagt Rüster, ohne zu lächeln, »aber die anderen sind ja auch noch da.«
Die anderen, das sind zwei Kollegen aus dem Fachkommissariat 1. Oberkommissarin Banafsheh Schariatmadari, das »Veilchen«, und Oberkommissar Frerich Frerichs. Mit Mieke bilden sie den Kern der Sonderkommission, die eigentlich eher eine erweiterte Ermittlungsgruppe ist. Wie bei Mord üblich, arbeiten die übrigen Fachkommissariate zu. Der Leiter der Polizeiinspektion hat Mieke Janßen mit der Führung der Mordkommission beauftragt. Frerichs hat gerade eine Brandstiftung am Hals und Frau Schariatmadari ermittelt in einer Schutzgeldsache. Es ist die übliche Lage. Viel Arbeit für zu wenig Leute. Es wird, es muss auch so gehen, denkt die Oberkommissarin. Mieke erhebt sich. »Das ist nicht nötig«, sagt sie fest. Noch nicht.
Rüster nickt entspannt. »Viel Erfolg! Und kommen Sie zu mir, wenn es Schwierigkeiten gibt.« Das sagt er wieder. Ob er es bei Jonte auch gesagt hätte? Rüster ist nicht nur ein Stoiker, er kann auch Gedanken lesen. »Würde ich dem Kollegen Janßen bei diesem Fall auch anbieten. Im Übrigen weiß ich sehr gut, was Sie können. Sie werden es schaffen.«
5.
Hass und Zorn
Da sitzt Bachmann wieder vor dem schweren Eichentisch, der blank und leer ist bis auf ein Telefon. Er kennt diesen Tisch nicht anders als blank und leer. Keine Akte, kein Stück Papier hat er jemals darauf gesehen. Dieser Mann auf der anderen Seite braucht das offenbar nicht, er hat seine eigene Art zu arbeiten. Es ist schon eine Weile still zwischen ihnen, keiner der beiden spricht, sie haben Zeit. Das Vorzimmer wird dafür sorgen, dass sie nicht gestört werden. Der Bürgermeister mustert den anderen, der mit dem Handy klickert. Sie kennen sich schon lange, seit jeder von ihnen Politik macht. Der eine im Kreis, der andere in der Stadt. Auf eine seltsame Art haben sich ihre Wege dabei kaum gekreuzt, obwohl sich beide vor vielen Jahren um den Posten des Ersten Stadtrats von Norden beworben haben. Bekommen hat ihn aber ein Dritter. Damals sind Gerüchte gekreist, der andere habe über Bachmann ungünstige Behauptungen in die Welt gesetzt. Es wurde über Finanzprobleme gemunkelt, Bachmann pflege Hobbies, die er sich nicht leisten könne, überhaupt sei sein Lebensstil unangemessen. Nichts davon traf tatsächlich zu, im Gegenteil. Durch eine gediegene Heirat und zwei geerbte Häuser in der Innenstadt ist Bachmann zu Geld gekommen. Er liebt seit jeher große Autos, das schon, aber er kann sie sich schon lange leisten. Ob seine Chancen durch diese Dinge geschmälert worden sind, hat sich nie erwiesen, und als auch der andere bei der Wahl gescheitert ist, hat Bachmann das Interesse an der Sache verloren. Natürlich steckt sie ihm noch im Kopf, derlei vergisst man nicht, aber sie spielt keine Rolle mehr.
Jetzt legt der andere das Handy auf den Tisch. Er hebt den Kopf. Seine Züge sind entspannt, aber die Augen erinnern an einen frostigen ostfriesischen Wintertag. »Noch Tee?«
Der Bürgermeister