Ostfriesisches Komplott. Lothar Englert

Читать онлайн книгу.

Ostfriesisches Komplott - Lothar Englert


Скачать книгу
Erdboden gewachsen steht plötzlich der Chef in der Tür. Oberrat Rüster schnüffelt wie ein suchender Hund, dann geht er an den Wasserkocher, der im Büro eigentlich verboten ist, und macht sich eine Boullion. Wirft zwei Euro in das ebenfalls verbotene Sparschwein. Hockt sich hin, hört zu. Sofort riecht es nach Frittenbude. Frerich glotzt und zieht die Nase kraus, aber er sagt keinen Ton dazu. Zuerst reden die drei Oberkommissare über den Fall Ukena allgemein, Mieke fasst zusammen, was sie jetzt wissen. Oder zu wissen glauben. Die bisherigen Ergebnisse werden beleuchtet. Viel gibt es noch nicht, die Ermittlungen stehen erst am Anfang. Dass der Ermordete in ein gediegenes soziales Umfeld eingebettet war, ist keine Überraschung. Dazu gehören Honoratioren der Stadt, Unternehmer und alter Geldadel, auch der Bürgermeister ist Teil dieses Kreises. Klar ist im Übrigen, dass alle befragt werden müssen. Die drei sind sich einig: Wenn es einen Faden gibt, der zum Mörder und zu Hintergründen führt, dann ist er hier am ehesten zu fassen. Der Chef hebt kurz den Blick, als Mieke über das Gespräch mit Bürgermeister Bachmann berichtet. Den Tumult im Rat streift sie mit zwei Sätzen. »Da sind die Fetzen geflogen. Es hörte sich so an, als sei bei diesem Deal nicht alles korrekt verlaufen.«

      Oberrat Rüster schüttelt leicht den Kopf.

      »Wie dem auch sei. Hat ja nichts mit unserem Fall zu tun«, befindet Mieke.

      Gemeinsam legen sie das Programm für die nächsten Tage fest. Presse und regionales TV sollen in die Suche nach Zeugen eingebunden werden. Auch den von Schmalfuß beobachteten Reiter will man ermitteln. Darum werden sich Banafsheh und Frerich kümmern. Mieke Janßen wird Freunde und Bekannte des Toten durchleuchten. Dazu sollen morgen die ersten Telefonate geführt werden. Die beiden Oberkommissare zockeln schließlich ab, Frerich bedient sich vorher mit der ganzen Hand aus dem Bonbonglas, das Mieke auf ihrem Schreibtisch stehen hat. Der Chef bleibt hocken, er hat seine Boullion erst zur Hälfte getrunken.

      »Sie waren bei Bachmann?«, fragt er ruhig.

      Mieke nickt. Der Bürgermeister gehört zu Ukenas Freundeskreis, seine Befragung muss sie nicht begründen.

      »Und?«, hakt der Chef nach.

      Mieke sieht ihn an. »Ich bin noch nicht fertig mit ihm«, sagt sie. »Im weiteren Verlauf der Ermittlungen …«

      Da hebt der Oberrat die Hand. »Ist in Ordnung. Bleiben Sie am Ball. Keine Rücksichten. Ich sagte es ja schon: Wir ermitteln genau so, als wäre ein Schrauber vom flachen Land betroffen.«

      Als Rüster geht, lässt er seine benutzte Boulliontasse stehen. Das ist gegen die Regel, aber Mieke protestiert nicht. Sie wundert sich. Es ist doch völlig klar, dass ohne Ansehen der beteiligten Personen gearbeitet wird. Auch Bürgermeister oder sogar Landräte werden vernommen, wenn nötig auch scharf vorgeführt. Warum betont der Chef das ständig?

      Abends redet Mieke sich die Last des Tages von der Seele, aber ihr Mann hört nur mit einem Ohr zu. Jörg Janßen leitet eine Abteilung in der Ostfriesischen Creditbank Aurichs. Irgendwann kommt sie auch auf das neue Auto des Bürgermeisters zu sprechen. »So ein Schlitten«, sagt sie. »Daimler. S-Klasse, glaube ich. Muss ein Schweinegeld gekostet haben.«

      Aber Jörg ist träge, maulfaul murmelt er irgendwelche Antworten.

      Plötzlich fragt sie ihn: »Sag mal, was verdient eigentlich so ein Bürgermeister?«

      Jörg gähnt herzhaft, ehe er sich äußert. »Keine Ahnung. Landesbesoldungsgruppe. Das hängt ja wohl auch von der Größe der Kommune ab. Ich denke mal, so um die 5.000 im Monat.«

      Mieke staunt. »Nanu! Und davon kann er sich einen solchen Wagen leisten?«

      Jetzt sieht Jörg auf. »Ach, du redest von Bachmann. Der hat doch eine reiche Frau geheiratet.«

      Sie beugt sich lächelnd zu ihm hinüber und küsst ihn auf die Nase. »So wie du!«

      Jörg grinst knapp, sagt aber darauf nichts, er vertieft sich wieder in seine Zeitung. Mieke ist auch müde. In dieser Nacht träumt sie wirres Zeug. Bachmann verfolgt sie mit seinem Mercedes. Er hat ein langes, blutiges Messer in der Hand. Während er sie jagt, singt er ein seltsames Lied, das Mieke noch nie gehört hat.

      7.

      Die schweigende Wand und ihr erster Riss

      Die Beerdigung von Albert Ukena ist für übermorgen angesetzt. Eine Trauerfeier in der Kapelle des Friedhofs an der Adolf-Dunkmann-Straße mit anschließender Beisetzung. Wegen der hohen Anteilnahme in der Auricher Bürgerschaft erwartet man eine rege Beteiligung.

      Mieke Janßen ist ungehalten. Sie ist zornig, und sie weiß auch genau, warum. Der Chef hat sie zu sich gerufen. Rüster ist beherrscht gewesen wie immer, aber was er zu sagen hatte, klang unerfreulich. Bachmann hatte ihn nämlich in der Stadt angesprochen, am Samstag auf dem Markt. »Ich habe mich über ihn geärgert«, hat der Chef spröde geäußert, es klang irgendwie nebensächlich, als wollte er sagen, der Bürgermeister hatte eine viel zu kurze Hose an. Ob er, Rüster, denn wisse, was seine Leute so täten, habe Bachmann recht spitz gefragt. Zum Beispiel, dass man ihn, den Bürgermeister, zu privaten Dingen befragt hätte. Zu Sachverhalten, die außer die direkten Beteiligten nun wirklich niemanden etwas angingen, am wenigsten eine Behörde, und ganz zuletzt die Polizei.

      Die Oberkommissarin hat die Brauen gehoben. »So? Was denn wohl?«

      »Die Kasernensache«, hat Rüster knapp zurückgegeben, und Mieke Janßen bekam plötzlich schmale Augen. »Der Kauf dieser Grundstücke damals«, schob der Chef erklärend nach. Und dann: »Bachmann hat ja auch gekauft. Ziemlich groß sogar.«

      »Stuss«, hat die Oberkommissarin geantwortet, sonst nichts, nur dieses eine Wort, aber in ihrem Kopf haben sich mit einem Mal die Räder gedreht wie Schwungscheiben. Was ist da los? Warum regt sich Bachmann darüber auf? So sehr, dass er Rüster darauf anspricht.

      Der Chef konnte mal wieder Gedanken lesen. »Interpretieren Sie bitte nicht. Wir halten uns an Tatsachen. Und wieso Stuss? Was haben Sie denn gefragt?«

      Mieke hat den Kopf geschüttelt. »Ihn gefragt? Nichts. Ich habe lediglich gesagt, dass ich die Kontroverse im Rat interessant fand. Und dass die Sache wohl ein heißes Eisen ist.«

      Der Chef hat die Stirn gerunzelt. »Ein heißes Eisen? Warum?«

      »Das ist nur so ein Eindruck«, hat Mieke vorsichtig gesagt. »Anscheinend ist der Erwerb der Grundstücke einer kleinen Gruppe vorbehalten gewesen.«

      Kriminaloberrat Rüster hat einen Moment darüber nachgedacht. »Sie waren halt teuer«, befand er schließlich. »Bei dieser Lage kein Wunder.« Dann hat er sich zurechtgesetzt. »Nun ja. Wie auch immer. Wir haben diesen Mord am Hals. Darauf sollten wir uns konzentrieren.« Was er nach Miekes Verständnis eindeutig meinte, war: Sie haben diesen Mord am Hals. Darauf sollten Sie sich konzentrieren. Ganz allgemein: Lassen Sie Ihre Hände von Dingen, die nichts damit zu tun haben. Und sehr speziell: Lassen Sie wegen der Kasernensache Ihre Hände vom Bürgermeister.

      Lassen Sie Ihre Hände vom Bürgermeister? Mieke hat sich aufgerichtet. »Sie meinen also, ich soll Bachmann in Ruhe lassen?«

      Jetzt ist der Chef sogar ein bisschen ärgerlich geworden. »Nein, Frau Kollegin, das meine ich ausdrücklich nicht. Wenn Herr Bachmann im Zuge von Ermittlungen eine Rolle spielt, dann ran an ihn. Im Rahmen der Vorschriften und Verfahren, so viel versteht sich. Ich habe es schon gesagt: keine Rücksichten. Auf niemanden!«

      »Und was haben Sie ihm geantwortet? Am Samstag auf dem Markt?«

      Oberrat Rüster hat ein schales Lächeln gezeigt. »Dass ich natürlich nicht immer genau weiß, was meine Kollegen gerade tun. Dass aber meine Kollegen es immer ganz genau wissen. Nämlich das Richtige«, sagte er. In diesem Moment waren seine Augen sehr ernst, fast sogar warm, Mieke hatte den Eindruck, sie hörte auch eine Bitte in seinen Worten.

      Entschlossen hat sie Rüster zugenickt. »So ist es.«

      Sie stand schon, als der Chef anfügte: »Ich habe ihm auch gesagt, dass ich mir verbitte, so auf der Straße angesprochen zu werden. Dass ich ihn auch nicht frage, ob er weiß, was seine Mitarbeiter machen. Es ist mir auch


Скачать книгу