Ostfriesisches Komplott. Lothar Englert
Читать онлайн книгу.es ohnehin nicht verstanden.
So ist das gewesen, und jetzt ist Mieke noch immer ungehalten, ja wütend. Dieser Bachmann. Was bildet der sich ein? Weil er Bürgermeister ist und Geld hat, stehen ihm keine Sonderrechte zu. Auch nicht in Sachen Empfindsamkeit. Was hat sie denn schon getan? Eine harmlose Bemerkung hat sie gemacht. Eine harmlose Bemerkung? Plötzlich schießen ihr Bilder durch den Kopf. Sinnsprüche. Wo Rauch ist, da ist auch Feuer. Getroffene Hunde bellen. Gelegenheit macht Diebe. Doch die vergisst sie bald, denn in der Sonderkommission wird gewirbelt. Zwei Kollegen hängen am Telefon und führen laute Gespräche. Andere diskutieren an einer Flipchart. Ein Drucker rasselt und speit Papier. Oberkommissarin Banafsheh Schariatmadari füttert ihren Computer. Frerich Frerichs redet mit Oberstaatsanwalt Schneider, der zu aller Verwunderung – seiner eigenen eingeschlossen – frisch befördert worden ist. Jetzt feuert der Oberkommissar zornig den Hörer auf den Schreibtisch, das Telefonat hat ihn wohl nicht sonderlich befriedigt.
»Das Telefon ist Eigentum des Landes Niedersachsen. Oft kannst du das nicht machen«, sagt Mieke mit leichtem Vorwurf und legt sorgfältig den Hörer auf. Frerich steht voll unter Dampf, er ist richtig aufgebracht. »Schneider spinnt, aber total. Er sagt, er will vorsorglich schon jetzt darauf hinweisen, dass er für mögliche Hausdurchsuchungen handfeste Beweise braucht!«
Mieke lacht freudlos. »Hausdurchsuchungen? Wer spricht davon? Viel zu früh. Wenn überhaupt.«
»Eben! Das habe ich ihm auch gesagt. Und weißt du, was er geantwortet hat? ›Ich kenne euch‹, hat er gesagt. Und: ›Ich bin eben meiner Zeit weit voraus‹!« Frerichs spuckt jetzt grüne Galle. »Und außerdem: Mann, was will der? Handfeste Beweise? Wenn ich die habe, brauche ich keine Durchsuchung mehr. Vollidiot!«
Mieke lässt ihn fluchen. »Der ändert sich nicht mehr. Du kennst ihn doch lange genug«, sagt sie. Schneider ist ihr aller »Liebling« in der Staatsanwaltschaft. Wenn sie können, gehen sie ihm aus dem Weg. Immer gelingt das nicht.
Die Kollegen von der Flipchart kommen zu Mieke an den Schreibtisch. Sie haben die ersten Befragungen durchgeführt. »Na, dann lasst mal hören«, sagt die Oberkommissarin.
Der Bauunternehmer Justus Nowack und Tjarko Joosten, selbstständiger Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, standen oben auf der Liste. Bei Nowack fangen die Kollegen an. Es lief nicht alles nach Plan. »Wir waren bei ihm auf dem Bauhof, er hat da eine Menge Zeug rumliegen, Steine, Kanalrohre, Schotter und Sandhaufen, derlei«, sagt einer der beiden. Aber nicht nur das. Seine Hunde liefen frei herum, und sie sind offenbar scharf. Zwei Rottweiler.
»Ist das Gelände eingezäunt?«
Der Kollege nickt.
»Und das Tor stand offen?«
Der Kollege nickt wieder. Das Tor stand offen.
»Und wenn die Viecher auf die Straße laufen?«
Das hätten sie den Nowack auch gefragt, sagt der Kollege. Der hätte nur gegrinst. »Die laufen nicht auf die Straße. Die bleiben hier auf dem Hof. Und achten auf Leute, die hier nicht hingehören. Er meinte wohl: ›solche wie ihr!‹« Der Beamte hält einen Moment inne. Dann sagt er: »Keinen Schritt konnten wir gehen. Die Viecher haben uns nichts getan. Aber rühren durften wir uns auch kaum.«
Der andere Kollege nickt. Und der Unternehmer hätte ausgesehen wie ein Handlanger, ungepflegt, dreckig, mit zotteligen Haaren. »Dabei ist der Mann doch reich. Auf dem Hof stand ein Bentley Continental GT V8. Ich habe das Modell letztes Jahr auf der IAA gesehen. Es kostet locker über 200.000 Euro.«
Unwillkürlich geht Mieke der Benz des Bürgermeisters durch den Kopf. Dann denkt sie, es sind halt Leute mit Geld.
Und die Vernehmung? Was ist da rausgekommen?
»Es ist seltsam«, sagt einer der Kollegen. »Die geben zwar Auskunft, aber sie antworten nur auf die Fragen. Ich meine, ganz präzise. Kein Smalltalk, nichts drumherum, kein weiteres Wort. Man hat immer das Gefühl, sie verschweigen etwas.«
»Kennen wir«, sagt Mieke nüchtern, »das muss nichts heißen. Und sonst?«
Der Kollege fährt sich nachdenklich über die Stirn, der andere zieht einen Notizblock aus der Tasche. »Wir waren in Nowacks Büro. Die beiden Köter waren dabei. Wir wollten, dass er sie draußen lässt, aber er hat gesagt, das findet nicht statt. ›Ich bin hier der Hausherr. Wir spielen nach meinen Regeln‹, hat er gesagt.«
»Und die Vernehmung?«, fragt Mieke geduldig.
Der Kollege blättert in seinen Notizen. »Das Übliche. Maulklammer. Kennen sich seit Langem. Haben sogar zusammen Urlaub gemacht. In Griechenland.«
Mieke sagt: »Klingt doch alles ganz flüssig.«
Der Kollege nickt zuerst, aber dann schüttelt er den Kopf. »Ich berichte jetzt flüssig. In Wirklichkeit hat sich das Gespräch so abgespielt.« Er schiebt ihr einen Papierbogen zu.
Mieke wirft einen Blick darauf. »Tonaufzeichnung?«, fragt sie streng.
Der Kollege verneint. »Gedächtnisprotokoll. Keine Sorge!«
Mieke liest.
»Sie kennen sich?«
»Ja.«
»Sie sind auch befreundet?«
»Ja.«
»Wie und wo haben Sie sich kennengelernt?«
»Am Großen Meer. Beim Segeln.«
»Am Großen Meer?«
»Ja.«
»Beim Segeln? Auf dieser Pfütze?«
Keine Antwort.
»Wann?«
»In jungen Jahren.«
»Und das heißt?«
»Als wir beide jung waren.«
»Aber da segeln Sie jetzt nicht mehr?«
»Nein.«
»Sondern wo?«
»In Griechenland.«
»Und Ihr Schiff?«
»Motorjacht. 20 Meter. 15 Tonnen. Einzelheiten erspare ich Ihnen.« Denn das ist nutzlos, davon verstehst du ohnehin nichts, so lautet die Botschaft.
»Und seins? Ukenas?«
»Gleiches Modell. Aber Albert fährt ja nun nicht mehr.«
Erstaunt hebt Mieke Janßen den Kopf. »Das hat er wirklich gesagt?«
Der Kollege nickt. Der zweite hat plötzlich ein verbissenes Grinsen im Gesicht. »Der Kerl war kalt wie die Schnauzen von seinen Kötern. Und wie erwähnt: kein Wort zu viel.« Die übrigen Inhalte der Befragung sind belanglos. Wechselseitige Besuche und Herrenpartien, Kegelausflüge, Anrufe zum Geburtstag, auch gemeinsame Feiern, Kinoabende mit den Frauen.
»Hatten die beiden geschäftlichen Kontakt?«, fragt Mieke.
Der Kollege schüttelt den Kopf. »Das habe ich ihn natürlich auch gefragt. Er sagt nein. Albert Ukena war ja Makler. Nowack hat sein Anwesen aber von den Eltern geerbt.«
»Deswegen kann er ja bei Ukena gekauft haben. Zum Beispiel eine Wohnung in Aurich. Oder ein Haus. Als Kapitalanlage.«
»Hat er nicht«, sagt der Kollege, »ich habe ihn danach gefragt.«
»Prüft das noch mal nach«, ordnet die Oberkommissarin an.
Der Kollege nickt und macht sich eine Notiz. Die Befragung des selbstständigen Wirtschaftsprüfers und Steuerberaters Tjarko Joosten ist fast gleich verlaufen. Anscheinend war der gesamte Kreis Mandant bei dem Mann, er hat alle steuerlich betreut, auch den Ermordeten. Der Rest war unergiebig. Dünn und mager. Ein Protokoll der Widerspenstigkeit. »Wir kommen wieder!«, hätten sie ihm gesagt. »Ach so, Sie wollen mir drohen«, das hätte ihnen Joosten geantwortet. Der war ziemlich frech. Aggressiv. Mieke nickt. Kennen wir doch. Das typische Verhaltensmuster von Unschuldigen, die