Dantes Inferno III. Akron Frey
Читать онлайн книгу.hörte ich meine innere Stimme. „Ist es die kollektive Angst vor den Müttern, die sich hinter ihrer Maske verbirgt? Ist es der Dämon, der uns vor dem Erkennen fernhält, damit unsere Ängste nie enden können: ein Bild der Erkenntnis, das uns durch die Angst vor der Versteinerung vorenthalten wird? Was liegt auf der anderen Seite der Versteinerung? Vielleicht die Erlösung? Oder zumindest die Erkenntnis, dass wir uns vor dem Entsetzen nur im Herzen des Entsetzens verstecken können?“
Es war ein fürchterlicher Moment des Schreckens, angefüllt mit schrecklichen Erinnerungen, die in mir hochstiegen, als ich mich bemühte, die Ursachen zu erkennen, die diesem Ereignis zugrunde lagen. Von Zeit zu Zeit drangen die schrillen, spitzen Schreie ungeborener Kinder wie die Fetzen einer verwehten Tonleiter an mein Ohr: „Komm heim zur Mutter“, flüsterte der Wind. Und das Echo schallte zwischen meinen Ohren.
Lange Zeit vernahm ich nichts. Die Götter hüllten sich in stumme Meditation. Endlich durchbrach ihre zischelnde Stimme das Schweigen: „Du siehst, die Mütter antworten nicht. Sie schweigen. Ich aber stehe dir Rede, wenn du es willst. Frage mich!“ Der Atem der von den Alpträumen umklammerten Wirklichkeit kroch mir ins Gesicht. Ich war mir nicht sicher, ob ich träumte, denn direkt vor mir züngelte ihr schlangenhafter Kopf.
„Wo bin ich hier?“ schrie es ganz tief aus mir heraus, wobei kein Laut über meine Lippen drang. Das Echo meiner Stimme tanzte wie ein irisierendes Regenbogenmuster in der Luft.
„Zu mir gelangen nur jene, die die Abnabelung ihres Mutterbildes bisher versäumt haben und nun bei mir zu finden hoffen, was sie schon im richtigen Leben nicht entwickeln wollten“, drang es wie ein metallisch dröhnender, durch ein heiseres Röcheln gedämpfter Widerhall an mein Ohr.
„Und das wäre?“ stieß ich stumm hervor.
„Die vollständige Verödung ihrer Emotionen, damit sie sich auch weiterhin der Konfrontation mit ihrer eigenen Nicht-Liebe und Unzulänglichkeit entziehen können.“
„Versteh ich dich recht? Du tötest ihre Emotionen, indem du ihre Körper zu Stein werden lässt?“ Außer mir vor Entsetzen sprang ich auf. Aber es war nur ein schrilles Bild in meinem Kopf.
„Sicherlich, denn der, dessen Herz zu Stein erstarrt ist, braucht fortan weder Schmerz noch Trauer zu fürchten. Niemals wieder wird ihn etwas emotional verletzen können. Es ist ganz leicht, du brauchst nur für einen kurzen Moment die Augen zu öffnen und alle deine Ängste sind für immer verschwunden.“ Den Blick starr auf einen Punkt zwischen meinen Augen gerichtet, lag in ihren Zügen ein Ausdruck von lodernder Ruhe.
„Und meine versteinerten Gebeine zieren fortan den Grund dieses Turmes, nicht wahr?“ folgerte ich lautlos.
„Du bist ein kluges Bürschchen“, zischelte sie anerkennend, „doch was weißt du schon von durchlittenem Leid und sich beständig selbst verzehrendem Seelenschmerz? Du steigst doch lediglich zu mir herab, um deine Erkenntnisse in Buchstaben oder Chiffren bannen zu können. Von deiner vermessenen Idee besessen, meine Botschaft jenen Menschen zugänglich machen zu können, die mit der Erfahrung leben müssen, von der eigenen Mutter niemals angenommen worden zu sein. Verkopfte Totgeburten, die sich in ewiger Schuld und Verdammnis selbst zerfleischen und ihre verbitterten Gemüter lieber weiterhin mit dem Schund irgendwelcher hohlgeistigen Lehren voll stopfen, anstatt den wirklichen Ursachen ihres Dilemmas auf den Grund zu gehen.“
„Du sprichst von ihrer Zurückweisung durch das Leben?“ schoss meine Frage wie aus einer Energieblase von leuchtendem Licht. Ich spürte den Druckabfall in der Atmosphäre.
„Ganz recht! Denn einzig ihre Angst, nicht ins Leben hinauszuwollen, bestimmt die zukünftigen Erlebnisse, in denen sich reflektiert, was sie selbst einst bis zur Gänze auslebten – nämlich die Befriedigung der eigenen Gefühle ohne Rücksicht auf andere! Dieses instinktive Erahnen, gekoppelt mit der vergangenen Schuld, lässt sie nun erfahren, was sie selbst stets fürchteten – die irrationale Seite ihrer Gefühle, die sie nun durch Abtöten ihres Herzens auszusteuern und zu kontrollieren suchen. Und ich helfe ihnen dabei, diesen letzten Schritt zu vollziehen.“
„Dein letzter Schritt ist nichts anderes als das Scheitern der Liebe“ rief eine Stimme erbost aus mir heraus. Ich hatte Mühe, meine Augen geschlossen zu halten.
„Liebe?“ höhnte es mir verächtlich entgegen. „Ich bin nur die letzte Konsequenz dessen, zu was sich Menschen im Leben selbst entschlossen haben. Mein Blick verspricht nichts anderes wie die Erfüllung ihrer Sehnsucht, deren Anhaftung sich in meinem Todeskuss soweit erfüllt, dass keinerlei Regung und Bewegung mehr stattzufinden braucht. Meine Liebe ist ein Geschenk bis ans Ende der Zeit, wo alle Materie dereinst zu Staub zerfallen wird. Ich stehe für die Liebe, die nichts mehr zu wollen braucht, weil sie alles, was es zu erreichen gibt, schon in sich trägt. Ich bin die schwarze Mutter, die die Liebe aus ihren Kindern heraussaugt …“
„Mir ist dieser traurige Umstand durchaus bekannt“, schoss ein besänftigender Informationswirbel durch die Luft, „doch möglicherweise übersiehst du in deinem Hass, dass du selbst ein Teil dieses Dilemmas bist, dessen Vorhandensein für dich mittlerweile Mittel zum Selbstzweck geworden scheint. Denn so sehr wie du die zu dir kommenden Männer für ihre Unfähigkeit zur Hingabe verachtest, lehnst du auch deine eigenen Gefühle ab, die du als Schwäche abtust, sich seinem Gegenüber ausliefen zu wollen. Lieber reißt du ihnen das Herz heraus und verwandelst sie zu leblosen Objekten, damit sie dir nicht mehr gefährlich werden können, genießt aber dennoch die Anziehungskraft, mit der sie in ihrer Unerlöstheit zu dir hingetrieben werden.“
„Doch nur, weil sie bei mir etwas zu finden hoffen, das sie selbst zu geben niemals bereit sind“, fauchte sie mir entgegen.
„Weil sie sich fürchten, von dir verschlungen zu werden“, strömte es voller Inbrunst aus meiner Brust.
„Nein, weil sie sich vor meiner Liebe fürchten, in deren Erfüllung der Tod ihres Egos lauert.“ Sie öffnete ihren Rachen. Aus ihrem Mund tropfte frisches Menschenblut und in ihren Augen spiegelten sich die Schrecken der Verdammten, lebendig begraben in ihrer höllischen Gruft. „Führt Akron nicht selbst meinen heiligen Stab als erlösenden Schlüssel mit sich?“
„Deinen? Du meinst diesen Caduceusstab, den Stab des Hermes Trismegistos?“
„Ganz recht, den Stab des Hermes, jenes Hermaphroditen, der wusste, dass die unsterbliche Kraft der sich stets häutenden Schlange die beste Medizin für den Menschen ist, wenn man die tiefe, ergänzende Heilkraft des Drachenbluts erkennt, das mir Akron bei unserem ersten Aufeinandertreffen gestohlen hat“, zischte sie und in der unfassbaren Tiefe ihrer Worte lag große Zauberkraft: „Er merkte schnell, dass er mit diesem Gift nicht nur heilen, sondern auch Tote zum Leben auferwecken konnte. Leider entfernte der durch seinen Materialismus sich immer mehr in den Mittelpunkt stellende Mensch die Schlange des Todes vom Baum des Lebens, um nur noch die eine, heilende Schwester anzubeten. Fortan führt er in seinem Äskulapstab lediglich die eine Schlange, während er sich meines erlösenden Segens in Form von drohendem Unheil und Krankheit zu entledigen hofft. Nur deshalb fürchtet mich die Medizin, weil sie verdrängt hat, dass ich alle Wesen des Universums aus meinem Leib gebäre, den ich gleichzeitig mäste, wenn ich das Blut der Verstorbenen auflecke. Ich bin die ewige Nacht, die Grosse Todin, Schoß und Grab der Welt in einem, die unverfälschte letzte Wahrheit der Natur, der alle dienen und sich beugen müssen!“ Tief erschüttert von ihren Worten überkam mich ein Frösteln.
„Wovor fürchtest du dich?“ fuhr sie mit etwas milderer Stimme fort. „Mein Auftauchen ist die wieder gefundene Rechnung an den Sonnenhelden, dessen Zerstörungswillen der Natur gegenüber schon wieder Teil seines Heilungsprozesses ist. Bist auch du nicht lieber bereit, tausend Hexen zu verbrennen, als die Möglichkeit der Flucht vor der eigenen Dunkelheit im Spiegel des Weiblichen aufzugeben? Du läufst ständig vor dem Gefühl emotionaler Einbindung davon, um die Kontrolle über die Opfer aus Angst vor deren Rache nicht abgeben zu müssen.“
Ich nickte ergeben: „Inzwischen habe ich erkannt, dass sich keiner dem Weg der absoluten Hingabe entziehen kann, wenn er die geistigen Ufer hinter seinen emotionalen Masken erreichen will.“
„Wohl gesprochen,