Gefährliche Geschäfte. Adi Waser

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Gefährliche Geschäfte - Adi Waser


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      Carl war sich plötzlich seiner weichen Knie und der allgemeinen Schwäche bewusst und hielt sich einhändig an der Wagentüre fest. Die Übelkeit verstärkte sich, und er hätte sich am liebsten übergeben. Er versuchte, sich auf die innere Stimme, oder was es sein mochte, zu konzentrieren, und glaubte etwas zu hören wie:

      „Komme morgen um eins in der Früh hierher. Alleine. Wenn du nicht kommst, holen wir dich von zu hause ab!“

      „Morgen, um eins in der Früh, jaja“, echote Carl mit dünner, brechender Stimme. Wie ein Depp kam er sich dabei vor, gab sich aber Mühe, sein Gegenüber etwas genauer zu betrachten.

      Im wächsernen Gesicht der Kreatur regte sich kein Muskel, er las darin keine Zustimmung, keine Regung oder sonstiges. Nur ernste, unergründliche Augen lasteten wie Blei auf ihm. Carl schaute weiterhin in das leicht bekümmerte Gesicht wie ihm schien, und versuchte, sich jede Unebenheit einzuprägen. Minutenlang, stundenlang, ganze Ewigkeiten.

      Irgendwann erschreckte er sich wie ein Nachtwandler. Mutterseelenallein stand er auf der dunkeln Waldstrasse.

      „Alles weg? Wie weggepustet, oder soll ich sagen wie ausgeknipst? Unglaublich, ich erinnere mich nicht, dass es zurückschwebte oder gar wegflog?“

      Als Carl wieder einigermassen bei Sinnen war, zündete er sich mechanisch eine Zigarette an, stieg ins Auto und drehte am Zündschlüssel. Der Motor sprang an, und zu seiner Verblüffung funktionierte auch Licht und Radio. Langsam, und mit gütiger Unterstützung des neuen Nikotinschubs beruhigten sich seine Nerven etwas.

      „Was war das? Bin ich denn reif für die Klapse?“

      Aufgewühlt fuhr er langsam aus dem Wald, immer wieder angstvoll zum Himmel blickend, aber dort tat sich nichts. Kurze Zeit später drückte er die Fernbedienung seiner Aussengarage und war dafür nie dankbarer als heute. Rundum lagen die Häuser im Dunkeln, ein paar Strassenlaternen verbreiteten trübes Licht. Irgendwo bellte ein Hund.

      10

      Im Wohnzimmer getraute sich Carl aus diffusen Gründen nicht, Licht zu machen. Im Halbdunkel goss er sich zitternd einen dreistöckigen Whiskey ein, und leerte diesen in einem Zug. Einen vierundzwanzigjährigen Oban Single-Malt, gelagert und liebevoll gepflegt im Eichenfass, für die momentane Situation aber völlig unbedeutend. Im bequemen Hochlehner einer beigen deSede Leder-Polstergruppe versuchte er, Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Er goss nach und warf automatisch einen Blick auf seine Rolex. Und erschrak:

      „Was? Das kann doch nicht sein! Es ist halb zwei? Wenn ich mich richtig erinnere, hörte ich doch die elf Uhr Spätnachrichten?“

      In beklemmender und angstvoller Stimmungslage versuchte er verzweifelt, sich einen Überblick der vergangenen zweieinhalb Stunden zu verschaffen. Halblaut murmelte er:

      „Das heisst im Klartext, ich habe zweieinhalb Stunden gebraucht, um rund drei Kilometer im Auto zurückzulegen? Aber was ist zwischenzeitlich passiert, mal vom Erscheinen dieser Kreatur abgesehen?“

      Er ordnete dies mit vielleicht zwanzig Minuten ein, vielleicht auch etwas weniger.

      „Und der grosse Rest? Jetzt glaube ich langsam, dass ich tatsächlich so etwas wie Zeit verloren habe? Ja wenn man Zeit überhaupt verlieren kann?“

      Diese Erkenntnis liess ihn erschauern. Die verloren geglaubte Zeit war ähnlich einem Loch im Gehirn und nichts, aber auch gar nichts fiel ihm dazu ein.

      „Und was hat dieses Monster gesagt? Morgen um eins in der Früh? Nein, nein, das habe ich mir bloss eingebildet. Vermutlich eine Fehlreaktion meines Gehirns. Weiter nichts.“

      Carl war sich trotzdem nicht ganz sicher und überlegte weiter:

      „Ich könnte flüchten? Ja könnte ich. Morgen. Mit dem Flieger nach London. Sie würden mich sicher nicht finden. Früher oder später vielleicht doch? Und dann? Soll ich vielleicht Tanja vom Vorfall erzählen? Nein, die würde mich auslachen, und ich müsste mir dies jahrelang wieder und wieder anhören. Ein Burnout Syndrom? Nein. Bestenfalls würde sie meinen Hausarzt ins Vertrauen ziehen, und darüber tratschen wie über einen armen Irren. Nein, sie kann ich nicht ins Vertrauen ziehen. Die Sache alleine durchstehen? Ja, durchsitzen, absitzen, wie auch immer. Aber alleine!“

      Eine Zigarette später verliess ihn der Mut. Und nach dem Einschenken eines weiteren Single-Malt kam er zum Entschluss, dass er eine Entscheidung für heute vertagen musste:

      „Gedanken und Probleme lösen sich manchmal von selbst, man muss nur die nötige Distanz wahren. Ich beende jetzt augenblicklich dieses idiotische Brainstorming, und hau mich in die Pfanne.“

      Schlafen konnte er trotz des vielen Alkohols nicht. Seine Gedanken liessen ihn sich hin und her wälzen. Die Dämmerung hatte schon eingesetzt, als er endlich einschlief. Heute sollte sich Carl zum ersten Mal seit langer Zeit verschlafen. Und Tanja war da keine Hilfe.

      11

      Geweckt wurde Carl dann von Ramon, Tanjas kleinem Sohn aus erster Ehe. Noch halb im Schlaf schaute er sich verwirrt um und brauchte einen Moment, bis er seine Sinne wieder beisammen hatte. Ein Blick auf die Uhr liess ihn dann entsetzt feststellen, dass es zehn Minuten nach acht war. Mit einem Satz war er aus dem Bett und im Bad unter der Dusche. Der kalte Strahl versetzte ihn in einen wachen Zustand. Damit zeigten sich aber auch wieder die Schrecken der vergangenen Nacht.

      Tanja bequemte sich schliesslich doch noch ins Badezimmer und erkundigte sich schmollend nach seinem Befinden, und dem langen Ausbleiben von gestern Abend.

      „Wenigstens anrufen hättest du können!“ meinte sie strafend.

      „Ich bin es ja gewohnt, dass du zu allen Tages- und Nachtzeiten nicht erreichbar bist, aber heutzutage hat doch jeder ein Handy. Ich habe nach elf Uhr versucht, dich zu erreichen. Da du das Handy aber abgeschaltet hast, vermutete ich, dass du eine Sitzung hättest.“

      Und dann folgte die typische Frauenlogik, die Carl so hasste:

      „Du hast auffällig viele Sitzungen in letzter Zeit? Wann bist du denn überhaupt nach Hause gekommen?“

      Carl murmelte etwas von halb eins, und war plötzlich sehr pressant.

      „Bin dafür heute früh zum Nachtessen da. Muss später dann nochmals weg. Eine Besprechung mit einem Kunden, du weisst ja. Ich muss ihn am Flughafen abholen. Wird wieder spät heute, Tanja. Sehr spät!“

      „In letzter Zeit ist es immer etwas gar spät geworden, Carl!“ meinte Tanja gedehnt mit einem Unterton, der nichts Gutes verhiess:

      „Nicht dass du mir aber was verheimlichst, gell?“

      Carl verwarf die Arme. Die Gestik sollte wohl ausdrücken, dass ihn für die langen nächtlichen Einsätze keine Schuld treffe, und er nichts, aber auch gar nichts anderes getan habe, als seine Pflicht der Firma gegenüber. Später, auf der Fahrt in die Firma, konzentrierten sich seine Gedanken wieder auf die gestrige Nacht und den kommenden, nächtlichen Horror von heute Abend:

      „Soll ich wirklich zum vereinbarten Treffpunkt gehen? Und wenn nicht? Die werden mich wohl kaum aus dem Bett schleppen. Zeter und Mordio würde ich schreien, jawohl!“

      Und er gestand es sich jetzt selber ein: Diese besitzergreifende, kalte Heidenangst vor der unbekannten Kreatur, die ihn so spät noch sehen wollte. Es plagte ihn wie einen Verurteilten vor der Exekution. Jede Sekunde. Er konnte nichts anderes denken und hatte überhaupt grösste Mühe, sich auf sein Tagwerk einzustellen. Auch der Nachmittag schlich so träge dahin; es wollte und wollte nicht Feierabend werden. Um zehn Minuten nach fünf schliesslich hielt er es nicht mehr aus. Die meisten Mitarbeiter hatten ohnehin schon Feierabend gemacht.

      So konnte auch er sich getrost wegschleichen, ohne dass es von allen Seiten hiess: Oh Carl, stecken Sie noch tief in der Arbeit, oder machen Sie gleich Feierabend? Sonst hätt ich da noch eine Kleinigkeit, wenn Sie erlauben?

      Oder auch die Bemerkungen einiger Kollegen: Ja, ja, typisch Boromeo, der kommt morgens spät und verreist dafür abends zeitig. Carl hatte immer schon etwas


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