Vollzug. Hansjörg Anderegg

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Vollzug - Hansjörg Anderegg


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Schließlich ließ er den Namen fallen, den er gehört zu haben glaubte:

      »Machen Sie sich Sorgen um Basim?«

      Ihre großen, dunklen Augen schauten überrascht zu ihm auf. Er fürchtete, sie würde jeden Augenblick anfangen zu weinen.

      »Basem«, korrigierte sie so leise, dass er es kaum verstand.

      »Wer ist Basem, was ist mit ihm?«

      Eine lange Pause entstand, bevor sie den Kopf schüttelte und seufzte:

      »Ich kann nicht darüber reden.«

      »Können Sie nicht oder wollen Sie nicht?«

      »Beides«, sagte sie trotzig.

      Wenn eine Frau so etwas behauptete, war es zwecklos, weiter zu fragen. Das hatte er in all den Jahren von Manon gelernt. Dennoch reizte es ihn, mehr über diesen Basem zu erfahren.

      »Basem ist Ihr Freund, stimmt‘s?«, fragte er lächelnd.

      Sie reagierte so heftig, dass er erschrak. Sie sprang auf, rannte aufgelöst zur Toilette und schloss sich ein. Durch die dünne Tür hörte er sie schluchzen. Er wartete, bis sie sich beruhigte, dann entschuldigte er sich:

      »Es tut mir leid, Amira. Es geht mich alles nichts an, aber wenn Sie jemanden zum Reden brauchen – ich bin da, und ich schweige wie ein Grab.«

      Es blieb eine Weile mäuschenstill, bis sich die Tür langsam öffnete. Amira trat mit verweinten Augen heraus. Sie hatte den Entschluss gefasst, ihn ins Vertrauen zu ziehen, denn sie begann:

      »Was ich Ihnen jetzt sage, muss unter uns bleiben. Niemand darf erfahren, dass ich mit Ihnen darüber gesprochen habe.«

      »Selbstverständlich«, antwortete er, verblüfft über diese fast flehend ausgesprochene Bitte.

      Zögernd fuhr sie weiter:

      »Basem Mansour und ich lieben uns seit Langem. Heimlich. Niemand sonst weiß etwas davon, am allerwenigsten meine Eltern. Vater traut ihm nicht. Er hat …«

      Sie stockte, schüttelte den Kopf und meinte:

      »Das ist nicht wichtig. Ich mache mir große Sorgen um Basem. Er hängt dauernd mit dem brutalen Mohammed herum.«

      »Mohammed Hamidi, der Bärtige …«

      Ein bitteres Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Schwarze Bärte tragen sie alle, aber es stimmt: Ich meine den Mann, der neulich gegen Ihre Bekannte gewettert hat. Der ist böse. Seine ganze Clique ist böse.«

      Wieder entstand eine Pause, dann gab sie sich einen Ruck.

      »Kommen Sie, ich zeige Ihnen, was ich herausgefunden habe.«

      Sie führte ihn hinters Haus, ängstlich darauf bedacht, dass niemand sie beobachtete. Vor einem Schuppen blieb sie stehen. Sie tastete nach dem Schlüssel in einem Spalt unter dem Fenstersims und schloss auf. Da die meisten Holzläden zugezogen waren, drang nur wenig Licht ins Innere. Im Halbdunkel erkannte er einen Stapel Bretter, Drähte, Nägel und Schachteln voller Schrauben. Material, wie er es früher für seine Kunstprojekte benutzt hatte. Im Hintergrund stand ein großer Holztisch, darum herum Stühle. In der Ecke lagen dicke Lederkissen um eine Wasserpfeife verstreut, als hätten sich die Raucher eben vom Schwatz erhoben.

      »Da halten sie ihre Versammlungen ab«, erklärte Amira.

      »Wer sind sie?«

      »Mohammed Hamidi, drei andere, die ich nicht kenne und Basem.«

      »Sieht ziemlich harmlos aus.«

      Sie schüttelte heftig den Kopf. »Ich habe zufällig gehört, wie Mohammed von einem Plan sprach, einer ganz großen Sache. Das hat mich neugierig gemacht.«

      Sie ging zu einer Stelle, wo ein Stück Wellblech die morschen Dielen bedeckte.

      »Sehen Sie, was ich gefunden habe«, sagte sie, während sie das Blech etwas anhob.

      Das fahle Licht genügte, um auf Anhieb zu erkennen, was sich in der großen Vertiefung darunter befand. Die Plastiksäcke mit bunten Tabletten, braunem und weißem Pulver waren kaum zu verwechseln.

      »Rauschgift«, murmelte er überrascht.

      Rauschgift war tägliches Brot in den Banlieues, aber er hatte etwas anderes erwartet.

      »Heroin, Crack, und wie das Dreckszeug noch heißen mag«, ereiferte sie sich. »Das macht mir Angst.«

      Dazu hatte sie allen Grund, doch diesen Gedanken behielt er für sich. Schweigend betrachtete er das Drogenlager und fragte sich, wie viel Geld hier wohl liegen mochte. Das Gramm Heroin war auf der Straße für etwa dreißig Euros zu haben, falls er sich richtig erinnerte. Hier lagen mindestens zwanzig Kilogramm.

      »Basem ist doch ein anständiger Mensch«, klagte Amira. »Was soll ich jetzt tun?«

      Die Millionenfrage blieb unbeantwortet. Stimmen näherten sich dem Schuppen. Starr vor Schreck blickten sie sich an. Zwei Männer unterhielten sich an der Tür.

      »Basem«, flüsterte Amira entsetzt. »Er kontrolliert das Lager. Verstecken Sie sich!«

      Hastig schob sie das Blech an den ursprünglichen Platz und rannte zum Bretterstapel. Ihm blieb nur noch Zeit, unter den Tisch zu kriechen, bevor die Tür aufflog.

      »Amira!«, rief einer der Männer.

      »Was hat die hier zu suchen?«, fragte eine tiefere Stimme.

      Jochen Preuss atmete auf unter dem Tisch. Keine der Stimmen gehörte dem unerbittlichen Mohammed Hamidi.

      »Müsst ihr mich so erschrecken?«, fragte Amira scheinbar ruhig.

      Preuss beobachtete, wie einer der Männer auf sie zutrat.

      »Was tust du hier?«

      Seine Stimme klang eher besorgt als misstrauisch.

      »Das siehst du doch, Basem. Ich suche Material für eine Arbeit.«

      Jochen Preuss konnte die Frau nur bewundern für ihren Mut und kühlen Verstand. Seine Erleichterung währte jedoch nicht lange. Die Beine des zweiten Mannes schritten schnell auf ihn zu. Neben den Beinen baumelte eine Hand. Sie umklammerte eine kompakte Maschinenpistole, als wäre sie angewachsen. Preuss hielt den Atem an. Der Mann stand keinen Meter entfernt, als er ausrief:

      »Verfluchte Ratte!«

      Auf Arabisch hörte sich der Fluch wie Peitschenhiebe an. Mit einem Satz sprang der Unbekannte weg und stampfte auf das Blech, dass die Dielen krachten.

      »Lass das, wir räuchern sie aus«, rief Basem lachend.

      Schimpfend trottete sein Kumpan zurück und verschwand zur Tür hinaus. Von diesem Tag an liebte Jochen Preuss die Ratten. Kaum war der Mann fürs Grobe außer Sichtweite, umschlangen sich Basem und Amira wie zwei ausgehungerte Teenager. Da ist guter Rat teuer, dachte er, auf ein schnelles Ende der Zärtlichkeiten hoffend. Sein Rücken rebellierte gegen die verkrampfte Haltung, und die Muskeln in den Beinen wollten endlich gestreckt werden.

      Ein Ruf von draußen trieb die beiden auseinander.

      »Geh nur, ich schließe dann zu«, sagte Amira.

      Preuss wartete mit angehaltenem Atem, bis sich die Stimmen entfernten, bevor er sich aus dem Versteck wagte. Ächzend streckte er die Glieder, beglückwünschte Amira zu ihrer Geistesgegenwart und meinte mit schiefem Grinsen:

      »Ich bin eindeutig zu alt für solche Späße.«

      Sie sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren.

      »Wenn Mohammed dabei gewesen wäre, hätten wir beide es nicht überlebt«, sagte sie mit bebender Stimme.

      Er schüttelte lächelnd den Kopf. »Wir wollen mal nicht übertreiben«, versuchte er zu beruhigen, obwohl er ahnte, dass sie nicht übertrieb.

      Wie zwei Kinder mit schlechtem Gewissen in Nachbars Garten schlichen sie ins Haus zurück.


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