Nur dämlich, lustlos und extrem?. Kurt Möller
Читать онлайн книгу.sind noch ein paar Stellen frei, aber die hab ich schon verplant für Tattoos wie Bad Religion, die ich nicht offen tragen kann auf der Arbeit, weil ich ja nicht weiß, wieweit mein Chef damit konform geht. Bei ’nem kirchlichen Träger ist es ein bisschen kritisch, mit ’nem durchgestrichenen Jesuskreuz rumzulaufen. Obwohl Bad Religion per se ja nicht gegen Religion sind, die haben bloß was gegen das Machtgehabe der Kirchen.
Aber es könnte eben von jemand, der oder die die Band nicht kennt, anders verstanden werden?
Ja. Und bei so was hab ich auch keinen Bock, das zu erklären. Bei manchen Bands bekommst du oft zu hören: »Warum lässt du dir die denn stechen?« Z. B. bei den Toten Hosen: »Die sind doch überhaupt nicht mehr Punk, die sind doch eher Schlager.« Ja, stimmt schon. Ich würde es mir jetzt auch nicht mehr stechen lassen, aber irgendwie bedeutet mir die Band unverändert trotzdem viel, auch wenn die letzten Alben scheiße waren. Das geb ich offen zu, aber man verbindet ja trotzdem was mit der Band. Oder wenn ’ne Band rechtsradikal wird oder rechts. Gut, meine Bands sind alle Punk- oder Hardcorebands, von daher brauch ich keine Sorge zu haben. Aber wenn die was anderes machen, bin ich trotzdem Fan und steh zu der Band. Und wenn sie ’nen ganz krassen Scheiß machen, wie jemanden vergewaltigen oder so, mach ich mir eben ein Cover-up.
Was haben denn deine Eltern dazu gesagt, als du dein erstes Tattoo hattest?
Meine Mutter hat erst drei, vier Monate später erfahren, dass ich mir ein Tattoo hab stechen lassen, als ich ’nen Telefonanruf bekommen hab, dass ich meine Prüfung bestanden hab. Da stand ich nur in Boxershorts vor ihr, und sie dann so: »Ja, wie sieht denn das in 70 Jahren aus?« Meine Eltern sind doch ein bisschen konservativer eingestellt. Dann meinte ich zu meiner Mutter: »Wenn ein verschrumpeltes Tattoo meine einzige Sorge mit 95 ist, dann gehts mir noch gut.« Da hat sie auch nix mehr drauf gesagt. Und inzwischen sagen sie nix mehr. Für sie ist das eher so ’ne Sache: »Es kostet doch Geld. Bub, das musst du sparen.«
»Wenn ein verschrumpeltes Tattoo meine einzige Sorge mit 95 ist, dann gehts mir noch gut.«
Und andere Menschen aus deinem Umfeld, wie Geschwister oder Freund*innen?
Meine Freunde feiern es alle, die finden es cool. Klar, die finden manche Band nicht so cool, und die finden es manchmal auch zu viel an meinem Bein, weil das irgendwann ’ne Reizüberflutung ist. Ich hab jetzt 18 Tattoos am linken Bein und zwei am rechten Bein. Aber sonst finden sie es sehr positiv und die Idee richtig cool. Nur über den Tattoo-Stil hab ich regelmäßig Diskussionen mit ’nem Kumpel. Er steht eben auf ’nen anderen Stil, den ich mir nicht machen lass. Er würde die Tattoos z. B. verbinden und nicht so einzeln stehen lassen. Aber ich will jede Band einzeln stehen lassen, weil jede Band für mich ein Alleinstellungsmerkmal ist und eine persönliche Geschichte hat …«
Hattest du auch schon mal inhaltliche Diskussionen?
Ja, vor allem bei Feine Sahne Fischfilet hatte ich schon die ein oder andere Diskussion, weil die laut Verfassungsschutz linksextremistisch sein sollen. Warum man sich so ’ne Band überhaupt tätowieren lässt, die dazu aufrufen, Polizisten anzuzünden und Steine zu schmeißen? Die den Tod von Polizisten wollen? Und ja, damit wollte ich auch ein bisschen provozieren, weil mit einem Tattoo provoziert man doch immer irgendwie die Gesellschaft – unverändert. Die haben beispielsweise ’ne Textzeile »die nächste Bullenwache ist nur ein Steinwurf entfernt«, die man auslegen kann, wie man will. Ich finds eben doch eher als Provokation gemeint, weil nur über Provokation erreichst du Bekanntheit und Popularität. Und wenn inzwischen schon Bundespräsident Steinmeier die Band unterstützt, find ich die nicht linksextremistisch, sondern in der Mitte der Gesellschaft. Klar, was früher auf den Konzerten war, war übel. Das fand selbst ich übel, wo sie dazu aufgerufen haben, die nächste Polizeiwache zu stürmen und Molotowcocktails reinzuwerfen. Aber mein Gott, da waren die auch noch jung. Manchmal ist man im jungen Alter doch nicht recht klug, sagt viel Scheiße oder baut viel Scheiß, der eigentlich nicht so gemeint ist.
Wie waren diese Situationen so für dich? Diese Diskussionen?
Manchmal ist man es leid, schon wieder erzählen zu müssen, warum und wieso. Ich will mich nicht rechtfertigen, warum ich mir dieses und jenes stechen lass, ob ich jetzt ’ne linke Zecke und gegen Deutschland bin. Das meinte ein ehemaliger Arbeitskollege zu mir, ich sei ’ne scheiß linke Zecke. Er hat selbst ein Böhse-Onkelz-Tattoo auf dem Arm, und wie die Böhse Onkelz sind oder waren, steht außer Frage. Und auch deren Fans sind strohdumm. Nicht alle, aber ein Großteil von denen ist einfach strohdumm, und das hast du bei ihm gemerkt. Mit dem konnte man sich auf keine Diskussion einlassen. Der meinte auch in Bezug auf die Hetzjagden gegen Geflüchtete in Chemnitz, da müsste man als richtiger Deutscher auf der Seite der Deutschen stehen und nicht auf der Seite von »Wir sind mehr«. Ich war natürlich auf der Seite von »Wir sind mehr«. Er wollte verhindern, dass ich nach Chemnitz fahr. Mit so Leuten lass ich mich auf überhaupt keine Diskussion ein. Wenn einer mit mir diskutieren will, wie sich Green Day, Die Toten Hosen oder wer auch immer verändert haben, ist das ja noch in Ordnung, oder wenn ich jemanden besser kenne, dann erzähl ich auch mal die Geschichte hinter meinem Tattoo, aber so auf die ganz krassen Diskussionen lass ich mich nicht ein.
Siehst du ein Tattoo zu haben, wie du es hast, als Politik machen?
Erst mal: Was ist Politik? Politik ist ja alles. Politik ist für mich, wenn ich aus dem Haus rausgehe und zur Arbeit, um das System am Laufen zu halten. Als 14-, 15-jähriger Punk wollte ich das System zerstören, und jetzt trag ich dazu bei, dass das System nicht kollabiert, indem ich eine Behindertenwerkstatt leite und damit die Produktion aufrechterhalte. Da bin ich das erste Mal heute Morgen draufgekommen, über ein Lied von den Toten Hosen: »Wir wollten nur das System zerstörn, doch heut haben wir nachgedacht.« Ja, irgendwie wird man doch erwachsen mit der Zeit, aber andererseits darf man auch nicht vergessen, wie man eben früher war. Und um auf die Frage zurückzukommen: Ja, ich find, dass Tattoos schon ’ne Form von Politik sind. Nicht so die klassische Art von Politik. Aber mit so ’nem Tattoo gibst du ein Statement an die Gesellschaft, und die Gesellschaft gibt ein Statement zurück. Da kommst du ins Gespräch mit den Leuten, um einfach mit dem Vorurteil aufzuräumen, dass alle Tätowierten sich Cannabis spritzen, alkoholabhängig sind, arbeitslos sind und keine Ahnung was. Denn ich hab ’ne eigene Wohnung, zur Miete, hab ’nen Job und so. Ich bin an sich ein Paradebeispiel. Und ich kenn auch noch viele andere, die tätowiert sind und ’nen Job haben. Die Vorurteile stimmen nicht. Und Vorurteile auszuräumen ist auch ’ne Form von Politik. Einfach in Form von Aufklärung.
Als 14-, 15-jähriger Punk wollte ich das System zerstören, und jetzt trag ich dazu bei, dass das System nicht kollabiert, indem ich eine Behindertenwerkstatt leite und damit die Produktion aufrechterhalte.
Mit so ’nem Tattoo gibst du ein Statement an die Gesellschaft, und die Gesellschaft gibt ein Statement zurück.
Seit wann interessierst du dich überhaupt für Politik?
Wenn man anfängt, Punkmusik zu hören, sollte man sich schon relativ früh damit auseinandersetzen. Mein Schlüsselmoment war, als wir in der achten oder neunten Klasse in Dachau im KZ waren, die Baracken und die Gaskammern gesehen haben und das Dritte Reich aufgearbeitet haben. Das war für mich der Schlüsselmoment: Tu was dagegen! Ich hab dann mit meinen Großeltern darüber gesprochen, und mein Opa meinte dann, wir seien die Generation, die alles tun müsse, um zu verhindern, dass so ein Scheiß noch mal passiert. Er ist 1933 geboren, er konnte nix tun, er war da ja noch zu jung. Aber seine Eltern, vor allem sein Vater hat sich ordentlich einlullen lassen von der ganzen Hetze. Und die Pflicht unserer Generation ist es, das zu verhindern. Mit allen legalen Mitteln. Und er fand es auch mega gut, dass ich z. B. nach Chemnitz gefahren bin, dass ich die AfD in Waiblingen boykottiert hab. Ja, als wir im KZ Dachau in der Gaskammer standen, hat es klick gemacht und mich wie ein Faustschlag getroffen. So richtig realisiert hab ich das erst, weil ich noch recht jung war, auf der Heimfahrt. Da hab ich mich bewusst damit befasst, auch wenn man so vor zehn Jahren noch nicht die Möglichkeiten wie heute mit Facebook hatte. Es war damals noch schwieriger,