Nur dämlich, lustlos und extrem?. Kurt Möller
Читать онлайн книгу.brauchen. Das macht es ein bisschen einfacher.
Wem möchtest du denn allgemein mit den Stickern was sagen?
So Leuten wie beispielsweise damals bei mir im Dorf, die nicht wollten, dass da eine Asylunterkunft eröffnet wird, denen will ich zeigen: Hey, es gibt auch Leute, die das okay finden. Vielleicht aber auch denen, die rechte Sticker verteilen, dass man denen zeigt, dass es Leute gibt, die das nicht okay finden, und so ein bisschen dagegenhält.
Denen, die rechte Sticker verteilen, dass man denen zeigt, dass es Leute gibt, die das nicht okay finden.
Wo stickerst du genau? Nur draußen?
Hauptsächlich an Laternen, teilweise an Schildern, beispielsweise Fußgängerzone-Schilder. Aber ich versuche es schon so zu machen, dass man trotzdem weiß, was das Schild bedeutet, also klebe ich das an die Ecken der Schilder. Oder auch auf Mülleimer. Da gibt es in Fußgängerzonen auch solche, wo oben noch eine Platte drauf ist, das heißt, bevor man was reinwirft, schaut man oben drauf. Das ist ein ganz guter Platz.
Und auf deinen eigenen Sachen bei Dir zu Hause?
Da auch. Ich hab einen Rollcontainer, der ist vollgestickert. Früher auch mein Ordner, den ich mit in die Schule genommen habe, und auf meinem Handy ist hinten ein Sticker.
Und wie ist das so beim Stickern? Was geht dir da durch den Kopf, wenn du das machst?
Hoffentlich beobachtet mich niemand dabei! [lacht] Ich schaue schon, dass ich es hauptsächlich mache, wenn es dunkel ist oder wenn nicht viele Leute unterwegs sind. Es ist nicht so, dass ich tagsüber, wenn viel in der Innenstadt los ist, mega viel sticker. Schon eher, wenn ich unbeobachtet bin.
Das Stickern ist ja nicht so ganz legal …
Also ich weiß schon, dass das nicht legal ist, aber ich finde, es gibt so viele Dinge, bei denen man denkt, das könnte ruhig legal sein. Ich sehe das Problem nicht so ganz, warum das verboten ist. Diese Sticker sind ja meistens bunt, und wenn man die an eine Laterne klebt, dann finde ich nicht, dass das die Stadt dreckig macht.
Und warum machst du es trotzdem, obwohl es illegal ist? Du könntest ja auch was anderes machen.
Vor allem, weil ich mir denke, es gibt viele, vor allem auch rechts denkende Menschen, die auch ihre Sticker verteilen. Klar könnte man sagen, dann mach ich die Sticker nur weg, aber die stickern halt auch nach. Wenn die auch noch andere Sticker sehen, dann sind die angepisst deswegen und denken: Oh nee, jetzt sind hier auch noch links denkende Menschen. Mich regen Sticker auch zum Nachdenken an. Wenn andere Leute die Sticker sehen, werden die auch darüber nachdenken, denk ich.
Wissen die Menschen aus deinem Umfeld, dass du stickerst?
Ja, die meisten in meinem Freundeskreis stickern selbst. Und meine Familie weiß es auch. Die haben damit mittlerweile auch nicht mehr so ’n großes Problem, wobei die das nie krass gestört hat, weil sie wussten, dass ich vorsichtig bin und das nicht offensichtlich mache.
Wie war die Reaktion, als sie mitbekommen haben, dass du das machst?
Dadurch, dass ich mittlerweile in einem Freundeskreis bin, wo das normal ist, weiß ich gar nicht mehr, wie das am Anfang war. Meine Schwester beispielsweise hat das parallel angefangen. Als wir im Freundeskreis darüber gesprochen haben, dann meinten die so: »Wenn du noch Sticker hast, dann kannst du mir ja welche geben, dann können wir zusammen stickern.« Das war eigentlich eher ein offener Umgang damit, von Anfang an.
Hattest du deshalb auch schon mal Diskussionen?
Ja, mit einem Kumpel, der aber eigentlich alles hinterfragt. Der hat mich dann in die Enge getrieben sozusagen. Der meinte: »Das muss ja dann auch wieder jemand wegmachen«, und warum ich das unbedingt machen muss. Er wollte mich damit auch zum Nachdenken anregen, ob das wirklich sein muss. Aber sonst krasse Diskussionen eigentlich nicht.
Und wie war die Situation in der Diskussion mit dem Kumpel für dich?
Stressig, weil ich das Gefühl hatte, dass ich mich rechtfertigen muss, warum ich das mache. Davor musste ich noch nie darüber mit jemandem diskutieren, auch nicht mit meinen Eltern. Ich bin aber auch nicht zu denen hingerannt und hab gesagt: »Hey, ich sticker jetzt, was haltet ihr davon?« Sondern die haben die Sticker bei mir liegen sehen und dann auch welche im Ort. Aber das ist ja eher ein stiller Protest. Deshalb war das für die nicht so das Problem. Ich glaube, für sie wars besser, als wenn ich schon mit 17 auf krasse Demos gegangen wäre.
Was glaubst du, wäre ihr Problem mit den krassen Demos gewesen?
Wahrscheinlich, dass mir was passiert. Dadurch, dass ich aus einem kleinen Dorf komme, das über eine Stunde von Stuttgart weit weg ist. Irgendwann hab ich auch angefangen, auf Demos zu gehen, und bin dann nach Stuttgart reingefahren. Da haben meine Eltern schon gesagt: »Muss das wirklich sein? Pass auf dich auf!« Man kriegt halt in den Medien oft mit, dass Demos eskalieren können, dass es dann Polizeikessel gibt und man in Gewahrsam genommen wird. Und nachdem ich auf meiner ersten großen Demo war – da war ein AfD-Parteitag 2016 –, da gings schon morgens um 7 Uhr los, dass Straßenbarrikaden auf der Autobahn errichtet wurden. Meine Freundin und ich sind erst um 11.30 Uhr hin, da war dann das Größte schon vorbei. Aber als ich erzählt habe, dass wir auch in einem Polizeikessel gelandet sind und dass uns gedroht wurde, dass wir alle in Gewahrsam genommen werden, wenn wir jetzt nicht den Platz verlassen, da haben sie dann schon gesagt: »Oh Gott, nicht dass das passiert!«, und: »Nicht, dass du später Stress bekommst im Beruf!« Da haben sie sich schon Sorgen gemacht, aber so weit kam es zum Glück nie. Klar, Personenkontrollen vor den Demos, aber nicht, dass ich in Gewahrsam genommen wurde. Da hatte ich immer Glück.
Was hat für dich das Stickern mit Politik zu tun?
Das ist eine Art, seine politische Meinung zu äußern, denn auf den Stickern sind ja Aussagen drauf. Wenn man die verteilt, ist das im Prinzip, wie wenn man seine politische Meinung äußert, aber halt ein bisschen anonymer, als wenn ich auf Facebook poste.
Das ist eine Art, seine politische Meinung zu äußern, denn auf den Stickern sind ja Aussagen drauf. Wenn man die verteilt, ist das im Prinzip, wie wenn man seine politische Meinung äußert, aber halt ein bisschen anonymer.
Stellt das für dich eine spezielle Art von Politik dar? Und fällt dir ein Wort ein, wie du diese Form von Politik bezeichnen könntest?
Stiller Protest. Das trifft es ganz gut, weil man ja nichts sagen muss. Man kann nachts durch die Straßen laufen und die Sticker kleben, und am nächsten Morgen kommt vielleicht ein Bericht in der Zeitung. Ich weiß nicht, wie viele Leute, die selbst nicht stickern, auf diese Sticker achten, aber ich finde schon, dass man damit Menschen erreicht.
Es gibt ja auch Partei- oder Gremienarbeit. Wie unterscheidet sich das Stickern davon?
Zum einen bestehen Parteien und Gremien aus mehreren Menschen, das kann man nicht einfach allein machen. Und man macht sich in Parteien und Gremien auch angreifbar, wenn man eine andere Meinung hat als die Mehrheit. Man muss sich dann rechtfertigen für die eigene Meinung. Und wenn man stickert, kann man seiner Meinung Ausdruck verleihen, ohne dass man was dazu sagen muss.
Seit wann interessierst du dich überhaupt für Politik?
Das war Ende 2014, als diese Pegida-Bewegung so stark wurde. Da war meine damalige Lieblingsband auf Tour mit einer anderen Band. Diese andere Band hat dann ein Video veröffentlicht, auf dem sie ein Statement rausgehauen haben, dass sie das total scheiße finden, was Pegida macht, dass es menschenverachtend ist. Meine damalige Lieblingsband hat das geteilt, und dann habe ich mir das angeschaut. Ich habe das zwar schon in den Medien mitbekommen, auch meine Eltern schauen jeden Abend die Nachrichten, aber ich habe da nie so richtig