Nur dämlich, lustlos und extrem?. Kurt Möller
Читать онлайн книгу.Bei dir war Bildung jetzt schon mehrmals Thema. Welche Verbindungen gibt es für dich zwischen der Bildung und dem Politischsein?
Für mich ist das Thema ganz wichtig, weil der Großteil der Personen, die mir am Anfang von femtrail geholfen haben, auch das Thema studiert hat und da sehr belesen ist. Und ich war schon damals nur die einfache Person, die in ihrer Freizeit gerne was darüber gelesen oder sich mal ausgetauscht hat. Aber ich hab halt nur meine Ausbildung gemacht und nie Abitur oder studiert. Ich habe viele Bücher nicht verstanden und musste nachfragen, wie ich diesen und jenen Text nachvollziehen kann, weil der meiste Input, den ich hatte, akademisch formulierte Texte waren. Ich wollte was über diese Themen lernen, aber ich verstand die Hälfte der Texte nicht. Das war für mich, aber auch für viele andere aus meiner Bubble, die Hürde, um überhaupt was zu schreiben oder zu tun, weil sie das nicht so gelernt haben.
Man liest die Geschichten und muss dann auch mal schlucken und seine eigenen Privilegien überdenken.
Denkst du, die Leute, die jetzt deine Texte lesen oder auf deinen Blog schauen, sind nicht so gebildet?
Ja, genau. Ich achte auch darauf, dass die Texte gut verständlich sind.
Ich kann mir vorstellen, dass das auch mit dir persönlich was macht, wenn du solche Arbeit machst.
Ich habe mich persönlich komplett geändert. Das war ’ne Entwicklung von einer kleinen Person, die kaum was gesagt hat, zu einer Person, die zu jedem Thema was zu sagen hat und sich auch traut. Auch wenn man irgendwie mal aneckt, sei es in der Familie oder mit Freunden. Das ist dadurch erst entstanden, dass ich jeden Tag Beiträge lese oder Nachrichten bekomme von Menschen, die mir einfach ihre Geschichte erzählt haben und mich gefragt haben, ob ich die aufschreiben möchte. Man liest die Geschichten und muss dann auch mal schlucken und seine eigenen Privilegien überdenken.
Da ist schon echt einiges mit mir passiert, z. B. habe ich im Queer-Bereich vieles hinterfragt. Persönlich habe ich eigentlich eine komplette Kehrtwende gemacht, weil ich ein ziemlich binärer Mensch damals war.
Denkst du, du wirst dich später auch noch für deine Interessen einsetzen?
Ich hoffe. Ich bin mir natürlich nicht sicher, weil ich gemerkt habe, dass ich mehr Bildung haben möchte, mehr Tiefe in dem Thema. Da strebe ich gerade viel an im privaten Bereich. Ich hole vielleicht die Schule nach, weil mich das dann doch ziemlich nervt, dass ich immer noch Texte an Freunde schicken muss, dass die mir das erklären. Das ist natürlich auch Zeit, die einem weggenommen wird, die man anders hätte investieren können. Aktuell geht die typische Lohnarbeit bis 16 Uhr. Da hat man dann kaum noch Zeit, was Persönliches zu machen. Wie es dann ist, wenn man die Schule oder sogar ein Studium nachholt, das weiß ich leider nicht. Wer weiß, was die Zukunft bringt? Ich hoffe, dass ich dann weiterhin genauso am Ball bleibe. Vielleicht mache ichs ja sogar noch ein bisschen besser.
Kannst du dir auch vorstellen, mal ganz anders Politik zu machen?
Vor ein paar Jahren durfte ich in Dresden auf einem Festival mal bei einer Podiumsdiskussion mitmachen, da habe ich ein bisschen Blut geleckt. Da saß ich dann mit einer Moderator*in, einer Sängerin und einer Person, die gerade ein Buch über Punk und Queerfeminismus geschrieben hat. Das war toll, die eigene Meinung da an Personen zu bringen, die sich unsicher waren. Da kam auch Feedback von Personen, die gesagt haben, dass sie sich durch mich vertreten gefühlt haben, weil ich auch nicht studiert bin. Es war schön zu wissen, dass ich da trotzdem eine Relevanz habe, auch wenn ich nicht immer die richtigen Worte finde. Die Nachfrage ist zwar nicht so groß, aber ich würde das gerne mehr machen. Manchmal wars möglich, in Verbindung mit einem Workshop einen Minivortrag zu halten. Aber da werden halt oft Leute bevorzugt, die das studiert haben, was ich voll verstehe, weil da die Quelle und die Meinung ein bisschen mehr Boden haben.
Hast du eine Idee, wie man junge Menschen mehr für Politik begeistern kann?
Eine politische Meinung zu äußern muss nicht immer über große Worte, eine große Plattform oder eine große Bühne passieren. Das kann auch im Hintergrund passieren, das kann auch anonym passieren. Du musst nicht immer irgendwo stehen und mit dem perfekten Wording deine Meinung äußern, weil Politik auch über Musik und andere Mittel vermittelt werden kann. Musik und Kunst sind popkulturell sehr wichtig, gerade für jüngere Menschen, um politische Inhalte zu vermitteln.
Würdest du sagen, dass solche Möglichkeiten besonders für Menschen, die nicht vom Gymnasium kommen oder nicht studiert haben, wichtig sind?
Ja, absolut. Als ich jünger war, war ich aktiv in Frauengruppen und habe mich da sehr schnell immer unwohl gefühlt, weil ich ein falsches Wort benutzt habe und es dann immer hieß: »Lies mal das! Bilde dich mal, so geht das nicht!« Ich konnte erst dazugehören, wenn ich das tue. Anstatt dass sie mir die Zeit lassen, das irgendwie anders zu lernen, oder dass sie es mir beibringen. Das hat mich dann auch wütend gemacht. Es gab aber auch andere Personen, die mir geholfen haben. Das ist total wichtig, denn sonst wäre ich nie da, wo ich jetzt bin, wenn die mir das nicht erklärt hätten, wie ich diese Texte verstehen kann, welches Wort was bedeutet und so. Wer möchte schon in einer Frauengruppe sitzen und über Themen reden, und dann heißt es sofort: »Hey, setz dich erst mal daheim hin und lies das, bevor du hier mitreden kannst!« Da geht man dann natürlich nicht mehr hin.
Wann fing denn bei dir das Interesse für Feminismus an?
Das müsste so vor zehn Jahren gewesen sein, als ich meine ersten Konzerte veranstaltet habe, wo dann auch viele Personen, Bands oder auch das Publikum sich mit diesen Themen befasst haben. Wo irgendwelche Vorfälle und Übergriffe passiert sind, die man dann auch als Außenstehende mitbekommt und hinterfragt, wie das passieren konnte. Als ich die Reaktionen von Opfern gesehen habe, habe ich viele gesellschaftliche Strukturen hinterfragt. Das Interesse an Feminismus war vielleicht schon früher da, aber ich habe es nicht so benennen können. Das war das erste Mal, dass ich eins und eins zusammengezählt habe, was ich so an Erfahrungen hatte, und dann, so vor acht Jahren, konnte ich es auch benennen.
Musik und Kunst sind popkulturell sehr wichtig, gerade für jüngere Menschen, um politische Inhalte zu vermitteln.
Was wäre deine Wunschvorstellung für die Zukunft?
Also am schönsten fände ichs, wenn solche Themen gesellschaftlich so verankert sind, dass man davon weiß und auch danach handelt. Also wenn ich merke, dass die Person neben mir was Blödes gesagt hat, dass ich mich dann auch traue, einzugreifen. Das machen jetzt schon ganz viele Personen, aber gesellschaftlich sind es immer noch so wenige, dass das Gefahren birgt. Da wünsche ich mir, dass jeder reflektiert, welche Aussagen und welche Taten welche Auswirkungen auf andere Personen haben. Natürlich ist ein Problem, dass man nie alle Themen auf dem Schirm haben kann, aber eine Grundhaltung sollte da sein, um zu erkennen, wo man handeln muss. Dann kann ich mir schon vorstellen, dass unsere Welt besser werden könnte. Wir hatten auf einem Konzert mal einen Vorfall, wo sich ein Mann nicht gut benommen hat. Da hat dann die Band und der ganze Raum aufgehört, dieses Konzert wahrzunehmen, und dann wurde gesagt: »Hey, entweder du entschuldigst dich jetzt oder du gehst.« Ich finde, es ist ein Fortschritt, zu sagen: »Hey, da sind unsere Grenzen oder da werden die Grenzen von anderen überschritten, das dulden wir nicht.« Wenn das gesellschaftlich ankommen würde, fände ich das sehr schön.
Was, denkst du, muss passieren, damit das ankommt in der Gesellschaft?
Erst mal Verständnis. Natürlich haben Typen nicht immer das große Interesse, femtrail zu lesen, weil es sie nicht interessiert. Aber dann muss einfach das Interesse so aufgebaut werden, indem die Thematik in den Alltag einfließt. Man muss halt manchmal einfach die Leute nerven, damit verstanden wird, warum man wütend ist.
Glaubst du, du kannst was dafür tun, dass sich da was ändert?
Ich