Nur dämlich, lustlos und extrem?. Kurt Möller
Читать онлайн книгу.so cool, und habe mich dann mehr damit beschäftigt, was da eigentlich so abgeht, und habe dann auch vermehrt angefangen, Deutschpunk zu hören, wo es ja in den Texten oft um solche Strukturen geht, um das dann aufzudecken und zu kritisieren. Anfang 2015 bin ich das erste Mal auf eine Anti-Pegida-Demo gegangen. Da waren die ganze Zeit im Fernsehen die krassen Aufmärsche in Dresden und so zu sehen, da hatte ich das Gefühl, dass ich was machen und meinem Protest Ausdruck verleihen will.
Wie informierst du dich normalerweise über Politik?
Hauptsächlich übers Internet. Ich habe das Antifaschistische Aktionsbündnis (AABS) auf Facebook abonniert. Die halten einen immer auf dem Laufenden, was Demos und Aktionen angeht. Die veranstalten auch einmal im Monat ein Treffen. Da war ich, als ich nach Stuttgart gezogen bin, am Anfang drei, vier Mal. Da bekommt man auch immer viele Infos, und es gibt auch Arbeitsgruppen zu bestimmten Themen. Da war ich zwar nie dabei, aber so kriegt man trotzdem immer mit, was passiert. Z. B. wenn sich die Identitäre Bewegung Samstag morgens auf dem Schlossplatz versammelt oder so.
Setzt du selbst auch politische Beiträge ins Internet?
Ja, schon. Hauptsächlich über Instagram. In meiner Story teile ich viel, aber auch in meinem Beitragsfeed habe ich ein paar politische Sachen drin. Auf Facebook bin ich nicht so krass aktiv, aber manchmal teile ich da Sachen, aber eher musikbasierte Dinge, z. B. wenn ein Lied gerade über ein aktuelles Thema geschrieben wurde.
Machst du neben dem Stickern und Demos besuchen noch andere politische Sachen? Bist du beispielsweise in einer Gruppe?
Nee, das nicht. Wir haben bei uns im Landkreis versucht, was aufzubauen, das ist jetzt aber auch schon zwei bis drei Jahre her. Das war mit meinem Freundeskreis und noch ein paar Freunden von Freunden. Wir wollten eine Gruppierung aufbauen, um Strukturen in und um unsere Kreisstadt herum aufzudecken oder auch mal eine Demo zu organisieren. Es wurde dann auch eine organisiert, als die AfD mal da war. Aber dadurch, dass viele weggezogen sind, ist das dann leider im Sande verlaufen. Aber ansonsten: So richtig in einer Gruppe bin ich nicht. Wie gesagt, beim Antifaschistischen Aktionsbündnis war ich ein paar Mal, aber auch nicht regelmäßig.
Und mal nach vorn geblickt: Denkst du, du wirst dich auch weiterhin politisch engagieren?
Ja, auf jeden Fall. Die Frage ist, wie und in welchem Ausmaß. Auf Demos war ich früher viel öfter, das reicht jetzt zeitlich oft nicht mehr. Aber gerade so das Stickern auf jeden Fall. Die Sticker kriegt man eh auf Demos oder Konzerten oder wenn man sie irgendwo bestellt. Die T-Shirts, die ich habe, werde ich auf jeden Fall weitertragen. An meiner Hochschule wurde letztes Semester ein Typ mit einem Shirt von der Identitären Bewegung gesehen. Da haben wir dann auch gleich eine Art Arbeitsgruppe eröffnet, wo wir überlegt haben, dass wir da eine Stickeraktion an der Hochschule starten könnten. Da tauchen auch immer wieder rechte Sticker auf. Und wir wollen vielleicht noch ein Plakat machen oder so, vielleicht über den E-Mail-Verteiler fordern, dass sich die Hochschule positionieren soll, weil das einfach eine gute Möglichkeit ist, den Leuten zu sagen, dass das nicht okay ist.
Hast du schon mal darüber nachgedacht, in eine Partei einzutreten?
Nee, eigentlich nicht. Das würde mich viel zu sehr stressen. Tatsächlich habe ich mal überlegt, der Partei Die Partei beizutreten, aber ich glaube, ich bin zeitlich zu unflexibel dafür. Ich rede auch nicht so gerne vor Leuten, deshalb glaube ich nicht, dass ich die Richtige für eine Partei wäre.
Was würdest du anderen Leuten sagen, weshalb es sich lohnt, sich politisch zu interessieren und/oder zu engagieren?
Weil ich wichtig finde, dass man weiß, was so passiert, und man kann sich ja nur einmischen, wenn man weiß, was gerade abgeht. Man kann ja nicht einfach nur alles immer hinnehmen. Wenn man sich nicht dafür interessiert, dann hat man auch kein Mitspracherecht. Gerade bei Wahlen: Wenn man sich gar nicht dafür interessiert, wer sich überhaupt zur Wahl stellt, wer welche Meinung vertritt usw., dann hat man danach eigentlich nicht das Recht, sich zu beschweren.
Man kann ja nicht einfach nur alles immer hinnehmen. Wenn man sich nicht dafür interessiert, dann hat man auch kein Mitspracherecht.
Dann hat man danach eigentlich nicht das Recht, sich zu beschweren.
Wenn du das, was dir am allerwichtigsten ist, auf einen Sticker zeichnen, also den perfekten Sticker gestalten würdest, wie würde der dann aussehen?
Es würde »Habt euch lieb« draufstehen. Und wahrscheinlich wäre er bunt, vielleicht mit einem Regenbogen und noch irgendein Tier dazu. Ich liebe Otter, vielleicht also ein Otter dazu.
Wenn Menschen durch deinen perfekten Sticker richtig wachgerüttelt werden würden, was würde dann passieren?
Dass die Leute nicht mehr so viel Hass in sich tragen. Das wäre ziemlich schön. Wenn man das liest, dann fängt man vielleicht kurz an zu lächeln.
Glaubst du, du kannst was daran machen, dass sich was verbessert?
Ich hoffe es, denn sonst wäre ja alles voll für den Arsch, was ich mache. Ich weiß schon, nachdem ich mich für Politik interessiert habe und alles viel mehr hinterfragt habe und auch angefangen habe, das zu kritisieren und darüber zu sprechen, dass ich Freunde und Menschen in meinem Umfeld zum Umdenken bewegen konnte. Ich denke, wenn ich das schon bei ein paar Leuten geschafft habe, warum soll ich das nicht auch bei anderen schaffen?
»Ich find, dass Tattoos schon ’ne Form von Politik sind«
Nico (27)
Arbeitserzieher, hat die Beine voller Tattoos
Ich versuch schon, damit ein Statement nach außen zu tragen.
Was für coole Tattoos! Kannst du mir was dazu erzählen?
Vielleicht wie ich zu meinem ersten Tattoo gekommen bin? Das war vor einem Jahr. Ich war erst planlos, wusste nicht, was ich mir stechen lassen wollte; ich wusste nur, ich will mir ein Band-Tattoo stechen lassen. Dann hab ich meine Gedanken sortiert und mir Casper stechen lassen, weil der, also seine Musik und der Künstler selbst, mir durch ’ne schwere Zeit geholfen hat. Und irgendwie wurde es dann mehr und mehr zum Selbstläufer: Es kam noch ’ne Band dazu, dann noch eine, und irgendwann wurde mein Bein voller und voller und voller. Ich hab mich aber schon bewusst dafür entschieden, da ich im sozialen Bereich arbeite, dass ich bestimmte Tattoos nicht offen tragen kann wie das Casper-Tattoo. Bands wie Green Day oder die Toten Hosen sind ja gesellschaftlich sehr anerkannt. Aber mit ’ner 666 in Bezug auf Iron Maiden sollte man in ’ner kirchlichen Einrichtung nicht rumlaufen. Auch nicht mit dem Bad-Religion-Logo, das ich mir auch noch stechen lass. Das sollte man nicht immer sehen. Aber ich versuch schon, damit ein Statement nach außen zu tragen.
Kannst du das konkretisieren? Welche Aussage dahintersteckt?
Man hört oft das Klischee, dass die Punks oder die Metalheads, ganz krass gesagt, eh nur aggressive, trinkende Leute seien, die am Bahnhof Bier saufen, Bullen anpöbeln, Passanten anpöbeln und irgendwelche Leute verprügeln. Hab ich schon alles gehört. Und natürlich, dass jeder Tätowierte kriminell und asozial ist und sich Cannabis spritzt. Da denkt man dann so: Willkommen im 21. Jahrhundert! Das ist dann doch sehr überraschend, wie Tattoos einerseits gesellschaftlich anerkannt sind, aber andererseits irgendwie auch nicht. In meiner Generation heißt es: »Alles cool, du hast Tattoos.« Aber der ein oder andere Ältere über 40, der gesellschaftlich doch irgendwie gefestigter ist und ’nen bürgerlichen Job hat, ist da eher abgeneigt: »Du hast Tattoos, was sagt denn dein Chef dazu?« – »Nix, der feiert das.« Also bis jetzt hatte ich noch nie Probleme mit meinen Tattoos. Gut, wie das mit meinem neuen Arbeitgeber ist, weiß ich noch nicht. Da bin