Nur dämlich, lustlos und extrem?. Kurt Möller
Читать онлайн книгу.positive Resonanz bekommen, vor allem auch auf Konzerten oder im Freundeskreis. Die finden das Gesamtkunstwerk sehr respektabel. Oftmals haben mich auch schon kleine Kinder angesprochen, z. B. auf dem Kesselfestival, warum ich mir Feine Sahne Fischfilet auf den Oberschenkel tätowiert hab. Das Kind hat mich gefragt, ob ich gerne Fischfilet esse, mit Sahne. [lacht] Das fand ich total witzig. Ich habe dem dann erklärt: »Äh, nee, das ist ’ne Punkband«, und das Kind so: »Oh ja, die muss ich mir auch mal anhören«, und hat die Mama dazugeholt. Ja, vor allem Kinder finden es voll faszinierend, dass ich mir Tattoos stechen lass. Für die ist das jedes Mal, wenn sie ein neues Tattoo sehen, voll faszinierend. Und für mich ist es ganz klar ein politisches Statement, wenn ich mir Feine Sahne Fischfilet tätowieren lass oder Die Toten Hosen, Green Day … Das sind alles politische Bands. Vor allem auch Radio Havanna, mein neuestes Tattoo, das ist für mich eine politische Band, die auch für die Sache einstehen und die Sache verteidigen, meistens.
Für mich ist es ganz klar ein politisches Statement, wenn ich mir Feine Sahne Fischfilet tätowieren lass oder Die Toten Hosen, Green Day … Das sind alles politische Bands.
Feine Sahne Fischfilet und Die Toten Hosen sagen mir was, aber wer oder was ist Radio Havanna?
Radio Havanna ist ’ne Punkband aus Berlin, die haben auch ’ne Kampagne ins Leben gerufen namens »Faust hoch« gegen Nazis, gegen Rechtspopulisten und was da mit der AfD und teilweise auch mit der CDU und CSU in Bayern zusammenhängt. Darüber klären sie die Jugendlichen auf. Im Prinzip ein Analogiestück zu »Kein Bock auf Nazis«, was vielleicht ein Begriff ist. Die arbeiten auch mit vielen Bands zusammen. »Faust hoch« arbeitet zusammen mit »Kein Bock auf Nazis«. Die tauschen gegenseitig Kontakte aus, klären bei Konzerten auf, dass man auch gewaltfrei auf die Straße gehen kann. Weil mit Gewaltanwendung, man hat es in Hamburg gesehen, da wurde die ganze antifaschistische Szene in den Schmutz gezogen, bloß weil ein paar Hansel randalierend durch Hamburg gezogen sind. Und damit wollen die halt sagen: Geht friedlich auf die Straße! Das macht den Ruf der Antifaschisten nicht so platt, als wenn ein paar Chaoten durch Hamburg ziehen und irgendwelche Polizisten verprügeln, Familienkutschen anzünden und meinen, sie gehen damit gegen den Kapitalismus vor und stehen als Antifaschisten da.
Wem möchtest du mit deinen Tattoos was sagen?
In der Punk- und Metal-Szene, dass ich halt zu ihnen gehöre. Das ist wie ein Erkennungscode. Den erkennen im Prinzip nur Leute, die diese Musik hören. Klar, Die Toten Hosen, das kennt man mit dem Adler, aber ein Heisskalt-Tattoo – das sind die zwei Möhren – das erkennen wirklich nur die Wenigsten. Leute, die sich mit der Musik auskennen, die haben mich schon öfter angesprochen: »Wirklich coole Idee! Ist das ein Heisskalt-Tattoo?«, und dann kommt man auch direkt ins Gespräch.
Gibt es noch eine ganz persönliche Bedeutung nur für dich?
Die Frage hab ich schon öfter gehört. Ich lass mir nicht jede x-beliebige Band tätowieren, so: »Hab ich im Radio gehört, geil, lass ich mir stechen …«, sondern ich muss mit jeder Band, die ich mir tätowier, ’ne sehr persönliche Geschichte verbinden. Jedes Tattoo bzw. jede Band hat ’ne Bedeutung, z. B. bei Green Day, da hat es mit American Idiot angefangen. 2004, als das Album rausgekommen ist, war ich zwölf oder 13 Jahre alt und hab die Texte überhaupt nicht verstanden, weil ich erst ab der fünften Klasse Englisch hatte und mein Schulenglisch deshalb katastrophal war. Aber ich fand die Musik geil, ich fand die Musik richtig cool. Irgendwann hab ich mich dann näher mit der Band befasst, bin auf ältere Lieder gestoßen und hab dann mal mit Google-Übersetzer die Texte übersetzt. Bei dem Lied »Jesus of Suburbia« heißt es: »nobody is perfect«, und das war für mich ein Schlüsselmoment: Boah, ja, niemand ist perfekt! Das war für mich der Moment, weil ich viel Mobbing in der Schule erlebt hab, wo ich mir gesagt hab: In Bezug auf diese Gesellschaft zieh dein eigenes Ding durch! Ähnlich auch bei den Toten Hosen. Das war die erste Band, die ich live gesehen hab. Inzwischen war ich auf vielen Konzerten und hab über die Hosen viele Freunde kennengelernt. Bei Green Day ist es der Blick auf die Gesellschaft, bei den Hosen ist es Freundschaft und Zusammenhalt, und bei Casper hat es viel zu tun mit Selbstzweifeln, mit sehr ruhigen Texten. Casper ist ein Hip-Hopper. Da gehts viel um Depressionen aufarbeiten. Casper oder auch Linkin Park sind Bands, die mir durch ’ne schwere Zeit geholfen haben. Ich hab mir schon mit 16 oder 17 Jahren geschworen: Ich lass mir von Linkin Park was stechen. Das Logo war mir zu langweilig, deshalb hab ich mir den Sprayer vom Meteora-Album stechen lassen. Oder Iron Maiden, das ist ’ne Band, an der man im Jugendalter auch nicht vorbeikommt. Silverstein ist ’ne Emo-Band; die Lieder handeln viel von Selbstzweifeln, dem Kampf gegen die »inneren Dämonen«, Depression, Liebeskummer, Herzschmerz und so scheiß Dinge. Das hab ich mit 15, 16, 17 viel gehört und hör ich immer noch gern, weil es doch ’ne schöne Zeit war, so unbeschwert vor sich hin zu pubertieren. Bei Heisskalt ist es eigentlich dasselbe wie bei Casper, sehr melancholische Texte, sehr ruhig. Geht auch darum, dass man trotzdem wieder aufstehen kann. Rise Against auch, da ist es eher so wie bei Green Day, dass man zu sich selbst stehen kann und niemals aufgeben soll. Bisschen ist es schon klischeehaft. Architects ist auch ’ne Band, mit der ich sehr viel verbinde. In ihrem vorletzten Album All Our Gods Have Abandoned Us sagt schon der Titel, worum es geht: All unsere Götter haben uns verlassen. Der Gitarrist hat das Album während seines Krebsleidens geschrieben und ist dann am Ende leider verstorben. Er hat das Album noch geschrieben, mit Depressionen. Er beschreibt, dass er völlig den Glauben an Gott verloren hat und wie ihn die Krankheit auffrisst. Da gibt es ein Zitat: »Hope is a prison«, also »Hoffnung ist ein Gefängnis«, inzwischen kann ich besser Englisch als vor 12, 13 Jahren. [lacht] Das war für mich einfach so: Man kann hoffen so viel man will, aber bei manchen Sachen bringt das Hoffen und Bangen einfach nichts, man ist einfach gefickt bei Sachen wie Krebs und psychischen Erkrankungen. Also ich habe kein Krebs, aber wenn man Depressionen hat, verbindet man damit viel. Und so ist das bei den Architects.
Das ist wie ein Erkennungscode.
Inzwischen spielen sie in der Porsche-Arena und rufen dazu auf, Porsches zu verbrennen. Das ist dann doch irgendwie peinlich.
Und Feine Sahne …?
Feine Sahne Fischfilet war eher so ’ne spontane Sache, weil ich die einfach cool find und provozieren wollte. Inzwischen sind die auch ziemlich groß geworden. Ich hab die vor fünf, sechs Jahren noch in Herrenberg im Juz gesehen, für 5 Euro Eintritt. Inzwischen spielen sie in der Porsche-Arena und rufen dazu auf, Porsches zu verbrennen. Das ist dann doch irgendwie peinlich. Man kann sich ja treu bleiben, aber dann sollte man nicht in ’ne Riesenhalle gehen, wo Porsche der Hauptsponsor ist. Oder ZSK ist ’ne Band aus Berlin, die hat mich damals auf den Punk gebracht und zu dem geformt, was ich jetzt bin. Das ist Deutschpunk. Die haben sich auch mega gefreut, hab mit denen auch schon gesprochen. Die fanden es richtig cool. Zu jeder Band gibt es auch ’ne Geschichte. Die eine ist eher amüsant, wie mit Schmutzki, das ist ’ne Stuttgarter Punkband. Denen hab ich damals total besoffen versprochen: »Ich lass mir euer Logo stechen.« Und ein paar Tage später bin ich zum Tätowierer gegangen und habs mir stechen lassen. Ich war tatsächlich der Erste mit ’nem Schmutzki-Tattoo. Inzwischen gibt es sogar schon ein paar Nachahmer. Ich bin sogar in ’nem Club mal angesprochen worden, ob ich der Typ mit dem Schmutzki-Tattoo sei. Ich: »Ja.« Da zeigt er mir seinen Fuß und hat da dasselbe, also das Logo an derselben Stelle: Der hat das auch gemacht und war auch total besoffen, eigentlich wie ich. [lacht] Bei dem Casper-Tattoo hab ich ein Mädel kennengelernt, wir haben uns zufällig dasselbe stechen lassen. Wir kannten uns überhaupt nicht. Sie lag neben mir beim Tätowieren, und dann sind wir ins Gespräch gekommen und in Kontakt geblieben. Das ist jetzt eine meiner besten Freundinnen. Wir sind über Casper, über die Musik in Kontakt gekommen. Die Gespräche wurden doch recht schnell persönlich, weil, wenn du dir Casper tätowieren lässt, kennst du auch seine Texte.
Du hast alle Tattoos an einem Bein, richtig?