Alexanders letzter Traum. Heinz-Joachim Simon

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Alexanders letzter Traum - Heinz-Joachim Simon


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Ruf und der große Feldherr Parmenion, der schon so lange König Philipps Gunst besaß, hielt große Stücke auf ihn. Sie waren beide von der gleichen altmakedonischen Art. Auch Parmenion glaubte an die alten Götter wie Uranos und Gaia und ließ vielleicht noch den Titan Kronos gelten, aber sie kamen nicht einmal im Traum darauf, sich als Auserwählte der Götter oder gar für Götter selbst zu halten.

      Ich sah also die Raupe oder den Wurm heraufziehen und mir war nicht sehr wohl dabei zumute und meine Stimmung verbesserte sich auch nicht, als mein Vater und Antiochios zum Tor der Burg gingen, angetan mit ihren besten Chitons aus gutem Leinen, und ich hinkte ihnen in meinen Fetzen wie ein Bettler hinterher. Mein Vater war wohl zu der Erkenntnis gekommen, daß mein Anblick nicht gerade das Ansehen der Familie förderte und brüllte mir zu, dass ich mich davon scheren solle. Also hinkte ich hinter das Haus zu der großen Tanne und bestieg sie.

      Ja, nun ist es heraus. Der Sohn des großen Helden Anthes ist ein Krüppel. Mein rechter Fuß ist etwas kurz geraten, sodass ich mich nie für den Stadionlauf in Olympia melden brauchte. Nicht, dass es mich sehr behindert, aber ich bin nun einmal ein Gefäß mit einem Sprung. Nur meine Mutter war immer der Meinung, dass dies mich erst wertvoll mache. Von dem Hinken einmal abgesehen sei ich ein ganz hübscher Kerl. Nun, wir wissen, wie objektiv Mütter sind. Aber auch die Mägde schienen meine Sommersprossen und die grünen Augen unter meinen rotblonden Haaren zu mögen und machten mir schon früh schöne Augen. Vielleicht hatten sie mich einfach nur gern, weil mich sonst niemand gern hatte. Mein kompakter Oberkörper machte mich zu einem guten Ringer, was ich im Kampf gegen die Bauernjungen oder meinen Bruder des Öfteren unter Beweis stellte. Trotz meiner Behinderung wusste ich mich also zu wehren. Im Klettern war ich fix, noch besser war ich auf einem Pferd, was sich in meinem Leben als sehr vorteilhaft erwies.

      Als sich mit der Raupe nun Vaters neue Bettgenossin ankündigte, stieg ich bis in die höchste Gabelung und hatte nun einen guten Überblick über unseren Berg und das Tal und in den Hof hinein. Nun war der Wurm heran und eine Sänfte wurde zu Boden gelassen und heraus sprang eine Frau, die besagte Molosserin. Selbst auf diese Entfernung konnte ich sehen, dass sie für meinen Vater viel zu jung war. Hinter ihr standen viele Diener und Sklaven, die zur reichlichen Mitgift gehörten. Sie war die illegitime Tochter eines Molosserfürsten, der sie wohl mit Anstand hatte los sein wollen. General Parmenion hatte dies eingefädelt, um seinem treuen Leibgardisten zu etwas Wohlstand zu verhelfen. Beim Festmahl, nachdem der Priester das Brautpaar unten im Tal in dem alten Uranostempel zusammengetan hatte, konnte ich sie mir ein bisschen genauer ansehen. An der Haupttafel war für mich natürlich kein Platz, sondern am Katzentisch, wo dem niederen Volk, den Bauern aus der Umgebung gnädig ein Platz zugewiesen worden war. An der Haupttafel saßen Kriegsgefährten, Hauptleute und Verwandte der Eurydike. Mein Bruder saß natürlich neben meinem Vater. Von Frauen hatte ich bis dahin nicht all zu viel Ahnung, aber dass die neue Frau meines Vaters eine harte Nuss für ihn sein würde, erkannte ich sofort. Sie war so schön wie eine der Furien, hatte dunkles lockiges Haar, einen kleinen Frauenbart und einen Vorderbau, der selbst mich bereits beeindruckte. Ihre Schultern hätten auch einem Ringkämpfer gut angestanden. Ihre Stimme klang nicht wie Zwitschern, sondern hart und selbstbewusst. Kurz, sie war ein Mannweib, jedoch nicht ohne Reiz, wenn man Frauen mochte, mit denen man sich kräftig prügeln kann. Die Braut machte ein Gesicht, als wäre ihr die Ernte verhagelt und auch die Begeisterung im Gesicht meines Vaters hielt sich in Grenzen. Nicht ihre Schönheit war der Anlass für diese Hochzeit, sondern ihre stattliche Aussteuer. Sie schien über meinen alten Herrn auch nicht besonders glücklich zu sein und schielte dauernd zu meinem Bruder.

      Nun muss ich anführen, dass er das genaue Gegenteil von mir war. Als Zeus das Aussehen verteilt hat, muss er nicht einmal, sondern mehrmals „hier“ gerufen haben, jedenfalls hätte er ohne Mühe den Paris ausstechen können. Wir waren Brüder, aber waren uns nicht ähnlich, weder im Aussehen noch im Charakter. Er sah aus wie die Kourosstatuen vor den Tempeln und war groß und hatte schwarze Locken und das ganze Weibsvolk war hinter ihm her. Er war der Erbprinz und ich war der Niemand. Dabei war er kein verweichlichter Lustlümmel, sondern männlich und hatte große Körperkräfte und ihm war jene Schlauheit eigen, die oft Bauern zu gefährlichen Geschäftspartnern machen. Mein Vater liebte ihn abgöttisch, zumal er ein großer Krieger zu werden versprach, was die Anthes weiterbringen würde, wenn Parmenion nur bald erreichen konnte, dass mein Bruder in die Leibgarde des Königs aufgenommen wurde. Darum ging es. Er, Antiochios, war dazu auserwählt, den Stab der Anthes weiter zu reichen. Er war der zukünftige Held, der auf seine Berufung zu den Göttergestalten um König Philipp wartete. Ich spielte bei den Zukunftsüberlegungen meines Vaters keine Rolle und war ihm nur peinlich.

      Unsere neue Mutter hatte also nur Augen für den Stiefsohn und dieser ließ es sich grinsend gefallen. Als unser Vater den vielen Weinbechern erlag, machte er der Eurydike genau so schöne Augen und diese rückte immer näher an ihn heran. Nachdem sie sich genug über das Klima in Epirus und über den Unterschied zu unseren Bergen unterhalten und auch die Verwandtschaft der hiesigen Königshäuser durchgehechelt hatten, fiel ihr Blick auf mich. Denn ich saß ihrem Tisch gegenüber und hatte mich so gesetzt, dass ich ihr Gespräch verfolgen konnte. Ich wollte mitbekommen, ob mein Bruder bereits in dieser Nacht den Vater ersetzen würde. Sie fragte Antiochios, wer der Knabe mit den rotblonden Locken und den frechen Augen sei, der dauernd auf ihre Brust schiele.

      „Ach, das ist nur Leonnatos, mein Bruder!“ stellte mich Antiochios vor und genau so hätte er sagen können, das ist unser Köter, der von unseren Abfällen lebt. „Ein Krüppel. Er ist verwachsen. Ein Krieger wird der nie!“, setzte mein Bruderherz hinzu.

      Es war gemein und außerdem unwahr. Ich bin nicht verwachsen. Ich habe zugegebenermaßen eine etwas krumme Körperhaltung, so dass meine Schultern kräftig hervortreten und meinen Oberkörper unproportioniert aussehen lassen. Aber das wächst sich aus, hatte meine Mutter behauptet. Und ich vertraute darauf. Mein Bein war nur kürzer. Das ist alles. Deswegen bin ich auch nicht gut zu Fuß, was mich aber zum Ausgleich zu einem Reiter werden ließ, der es mit den besten Thessaliern aufnehmen könnte. Jawohl, bereits damals, wenn ich ein gutes Pferde gehabt hätte, wäre ich bei den olympischen Spielen nicht als letzter durchs Ziel gegangen. Ich wusste, dass ich nicht wertlos war, wie mein Vater stets behauptete, sondern hatte dank meiner Mutter und anderen Zuspruch, wovon gleich zu berichten sein wird, genug Selbstvertrauen. Deswegen ließ ich mich auch nicht durch die herabsetzenden Worte meines Bruders durcheinander bringen.

      „Wir werden ja sehen, wer als erster durchs Ziel geht. Noch sind wir beide nicht einmal gestartet“, rief ich zu den beiden hinüber.

      „Mit der Zunge ist er ja ganz flink“, sagte Eurydike und ich sah, dass sie unter dem Tisch nach den Schenkeln meines Bruders tastete. Sie legte ein ganz schönes Tempo vor. Wir Makedonen sind da eigentlich eher zurückhaltend. Es sei denn, wir sind betrunken.

      „Wahrscheinlich war Vater besoffen, als er den Kretin zeugte!“ erwiderte mein Bruder und grinste frech meinen Vater an, der bereits so hinüber war, dass er nur noch vor sich hinstarrte.

      „Aber in dieser Nacht hat er die Möglichkeit diesen Fehler gut zu machen!“ fuhr mein Bruder fort und ich sah, wie unter dem Tisch seine Schenkel auseinander gingen und sich die Hand unserer Stiefmutter weiter bewegte. Man braucht keine große Vorstellungskraft, um zu wissen, was sie dort trieben.

      „Ich möchte den Bastard nicht im Haus haben!“ sagte Eurydike und sah mich unzufrieden an. „Krüppel bringen Unglück.“

      „Er kann im Stall schlafen“, pflichtete ihr Antiochios bei.

      Sein beseelter Eindruck hatte sicher andere Ursachen. Ich wünschte mir nicht an seiner Stelle zu sein. Dennoch hatte ich das Bedürfnis, unsere neue Mutter zu einer besseren Meinung von mir zu bewegen.

      „Als Hochzeitsgeschenk werde ich dir die Tatzen eines Bären bringen!“ prahlte ich, zugegebenermaßen etwas großsprecherisch. Nun, ich hatte auch einige Becher Wein geleert, was nicht oft vorkam.

      „Nimmt er den Mund immer so voll?“ fragte Eurydike geringschätzig und sah meinen Bruder an, der immer noch ein Gesicht machte, als wäre er im Olymp.

      „Dazu reicht es gerade“, sagte Antiochios wegwerfend, als spräche er über etwas, das so unappetitlich war,


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