Alexanders letzter Traum. Heinz-Joachim Simon

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Alexanders letzter Traum - Heinz-Joachim Simon


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ja nicht Griechenland sein“, schlug Sokrates vor. Bekanntlich hatte er eine friedliche Ader. „Irgendetwas in Asien. Vielleicht kann er daraus etwas machen.“

      Apollon klimperte wieder ein wenig versonnen und schüttelte dabei den Kopf. „Ihr versteht nicht. König zu sein wird ihm nicht gerecht. Er soll von dem großen Gedanken berichten. Das ist es, was ich ihm auftrage.“

      „Na, hoffentlich stehst du ihm tatsächlich bei, wenn er dich braucht. Mir hast du vor Troja nicht gerade den großen Helfer abgegeben!“ murrte Achilleus, der, wie jedes Kind weiß, in Apollon nicht gerade einen Freund hatte.

      „Er wird nicht wie du sein. Er wird ein Feldherr sein, aber kein Totschläger.“

      „Armer Kerl!“ bedauerte mich Achilleus.

      „Vielleicht kann er mit List etwas bewegen“, hoffte Odysseus. „Ich hätte da so ein paar Ideen, die ihm helfen könnten.“

      „Er wird nicht verschlagen sein“, verneinte Apollon. „Er wird erkennen, was wichtig ist und was nicht. Das sei seine Belohnung.“

      „Ein bisschen armselig“, winkte Odysseus ab.

      „Ich werde auf ihn aufpassen. Er wird seinen Weg gehen“, versprach Apollon.

      „Vielleicht wird er etwas Neues sein. Man steigt nicht zweimal in den gleichen Fluss“, warf Heraklit ein, der immer die gleichen Sprüche drauf hatte. Aber wenigstens kam er nicht damit, dass der Krieg der Vater aller Dinge sei.

      „Können sich die Menschen verändern? Sind sie nicht immer so, wie sie schon vor Urzeiten waren?“ zweifelte Achilleus.

      „Zum besseren?“ setzte Odysseus hinzu und schüttelte ungläubig den Kopf.

      „Das will ich doch hoffen!“ sagte Plato. „Aber zugegebenermaßen geht so etwas nur langsam. Bis der Mensch halbwegs geglückt ist, wird wohl noch einige Zeit vergehen.“

      „So lange müssen wir warten, bis hier im Hades Menschen auftauchen, die anders sind als wir?“ fragte Odysseus, der ewig Neugierige, enttäuscht.

      „Ja. Wir müssen Geduld haben“, stimmte Plato zu.

      „Und er macht den Anfang?“ murrte Achilleus und sah mich an, als wäre ich ein stinkender Käse.

      „Nein. Er wird nur davon berichten, was anders sein sollte!“ widersprach Apollon.

      „Ein Hinkender als dein Bote? Das sieht dir ähnlich!“ brummte Achilleus.

      „Auch Hephaistos hinkte und Prometeus litt unter dem Adler. Es sind die Leidenden, die sich um die Menschheit verdient machen.“

      „Da wirst du ganz schön auf ihn aufpassen müssen“, gab Odysseus zu bedenken.

      „Ich werde ihn begleiten. Ihm kann nichts passieren. Nicht wirklich.“

      Klar, dass ich mich über das Versprechen freute. Aber nun fiel mir wieder ein, wie der Berg ins Rutschen gekommen und ich durch die Luft geflogen und hier gelandet war. Dann konnte er ruhig gleich mit der Hilfe anfangen. Und kaum hatte ich dies gedacht, passierte es auch schon. Es wurde hell und ich sah in das Gesicht meines schwarzbärtigen Riesen. Phokis schrie, dass mir die Ohren wehtaten.

      „Er lebt! Er lebt tatsächlich. Den Göttern sei Dank. Leonnatos lebt.“

      Sie hatten, nachdem die Erdlawine ins Tal gerauscht und die Erde sich beruhigt hatte, den Abhang nach mir abgesucht. Selbst mein Vater und Antiochios, aber ihnen ging es wohl in erster Linie um die Schafe. Apollon hatte Wort gehalten und den Hunden den rechten Geruch in die Nase gegeben und die hatten kräftig gejault und waren wie irre im Kreis herumgelaufen, und dies hatte Phokis zum Anlass genommen, die Erde abzutragen. Die Freude meiner Eltern oder gar meines Bruders hielt sich in Grenzen. Der Alte jammerte immer wieder über die schöne Herde, die der Berg verschlungen hatte. Stattdessen hatte er mich ausgespuckt. Er hielt dies für einen verdammt schlechten Tausch.

      „Wahrscheinlich wollten sie ihn im Schattenreich nicht behalten. So ein Kröterich hätte ihnen nur die Laune verdorben“, war sein Kommentar und Antiochios wieherte dazu wie die Pferde des Achill.

      „Mich hat ein Gott unter seinen Schutz genommen“, hielt ich dagegen. Nicht, weil ich prahlen oder gar Eindruck schinden wollte, sondern nur um zu zeigen, dass es Mächte gab, die mich, den Hinkenden, schätzten. Das mit dem Kröterich hatte mich schon verletzt.

      „Seit wann kümmern sich Götter um Krüppel?“ höhnte mein Bruder.

      „Denk mal nach, du Ebenbild des Paris!“ wehrte ich mich. „Hundert Schafe begrub der Berg. Aber ich lebe noch. Wenn das kein Zeichen ist, dann habe ich keine Ahnung von Omen. Am besten du gehst nach Pella und fragst einmal im Tempel des Apollon nach, was dies auf sich hat. Der Gott ist mit mir.“

      „Was habe ich mit Apollon zu schaffen? Ich bin ein Krieger und halte mich an Ares. Du dagegen wirst als Bauer hier in den Bergen versauern, während ich mit den Getreuen des Königs gegen die Perser ziehe.“

      Dies ließ einen Stachel in meinem Fleisch zurück und mein Bruder, dieses Früchtchen, wusste dies.

      Als wir wieder auf dem heimischen Berg waren, tat Eurydike so, als wäre ich nicht vorhanden. Auf die kurze Schilderung meines Vaters beklagte sie nur die verlorenen Schafe. Meine zukünftige Braut sah mich dagegen an, als trüge ich den Lorbeer des Apollon auf dem Kopf. Aber reden tat sie immer noch nicht und mein Vater beobachtete verärgert ihre mich bewundernden Blicke. Ich konnte mir anfangs keinen Reim darauf machen.

      „Ist sie dumm?“ fragte ich Phokis. „Warum redet sie nicht? Ich habe sie noch nie reden gehört.“

      „Man hat es dir nicht erzählt?“

      „Was erzählt?“

      „Sie ist stumm. Meinst du, man hätte sie dir sonst zur Frau gegeben?“

      Mich dauerte ihr Schicksal. Aber ich liebte sie deswegen nicht weniger. Sie war mir wie eine Feengestalt, ein Zauberwesen. Was die anderen als Makel ansahen, machten ihre Augen, ihr lächelnder Mund, ihr zartes Gesicht mehr als wett. Nein, für mich war es kein Makel, denn sie hatte Hände, die mich berühren würden. Doch leider sah ich sie nur selten. Bis zu meiner Hochzeit, die für das Frühlingsende vorgesehen war, hielt man meine zukünftige Braut von mir fern. Dies geschah nicht aus Schicklichkeitsgründen, sondern war reine Bosheit. Denn Eurydike trieb es ärger denn je, nicht nur mit meinem Bruder, sondern, wie Antiochios mir gegenüber kichernd erwähnte, mit einigen Dienern und ihrer Leibsklavin Lydia. Trotz der strengen Aufsicht meiner Stiefmutter fand ich schließlich die Möglichkeit Andromache zu treffen. Als sie im Hof mit den Mägden am Waschzuber stand, gelang es mir ihr einen Treffpunkt vorzuschlagen und sie hatte mit leuchtenden Augen genickt. Da man sich seit der Ankunft der Molosserin angewohnt hatte nach Sonnenuntergang in der großen Halle kräftig zu bechern, kam die ganze Gesellschaft am nächsten Tag erst sehr spät aus den Betten. Dies nutzte ich für meine glücklichen Stunden mit Andromache.

      Noch bevor das erste Licht in das Dunkel sickerte, ging ich den Berg hinunter bis zu dem Wäldchen an der Straße nach Pella. Hier hatte die Natur eine Rosenhecke zu einer Laube geformt. Dort schloss ich sie in die Arme und sie lag stumm und zitternd an meiner Brust und ich erzählte ihr, was nach dem Erdrutsch geschehen war und sie hörte mir zu und tat, was ich so sehr ersehnt hatte. Sie streichelte mein Gesicht und anderes.

      Mit der Zeit lernte ich die Sprache ihrer Hände und ich erfuhr, wie schlimm sie es in ihrer Familie gehabt hatte. Auch sie war ein Außenseiter, ein verachtetes Mitglied der Familie, und suchte Zärtlichkeit und Geborgenheit. Ich versprach ihr, dass unsere Liebe ewig dauern würde. Wie leicht fallen einem in der Jugend diese Schwüre.

      „Und wenn ich weggehe, und ich werde eines Tages weggehen, dann nehme ich dich mit.“

      Sie war es schließlich, die meine Schüchternheit überwand und mich das Küssen lehrte, so dass tiefe Seufzer unseren Kehlen entflogen. Sie lehrte mich die zarte Liebe. Sie legte meine Hand auf ihre Brust und ich schob sie in ihr Kleid und fühlte ihre samtene Haut und drängte mich an sie und sie ließ es


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