Alexanders letzter Traum. Heinz-Joachim Simon

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Alexanders letzter Traum - Heinz-Joachim Simon


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kleinen Bären erlegt. Allerdings war der sehr klein.“

      „Die Rotblonden sind mir immer unheimlich“, sagte Eurydike und sah mich nun mit nachdenklichen Augen an. Mittlerweile hatte Antiochios einen roten Kopf bekommen, was sicher nicht am Weingenuss lag. Als ihm schließlich die Augen fast aus den Höhlen sprangen, konnte ich es mir nicht verkneifen ihm zuzurufen, dass er an das Schicksal des Orest denken solle. Er achtete nicht auf meinen Zuruf und sein Kopf sank mit einem Seufzer auf die Tischplatte. Eurydike leckte sich genussvoll die Finger.

      „Wenn ich dich draußen erwische, kannst du was erleben!“ drohte mir Antiochios. Das brauchte keine ausführliche Erklärung. Wir waren wie Hund und Katze und ich hatte unter seinen Anschwärzungen schon immer gehörig zu leiden. Aber ich war bereits damals ein guter Ringer. So manches Mal hatte ich meinen Bruder auf den Boden gedrückt. Obwohl mit sechzehn und siebzehn Lenzen für solche Auseinandersetzungen eigentlich zu alt, verging kaum eine Woche, in der wir nicht aneinander gerieten.

      „Ihr hättet ihn als Kind aussetzen sollen“, sagte meine neue Mutter. Damit war unser Verhältnis ein für allemal geklärt. Meine Freundin würde diese Stiefmutter gewiss nicht und auf solche Handreichungen, wie sie mein Bruder von ihr erhielt, war ich ohnehin nicht scharf.

      „Nimm es nicht so schwer!“ sagte neben mir ein Riese mit einem gutmütigen roten Gesicht und einer Knollennase und einem trotz seiner Jugend langen beachtlichen Bart. Er sah aus wie eine Mischung aus Herkules und einem Pan. Ich kannte ihn nicht. Er war im Gefolge der Eurydike auf unseren Hof gekommen.

      „Ich bin das gewöhnt.“

      „Ich heiße Phokis. Übrigens, geh ihr aus dem Weg. Sie ist ein Miststück!“ flüsterte er mir zu und zwinkerte dabei verschwörerisch.

      „Hast du viel Ärger mit ihr hinter dir?“

      „Nein. Noch nicht. Ihr Vater hat mich ihr erst kürzlich geschenkt. Aber alles, was ich mit ihr erlebt habe, lässt vermuten, dass du keine sehr gute Zeit mit ihr haben wirst und dein Vater auch nicht.“

      „Freut mich für ihn.“

      „Er ist dein Vater!“ sagte er erstaunt.

      „Er ist ein Ungeheuer und hat meine Mutter auf dem Gewissen.“

      „So ist das also.“

      „Ja. Genau so. Wir hassen uns“, gestand ich offen.

      Dass ich auf dem Hof meines Vaters wie ein Stück Dreck behandelt wurde, würde er ohnehin bald erleben. Wenn mein Vater mich sah, warf er oft genug irgendeinen Gegenstand nach mir und brüllte, dass ich ihm aus den Augen gehen solle. Und die Knechte taten es ihm nach. Wenn man dies von klein auf erfährt, macht das einen ganz schön hart. Als meine Mutter noch lebte, konnte ich wenigstens zu ihr flüchten und sie trotzte meinem Vater und schalt die Knechte und sie wagten mich nur zu quälen, wenn sie es nicht sah. Aber als sie dann starb, war ich auf mich allein gestellt. Der einzige, der mir ein wenig Schutz bot, war Andreos, der Koch. Als Koch war er eigentlich miserabel, aber meinem Vater, der sich an die Speisen der Väter hielt, war er gerade gut genug. Andreos, der Koch, war eigentlich ein Lehrer aus Thrakien, aber er gab sich sehr griechisch und kannte alle Philosophen und kam mit Feuereifer der selbst gestellten Aufgabe nach, aus mir einen halbwegs gebildeten Menschen zu machen. Also lernte ich durch einen Thraker Sokrates, Platon und die ganze Bande vor ihnen, also Heraklit, Thales und Pythagoras, kennen und selbst Empedokles war mir nicht fremd. Natürlich hat er mit mir auch die Ilias gepaukt, nicht nur gelesen, sondern sie mir so lange in den Schädel gehämmert, bis ich alle vierundzwanzig Gesänge auswendig konnte. Dass mir das später einmal nützen würde, war zu dieser Zeit nicht abzusehen. Aber ich hatte viel Freude dabei. Wenn ich über den Zorn des Achilleus las, dann wurde ich zu Achilleus, und dem Agamemnon wäre es schlecht ergangen, wenn ich ihm begegnet wäre. An manchen Tagen war ich doch lieber Hektor und hatte auf Paris eine Stinkwut, weil er uns die verdammte Helena angeschleppt hatte. So sorgte ein Koch, der ein Lehrer war und zudem noch Thraker, dafür, dass ich nicht so dumm war wie ich aussah. Denn wer mich in meinen Lumpen erblickte, musste annehmen, dass er es mit einem skythischen Sklaven oder etwas ähnlichem zu tun hatte. Mein Vater hielt nicht viel von den griechischen Weisheiten. Er hielt seine Ahnen hoch und die Erdgötter, und ich hörte ihn oft genug sagen, dass ein Mann stark und treu und trinkfest und hart und natürlich Philipp, dem König, treu ergeben sein müsse. Die Reihenfolge wechselte je nach Laune.

      Seit dem Einzug der Eurydike hatte mein Vater Unterstützung darin bekommen, sich Gemeinheiten gegen mich auszudenken. Es fing bereits ein paar Tage später an. Mittlerweile wussten selbst die Pferdeknechte, dass nicht nur der Vater mit Eurydike schlief, sondern auch sein ältester Sohn.

      „Sie hat eine Menge drauf, diese Eurydike“, gestand mir mein Bruder lachend. Große Mühe gab er sich nicht damit, sein Verhältnis zu verbergen, und nach einiger Zeit hatte ich den Eindruck, dass selbst Vater davon wusste, dass sein Sohn ihn darin unterstützte, die Leidenschaft der jungen Frau zu befriedigen. Es war ja auch nicht gerade eine Liebesheirat. Mit ihrer Mitgift konnte er die Scheunen ausbessern und die Zahl der Schafe vergrößern und sogar einige Weiden auf der gegenüber liegenden Seite unseres Berges dazu kaufen. Ohnehin ließ er seinem Liebling Antiochios alles, aber auch wirklich alles durchgehen und verdarb ihn dadurch.

      Seit Eurydike einzogen war, ging es bei uns drunter und drüber. Mittlerweile hatte sie das Regiment übernommen und sie hatte ohnehin genug Diener und Sklaven mitgebracht, die sich ihr verpflichtet fühlten, so dass auf unserer Burg von nun an alles nach ihrer Nase ging, was Vaters Laune nicht gerade verbesserte. Ihr Streit schallte ständig durchs Haus. Theatralisch die Hände zum Himmel gereckt rief er die alten Götter an: „Hört, ihr Ahnen, hört, ihr Götter, vom Leid des Anthes. Was für eine Furie wurde in mein Haus gespült. Minderwertig ist ihr Blut, schrecklich ihr Aussehen, niederträchtig sind ihre Gedanken. Ihr Leib ist mir ein stinkender Pfuhl.“

      So oder ähnliches bekam man ständig zu hören und Antiochios lachte dazu. Ihn schien das Theater bei uns zu amüsieren. Wenn man nicht darunter zu leiden hatte, konnte es auch ganz unterhaltsam sein. Es war jedenfalls bei uns ständig etwas los. Sie saß wie eine große Spinne in der rauchgeschwärzten Halle vor der großen Feuerstelle und wartete darauf, ihr Gift verspritzen zu können. Feist und groß und mit mächtigem fast entblößtem Busen saß sie auf einem thronartigen Hocker und musterte mich, als wolle sie mich verspeisen. Vater saß wie ein Zyklop an dem langen blank gescheuerten Tisch, einen Becher Wein vor sich, und blickte unwillig mit rot unterlaufenen Augen zu uns herüber. Mein Bruder lümmelte sich auf der Bank an der Wand mit ausgestreckten Beinen und wartete darauf, was dann folgte. Dies sind die Bilder aus meines Vaters Haus.

      „Ich mag dich nicht“, schrie sie mich oft genug an. „Ich sage es unumwunden. Wenn ich dich geboren hätte, würdest du deine Geburt kaum überlebt haben. Nun ist es zu spät. Wir können dich jetzt kaum ohne Aufsehen ersäufen. Aber verkrümele dich, geh mir aus den Augen, du Unglücksbringer! Ich glaube, dass selbst die Schafe und Ziegen dich verabscheuen, wenn du sie besteigst.“

      Sie schien dies für einen köstlichen Scherz zu halten und es gluckste aus ihrer mächtigen Brust und ihr fleischiges Gesicht mit dem kleinen Mund verzog sich zu einem grässlichen Lachen.

      „Hast du es überhaupt schon einmal mit einer Frau getrieben?“ fragte sie, und mein Bruder schlug sich kreischend auf die Schenkel.

      „Der Krüppel doch nicht.“

      Auch meinen Vater amüsierte dies und er stimmte in sein Kichern ein.

      „Lasst das!“ herrschte meine Stiefmutter die beiden an. „Ich habe gehört, dass gerade die Krüppel es wie die Kaninchen treiben. Sie sind sonst zu nichts gut, aber rammeln können sie andauernd. Es gibt Frauen, die solche Ausdauer anziehend finden.“ Ihre Zunge strich dabei lüstern über die Lippen, als laufe ihr das Wasser im Munde zusammen. Sicher dachte sie nicht daran, mich für ihre Lust heranzuziehen. Die Blicke, die sie in die Runde schickte, galten nicht mir, sondern vor allem meinem Bruder.

      „Wir sollten sehen, dass wir aus diesem Auswurf das beste machen“, fuhr sie fort. „Er kann die Tochter meines Bruders heiraten. Als Mitgift bringt sie nicht viel, aber ich bin ihm verpflichtet und das Mädchen hat dann


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