Alexanders letzter Traum. Heinz-Joachim Simon

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Alexanders letzter Traum - Heinz-Joachim Simon


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dahin, nach dem Tod meiner Mutter, nie Liebe empfangen und ihr war es genau so ergangen, und so empfanden wir uns gegenseitig als Gottesgeschenk, als Entschädigung für die fürchterlichen Tage unserer Kindheit. Und wenn es so weitergegangen wäre, dann hätte ich gern darauf verzichtet, Babylon kennen zu lernen, Persepolis, Susa und Ekbatana. Ich hätte auf Indien verzichtet und auf Alexanders Freundschaft. All das hätte ich hingegeben für ein Leben mit meiner Andromache. Zum letzten kam es nicht und das bedauere ich noch heute. Die gegenseitige Achtung voreinander hielt uns davor zurück. Sie brauchte sich meiner nie zu erwehren. Sie gab mir, was sie geben wollte und ich war damit zufrieden. Ich hielt inne, wollte das letzte erst nehmen, wenn uns der Priester vor den Göttern zusammengetan hatte. In meiner ersten Liebe war ich kein Eroberer, sondern nahm sie als Gnade wie ein Gläubiger im Tempel entgegen.

      Bald sollte Apollon sich mir offenbaren. Wir erfuhren, dass der Sohn des Königs, zusammen mit seinen Gefährten, bei unserem Nachbarn, dem Clanchef auf der anderen Seite des Berges, zu Gast war und sie bei diesem zur Jagd gehen wollten. Eine Ehre, die den Menandros unter allen Clanchefs unserer Gegend heraushob. Mein Vater war deswegen schlechter Laune.

      „Er kommt nicht zu uns, weil wir Gefolgsleute des Parmenion sind. Das ist es. Der Kronprinz geht nur zu denen, die ihn umschmeicheln. Oh ja, mag Menandros ruhig auf dieses Pferd setzen. Noch ist es nicht sicher, ob Alexander der Nachfolger Philipps wird. Noch kann Philipp weitere Söhne zeugen. Schließlich wird er jetzt die Nichte des Attalos heiraten, die nicht eine Fremde wie die Olympias ist, sondern von Makedonen abstammt. Es ist nie gut, wenn man sich mit fremden Völkern vermischt. Das Blut muss rein bleiben.“

      Er warf dabei seiner Eurydike scheele Blicke zu, die wie Olympias von den Molossern abstammte und diese quittierte seine Worte mit Flüchen und warf mit ein paar Krügen nach ihm und rächte sich, indem sie ihn über Wochen nicht in ihr Bett ließ, was sicher auch zu dem Unglück beitrug, das dann später geschah. Jedenfalls nahm mein Vater es sehr persönlich, dass Alexander seinen Nachbarn mit seiner Anwesenheit beehrte und das nur, wie er sagte, weil dessen schwächlicher Sohn ein Freund des Ptolemaios sei, der wiederum ein Freund des Kronprinzen war. Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn der Sohn des Königs auch bei uns eingekehrt wäre. Es hätte vielleicht dem Anstand in unserem Hause gut getan und sicher auch das verhindert, was sich bald darauf ereignete und die Todfeindschaft zwischen mir und meinem Vater verursachte.

      Es geschah nach einem Jagdausflug. Ich war ein guter Jäger geworden, was das Verdienst des Spitames war, der mich schon als Kind das Jagen lehrte. Die Jagd war für mich eine Flucht vor den Menschen, vor dem Unglück im Haus meines Vaters. In der Einsamkeit der Wälder und Berge hatte ich immer Trost gefunden. Schon von klein auf durchstreifte ich den Forst in den Tälern. Ich kannte die Farnwiesen, die Bäche, an denen das Wild trank. Spitames war ein Bergbauer und ein Jäger und lebte in einer armseligen Kate an der Schneegrenze. Er hatte keine Familie und war der älteste Mann in unserer Gegend und schlug sich mehr schlecht als recht durch. Aber klagen hörte ich ihn nie. Er lehrte mich das Waidwerk. Ich sehe ihn vor mir, eine gebückte, nachlässig gekleidete dürre Gestalt mit einem Gesicht, als habe er bereits bei den Thermophylen gekämpft, und mit dem Wissen von Generationen von Jägern. Es war ein Gesicht, das sich zu beschreiben lohnt. Nicht, dass jemand auf die Idee gekommen wäre, seine Gesichtszüge in einem Marmorblock zu verewigen, gleichwohl war es ein Gesicht, dass man nie vergaß. Da er seine Zähne längst verloren hatte, waren seine Wangen eingefallen und dies gab ihm ein fast unheimliches Aussehen. Auf eine eigentümliche Weise sah er den Mumien ähnlich, die mir später in Ägypten gezeigt wurden. Eigentümlich auch deswegen, weil in dem dunklen, oft schmutzigen Gesicht blaue Augen leuchteten. Die wenigen Haare klebten um einen länglichen Totenkopf. Er lehrte mich den Berglöwen zu bekämpfen, den Schwarzbär und die Wölfe. Er hasste Wölfe und war ihnen in den Wintermonaten, wenn sie heulend seine Hütte umschlichen, ein erbarmungsloser Feind. Er hatte nur eine kleine Schafherde und konnte auf kein Tier verzichten und das hatte ihn zu einem Wolfstöter gemacht. Er lehrte mich trotz meiner Behinderung zurechtzukommen, indem er meine Treffsicherheit mit dem Speer durch ständige Übungen verbesserte. Meine Schultern hatten mich ohnehin zu einem guten Ringer gemacht, und ich hatte die nötige Kraft in den Armen, um ihn todbringend zu schleudern.

      Ich wurde zum Jäger, wenn ich oft monatelang allein in den Bergen war und die Schafe und Ziegen hütete. Spitames kam mit seiner Herde vorbei und ich verweigerte ihm nicht unsere Weiden und er lehrte mich gegen den Wind zu schleichen, den tödlichen Pfeil mit einem thrakischen Bogen abzuschießen und den Speer todbringend zu schleudern. Wir jagten Hirsche und Gemsen und einmal erlegte ich einen Bär, zugegebenermaßen kein großes Tier, aber sein Fell beeindruckte einen Augenblick sogar meinen Vater. Mir war Spitames, der Wolfstöter, ein Freund, und ich hielt mich zu recht für einen guten Jäger. Bis dann Kyros, der Königsbär, auftauchte und ich erkennen musste, dass ich noch viel zu lernen hatte. Spitames hatte ihn so getauft, weil er ihn für einen Fürst hielt, einen verwunschenen König. Lange Zeit sahen wir nur seine Spur, den Abdruck mächtiger Tatzen und folgten ihnen ohne Jagdglück. Doch eines Morgens an einem Fluss sahen wir ihn aus dem Wald treten. Ein mächtiger Kopf und ein Körper wie ein Fels. Gemütlich trabte er heran und ging in das seichte Wasser und schon bald holte er einen Lachs ans Ufer.

      „Sieh dir den Kerl an!“ flüsterte Spitames.

      Langsam robbten wir uns heran. Plötzlich drehte er sich um und erhob sich auf seine Beine und wir sahen nun, dass es der größte Bär war, der je in unserer Gegend gesehen worden war. Er wollte uns wohl zeigen, dass wir uns besser nicht mit ihm anlegten. Unsere Hunde jaulten wie verrückt und wir hetzten sie auf ihn und er wehrte sie ab. Nach einigen Prankenschlägen lagen zwei unserer Tiere tot am Boden.

      „Was für ein Kämpfer!“ flüsterte Spitames begeistert.

      „Wir müssen näher heran. Wir umgehen ihn.“

      Wir machten einen Bogen und stakten in dem schnell fließenden Wasser des Flusses langsam auf ihn zu. Er hatte uns erblickt und wir hatten Angst, dass er sich davonmachen würde. Normalerweise legt ein Bär, wenn er nicht gar mit seinem Wurf unterwegs ist, keinen großen Wert auf die Bekanntschaft mit Menschen. Aber er dachte nicht daran, vor uns auszureißen, sondern erhob sich noch einmal zu einer Höhe, die uns bei weitem überragte und erwartete uns mit aufgerissenem Maul.

      „Ein König. Ein Kyros!“ rief der Alte.

      Weiß der Dionysos, wie Spitames auf den Namen des großen Perserkönigs kam. Aber diesen königlichen Namen trug unser Bär mit Recht. Wie ein Berg stand er vor uns und seine Tatzen teilten die Luft. Ich nahm den thrakischen Bogen und ließ einen Pfeil schwirren und traf ihn mitten in die Brust, was ihm aber nur ein ärgerliches Brummen abnötigte. Er schlug mit der Tatze den Pfeil ab.

      „Mit Pfeil und Bogen kriegen wir den nicht. Da müssen wir schon mit etwas härterem kommen!“ schrie Spitames und wir stellten unsere Speere auf. Langsam kam Kyros auf uns zu und ich hatte Mühe, meine Angst zu bezwingen und wäre am liebsten davongelaufen.

      Als er bis auf wenige Schritte heran war, warf Spitames seinen Speer und er traf ihn gut und ich tat es ihm nach und traf den Bär auch unterhalb der Brust und jetzt hätte er sich eigentlich hinlegen oder wenigstens davonlaufen müssen. Aber er tappte brüllend auf uns zu und wir nahmen die Beine in die Hand und rannten aus dem Wasser heraus und am Ufer entlang und er folgte uns und kam näher und näher und sicher hätte er uns eingeholt, wenn vor uns nicht der Wasserfall aufgetaucht wäre und wir uns nicht in die Höhle dahinter geflüchtet hätten. Mein guter Spitames kannte jede Zuflucht in diesen Bergen. Wir hörten Kyros hinter dem Wasserfall brüllen. Er wartete eine ganze Weile und wir hörten ihn missvergnügt im Wasser plantschen. Schließlich war er es leid und verdrückte sich. Das war unsere erste Begegnung mit Kyros.

      Bald war die ganze Gegend erfüllt mit Geschichten über den König der Bären und die Bauern beklagten gerissene Schafe und Ziegen. Fast jeder Clanchef, auch mein Vater, ging in die Berge, um ihn zu jagen. Es gab wohl keinen Mann von Adel und Anstand, der nicht erzählte, dass er ihm begegnet sei. Doch erlegen konnte ihn keiner. Kyros wurde in ganz Makedonien berühmt und vielleicht waren es die immer wilder werdenden Geschichten über seine Größe und Tapferkeit, die schließlich den Thronfolger in unsere Gegend führten. Doch bevor sich mein Name mit dem des Kyros verband, geschah etwas, das mein Leben veränderte und mir


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