Alexanders letzter Traum. Heinz-Joachim Simon

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Alexanders letzter Traum - Heinz-Joachim Simon


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Bär stand hoch aufgerichtet in einer Lichtung und neben ihm lag die Hirschkuh und vor ihm krochen bereits drei unserer Molosser mit aufgeschlitzten Bäuchen. Die Därme hingen ihnen heraus. Die anderen drei umsprangen ihn und versuchten dabei, seinen Tatzen auszuweichen. Man musste ihnen zugestehen, dass sie tapfere Kerle waren und sich durch ihre halbtoten Leidensgenossen nicht abschrecken ließen. Immer wieder verbissen sie sich in seinem Fell. Ich nahm meinen Bogen und jagte Kyros einen Pfeil in die Seite. Aber er kümmerte sich nicht einmal darum. Auch ein zweiter und ein dritter Pfeil beeindruckten ihn nicht. Spitames lief nun los und machte einen seitlichen Bogen um das Tier und ging es von hinten an und stieß Kyros den Speer in die Flanke. Der Bär drehte sich ihm zu und schüttelte den mächtigen Kopf, als hätte sich Spitames nicht an die Spielregeln gehalten. Er ließ sich auf alle Viere fallen, schüttelte sich noch einmal und der Speer fiel ab. Nun gab er dem letzten Molosser noch einen Hieb, so dass dieser durch die Luft flog. Schon war der Bär im Dickicht verschwunden. Er war also nicht nur stark, sondern auch klug und sagte sich wohl: Diesmal überlasse ich euch das Feld und komme erst einmal zu Kräften und dann sehen wir weiter.

      Er ließ uns also mit der Erkenntnis zurück, dass wir keinen Schritt weiter gekommen waren. Bei genauer Betrachtung war es nicht einmal ein Remis. Wir hatten sechs Molosser verloren, die doch als die fürchterlichsten Kampfhunde galten, die jemals gezüchtet worden waren. Wir gaben den verletzten Tieren den Gnadenstoß. Spitames hatte dabei Tränen in den Augen. Ich konnte für die Ungeheuer nicht die gleiche Trauer aufbringen. Aber tapfer waren die Viecher gewesen.

      Dann folgten wir der Blutspur, und es ging nun wieder hinunter und in ein Tal hinein. Dort wurde es morastig und wir mussten durch einen Wald waten, der überschwemmt war. Das Blut an den herabhängenden Zweigen verriet uns, dass Kyros hier vorbei gekommen war. Als wir aus dem überschwemmten Wald heraus waren, hörten wir einen verzweifelten Ruf.

      „Da schreit jemand!“ stellte ich überflüssigerweise fest.

      Wir liefen in eine Lichtung hinein.

      Vor uns hatte Kyros ein Pferd zu Boden geworfen. Der Reiter lag daneben und unser Bär war nun dabei, sich den wehrlosen Mann vorzunehmen. Offensichtlich war sein Bein unter dem Pferdeleib eingeklemmt. Ich zog meinen Speer vom Rücken, denn mit dem Bogen würde ich den Bären, dies wusste ich nun, kaum aufhalten können. Ich weiß nicht, was mich zu dieser Tat trieb. Im Zweifelsfall Apollon. Ich humpelte mit dem Speer auf den Bären zu. Dieser wollte dem am Boden liegenden Mann gerade den tödlichen Schlag verabreichen. Ich trieb Kyros den Speer in den Nacken. Das Ergebnis war, dass er sich mir zuwandte. Vielleicht erkannte er, dass ich zu denen gehörte, die ihm schon einmal Schmerzen zugefügt hatten. Jedenfalls war ich nun das Ziel seiner Begierde. Er tapste auf mich zu. Ich nahm den zweiten Speer vom Rücken und diesmal warf ich ihn nicht, sondern stellte ihn wie einen Spieß auf den Boden. Er erhob sich wieder zur fürchterlichen Größe, und ich hielt ihm den Spieß entgegen und er ließ sich fallen und spießte sich selber auf. Da ich mich zur Seite warf, verursachte der Prankenhieb nicht mehr als einen Luftzug. Ich rollte mich möglichst weit von ihm fort, und dies war auch gut so. Denn Kyros war ziemlich verärgert und seine Tatzen wühlten den Boden auf und nun schrie er. Es klang sehr menschlich, wie er schrie, und mir lief ein Schauer über den Rücken.

      Spitames warf mir seinen Speer zu. „Töte ihn! Es ist soweit. Lass ihn nicht länger leiden. Ich kümmere mich um den Reiter.“

      Es war ein guter Eschenspeer und ich ging auf den Bär zu, dessen Tatzen immer noch den Boden aufwühlten. Er blickte mir ruhig entgegen. Als ich vor ihm stand, wurde sein Blick, so erschien es mir, vorwurfsvoll. Er war nicht bereit zuzugeben, dass er besiegt war. Ich stieß ihm den Speer in den Hals und er fauchte noch einmal und starb. Er hatte uns einen großen Kampf geliefert und nun war es vorbei und es tat mir leid, dass ich ihn getötet hatte. Er war ein König und ich ehrte ihn, indem ich einen Zweig abbrach und in sein Maul steckte.

      Spitames hatte den Reiter mittlerweile von seinem Pferd befreit. Der Mann lehnte gegen einen Baum und sah mit immer noch bleichem Gesicht zu mir herüber.

      „Alles in Ordnung, mein Junge?“ rief mir Spitames zu.

      „Alles in Ordnung. Es war ein guter Kampf.“

      „Mann gegen Mann!“ stimmte er zu, was so nicht stimmte. Aber er wollte damit ausdrücken, dass ich Kyros im Nahkampf bezwungen hatte.

      „Er hat sich aufgespießt. Ich hatte Glück.“

      „Du hast ihm ins Gesicht gesehen. Das allein zählt.“

      „Apollon hat mir geholfen.“

      „So wird es sein“, gab Spitames zu.

      Ich ging zu dem Mann, den wir gerettet hatten und besah mir seine Wunden.

      „Es ist nicht schlimm!“ wehrte er ab. „Die Fleischwunde an der Schulter ist nicht tief. Nur mein Bein schmerzt. Aber es scheint nicht gebrochen zu sein.“

      Er war ein sehr gut aussehender Mann, und dies ist noch eine Untertreibung. Er sah aus wie ein junger Gott und war höchstens drei oder vier Jahre älter als ich.

      Nun war Hufgetrappel zu hören und schon waren wir von Reitern umringt. Ein Mann sprang ab, der ein Zwilling des Verletzten hätte sein können. Er war allerdings kleiner, nur mittelgroß und hielt den Kopf seitlich geneigt. Ein ebenmäßiges stolzes Gesicht, über dem sich wie bei einer Löwenmähne das Haar zu beiden Seiten wölbte. Die Nase war etwas breiter als bei seinem verletzten Gefährten und ließ Energie ahnen, was auch das kräftige Kinn unterstrich. Nun bin ich kein Männerfreund. Aber der Neuankömmling war jemand, dessen Erscheinung einen sofort fesselte und dessen Freundschaft man sich wünscht. Er war nicht so schön wie der Verletzte, aber das, was von ihm ausging, war Achtung gebietend und hoheitsvoll. Er ging zu dem Mann, den wir vor dem Bären gerettet hatten und umarmte ihn und sie drückten sich aneinander, als wären sie ein Liebespaar.

      „Hephaistion, dir ist nichts passiert? Den Göttern sei Dank!“ rief der Neuankömmling.

      „Ihm musst du danken, Alexander!“ rief der Verletzte und wies auf mich.

      Nun wusste ich, dass ich es mit dem Kronprinzen zu tun hatte und wunderte mich nicht mehr über das ehrerbietige Verhalten der anderen Reiter. Ich hatte gehört, dass Alexander die Schlacht von Chaironeia entschieden hatte. Er galt trotz seiner jungen Jahre bereits als Kriegsheld, und man erzählte von ihm, dass er ein genau so berühmter König werden würde wie sein Vater, der große Philipp.

      „Wer bist du?“ fragte Alexander und ich sagte es ihm und humpelte zu dem Bär und zog ihm den Speer aus dem Hals und reichte ihn Alexander.

      „Mit diesem Speer werde ich dir ein treuer Gefährte sein.“

      Ich weiß auch nicht, was mich dazu veranlasste so zu sprechen. Ich war ein Niemand, der Kröterich des Anthes, und doch redete ich zu meinem zukünftigen König, als wäre ich ein Fürst. Ich kann nur vermuten, dass mir Apollon diese Worte eingegeben hatte.

      „Bist du der Gott Hephaistos, der Schmied?“ fragte er, so andeutend, dass er mich nicht gering erachtete und ich klärte ihn auf, wessen Sohn ich war und obendrein ein Krüppel. Aber in seinen Augen schien mich das nicht herabzusetzen.

      „Du bist mutig!“ stellte er fest und deutete auf den Bären.

      „Das ist er in der Tat!“ bekräftigte Hephaistion, der nun notdürftig verbunden wurde.

      „Er hat den Kyros bezwungen, der so manchen Jäger getötet hat. Es hieß von ihm, dass ihn niemand bezwingen könne“, rief jemand aus der Reitergruppe, die längst abgestiegen war und uns bewundernd umringte.

      „Du bist ein Jäger?“ fragte Alexander und ich sah zu Spitames hinüber und dieser nickte.

      „Ja. Ein Jäger und ein Schäfer und ….“

      „….ein guter Reiter, der beste, den ich kenne!“ setzte Spitames hinzu.

      „Du kannst gut reiten?“ fragte Alexander und sah dabei auf meinen Fuß. Aber ich sah in seinem Blick weder Mitleid noch Geringschätzung, sondern Neugier.

      Ich


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