Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

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Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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ver­gol­de­ten Nuss in der Hand, sag­te der Alte lä­chelnd:

      »Die Wel­trät­sel­nuss war es noch nicht, die durch Ihre Ver­mit­te­lung ihr In­ners­tes her­aus­gab, lie­ber Kol­le­ge. Das Re­sul­tat ist dies­mal recht gut. Knacken Sie ru­hig wei­ter, es gibt im­mer noch Bes­se­res, und – wenn Sie sich müde ge­kaut und ge­knackt ha­ben und er­nüch­tert vor dem Scha­len­hau­fen ste­hen, dann ma­chen Sie’s wie ich: är­gern und grä­men Sie sich nicht! Zu sei­nem Är­ger und Über­druss hat man doch manch­mal sei­nen Spaß und sein Ver­gnü­gen und zu sei­nen Schan­den sei­ne Ehren. Se­hen Sie sich auf dem Ti­sche um: vorm Jahr, als ich hier jung war, war’s die­sel­be Ge­sell­schaft um mich her.«

      »Es wird wei­ter­ge­knackt!« schluchz­te der Nach­fol­ger im Er­den­ge­schäft. Er brach­te zwar in der Umar­mung des ver­brauch­ten Se­niors die Arme nicht vom Lei­be los, aber zwei Harz­trä­nen ent­ran­gen sich dem Zir­bel­holz, aus dem er gedrech­selt war. Und rund­um in der al­ten Blau­en Stu­be duf­te­te es im­mer lieb­li­cher und glänz­te es im­mer bun­ter und zau­ber­haf­ter. Die vom Va­ter Feyer­abend aus­ge­bla­se­nen Wachs­lich­ter an der Tan­ne flamm­ten dem Sohn zur Nach­fei­er sei­nes sie­ben­zigs­ten Ge­burts­tags noch mal auf, aber mit ma­gi­schem Lich­te sub spe­cie ae­ter­ni­ta­tis. Der gan­ze Weih­nacht­s­tisch, die Ar­che Noah nicht aus­ge­schlos­sen – die Sünd­flut-Schiff­bau­er, den bö­sen Ham ein­ge­schlos­sen – al­les, al­les er­hob sich zum Ju­bel­ruf.

      »Es wird wei­ter­ge­knackt!«

      Nur – die Schöns­te – die wun­der­schö­ne jun­ge Dame mit der Cour­schlep­pe und dem ro­si­gen Wachs­ge­sicht­chen, jene Rei­zends­te, Jüngs­te, die vor­hin zu­erst mit­lei­dig dem ver­jähr­ten Krüp­pel das le­bens­war­me wei­ße Händ­chen hin­ge­hal­ten hat­te, sie schlug plötz­lich die Hän­de mit dem Spit­zen­ta­schen­tuch vor die Au­gen und wein­te bit­ter­lich.

      Und nun­mehr war es nicht mehr der Nuss­knacker vom vo­ri­gen Jahr von dem Weih­nachts­abend vor sech­zig Jah­ren: es war wie­der der Wirk­li­che Ge­heim­rat Pro­fes­sor Dok­tor Feyer­abend, der in der Blau­en Stu­be stand und seufz­te – nicht mehr das Wort an den Nach­fol­ger rich­tend:

      »Ja, was soll man den ar­men Kin­dern zum Tros­te sa­gen? Dass ihre Töch­ter so schön wer­den wie sie?« … … …

      Es war wahr­lich nicht mehr der Nuss­knacker vom vo­ri­gen Jahr, son­dern es war der Wirk­li­che Ge­heim­rat Feyer­abend, der die alte Jet­te, sei­ne alte Jet­te, in der Blau­en Stu­be des Va­ter­hau­ses am Markt zu Al­ters­hau­sen brum­men hör­te:

      »Sap­per­ment, wie kommt denn die alte Krö­te da un­tern Weih­nacht­s­tisch? Aber du kommst mir gra­de recht zum Feu­er­an­ma­chen! Da Fritz­chen nun einen neu­en hat, wird er nach dem al­ten Greul wohl nicht mehr su­chen – – –«

      »Herr Dok­tor ver­zei­hen, wenn ich an­fra­ge, ob ich Herrn Dok­tor den Kaf­fee auf dem Zim­mer ser­vie­ren soll?« frag­te der Ober­kell­ner im Rats­kel­ler zu Al­ters­hau­sen.

      »Wa – wa – was?« stam­mel­te der orts­ein­ge­bo­re­ne In­ko­gni­to­gast im Rats­kel­ler zu Al­ters­hau­sen. Da saß er auf­ge­schreckt und ein we­nig ver­drieß­lich, dem jun­gen, höf­li­chen Mann vor ihm Ob­jekt ei­ner we­nig re­spekt­vol­len und je­den­falls et­was hei­ter­ver­gnüg­li­chen Vor­stel­lung ge­we­sen zu sein, und brumm­te:

      »Ich pfle­ge zu klin­geln, wenn ich et­was brau­che, lie­ber Freund.«

      Da un­ter ihm lag der Kind­heits­markt und da drü­ben das Haus mit der Blau­en Stu­be. Er saß noch im­mer in dem all­zu be­que­men Fens­ter­ses­sel, und an sei­nen Bei­nen hin­un­ter­se­hend durf­te er sich über­zeu­gen, dass sie wirk­lich nicht in gel­ben Ho­sen und blankla­ckier­ten Husa­rens­tie­feln steck­ten. Es schnei­te auch nicht in eine Christ­monds­nacht von vor zwei Men­schen­al­tern hin­ein, son­dern al­les lag noch im schöns­ten Nach­mit­tags-Spät­som­mer­son­nen­schein in dem lau­fen­den Jahr, in wel­chem er noch ein­mal da­bei­war in Al­ters­hau­sen, wo er ein­ge­la­den wor­den war, Kaf­fee zu trin­ken mit Min­chen Ahrens und sei­nem Freun­de Lud­chen Bock!…

      Eine hal­be Stun­de spä­ter sag­te Min­chen:

      »Das ist zu freund­lich von dir, Fritz; aber nun musst du auch mit uns vor­lieb­neh­men. Komm nur gleich in den Gar­ten.«…

      Was ihm kein Traum ge­ben konn­te, lie­fer­te ihm nun die Wirk­lich­keit: al­les, was er von sei­ner Le­bens-Heim­weh-Fahrt nach der Ju­gend – nach Al­ters­hau­sen ver­lan­gen konn­te!…

      Es hat­te sich nichts ver­än­dert. Die dür­re Hand, die die sei­ni­ge in der Haus­tür fass­te, war noch die wei­che Kin­der­hand von vor sech­zig Jah­ren. Es lös­te sich nichts in Fan­tas­men und Frat­zen auf, und kein neu­er Nuss­knacker lös­te den al­ten ab: das große of­fe­ne Welt­ge­heim­nis lag in sei­ner gan­zen Schön­heit und Herr­lich­keit vor ihm im Lich­te des eben ge­gen­wär­ti­gen Ta­ges, und – er freu­te sich, dass er mit in der Welt war und zu dem Wun­der mit ge­hör­te. – – – – – – – – – – – – – – – – –

      »Dein blau­es Wun­der wirst du ha­ben«, sag­te Min­chen. »Ich habe es ihm glaub­haft ma­chen wol­len, dass sein Freund Fritz zum Be­such da­sei, und wenn er dich auch nicht so ästi­mie­ren kann, so hat’s ihn doch dar­auf ge­bracht, alle eure Jun­gens­herr­lich­kei­ten von da­zu­mal her­aus­zu­lan­gen. Ich weiß nicht, wie es mög­lich ge­we­sen ist, dass sich das al­les so lan­ge er­hal­ten hat; aber es ist wirk­lich da, und viel­leicht er­kennst auch du noch was von dem wie­der, was dir wohl mal mit­ge­hört ha­ben mag oder was du ihm bei eu­rer Abrei­se zu­rück­ge­las­sen und ge­schen­ket hast… Aber nicht wahr, hier bei mir hat sich auch nicht viel ver­än­dert, wenn du dich dar­an er­in­nern kannst?!«

      O wie wohl kann­te der grei­sen­haf­te Gast al­les wie­der! Von der Hau­stür­schwel­le an durch den dun­keln Gang mit dem Herd­feu­er im Hin­ter­grund und durch die Hof­tür das Son­nen­licht und Gar­ten­grün.

      »Aber du kommst wohl zu­erst wohl wie­der mit in die Stu­be?«

      »Ja­wohl, ja­wohl! Füh­re mich, aber an der Hand, durch dei­nen Zau­ber, Min­chen, lie­bes Mäd­chen.«

      »Ja­wohl, gern. Da guck nur mal, was er dir zu Ehren und Lie­be ge­macht und zu­sam­men­ge­tra­gen hat! Es ist noch der Tisch, an dem ihr eu­rer­zeit so oft die Köp­fe über den Rek­tor Schus­ter sei­nen Auf­ga­ben und, ich dar­f’s wohl sa­gen, eu­ren Dumm­hei­ten und Nichts­nut­zig­kei­ten zu­sam­men­ge­steckt habt. Sieh mal, da steht noch dein Name ein­ge­schnit­ten. Er krieg­te da­mals Prü­gel drum von der Mut­ter.«

      Ge­heim­rat Feyer­abend leg­te die Hand auf die Nar­be des al­ten Ei­chen­ti­sches. In kei­nem Hör- und Lehr­saal, in kei­nem Pracht­saal der Won­ne­bur­gen der Wal­chen war ihm je das Herz so heiß in der Keh­le her­auf­ge­stie­gen wie jetzt in der Fa­mi­li­en­stu­be des Acker­bür­ger­hau­ses von vor sech­zig Jah­ren. Was vor­hin der Traum auf­ge­baut hat­te, das hat­te der »Jun­ge«, sein Freund Lud­chen Bock, ihm jetzt in der Wirk­lich­keit aus den Win­keln und Ver­ste­cken ferns­ter Kind­heits­ver­gan­gen­heit her­vor­ge­holt und – zu Ehren hin­ge­legt als ei­ner, der im ers­ten, schöns­ten, jüngs­ten Le­bens­son­nen­schein und Kin­der­spiel der Erde noch im­mer mit da­bei war! wirk­lich mit


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