Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe

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Gesammelte Werke - Wilhelm  Raabe


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Er­den ge­sche­hen kön­nen, be­schäf­ti­gen oder da­von auf An­drin­gen er­zäh­len; und da Min­chen Ahrens dem Kind­heits­freun­de von ei­ner sol­chen Be­richt gab, hielt sie ihm jetzt schon ganz ver­trau­lich ihr Werk aus grau­er Wol­le hin, einen Strumpf, in wel­chem der aus­ge­wach­sens­te Ele­fan­ten­fuß aus Deutsch-Ost­afri­ka sich hät­te wohl­füh­len kön­nen.

      »Er sorgt da im Stall für mich und ich hier für ihn. Man muss wirk­lich schon an den Win­ter den­ken, und was sei­nen Ver­brauch hier­von be­trifft, Fritz, so ist’s da­mit noch gra­de­so wie in eu­rer Jun­gens­zeit.«

      »Er schnauft tüch­tig bei sei­nem Sä­ge­bock«, sag­te der Wirk­li­che Ge­heim­rat nach dem Stall hin hor­chend.

      »Ja, so dick und un­be­hol­fen ist er nicht im­mer ge­we­sen; aber er ist’s früh ge­wor­den. Sie mein­ten, das hin­ge mit sei­nem Zu­stand zu­sam­men. Nach­dem wir aus der Schu­le ge­we­sen sind – ih­n ha­ben sie mit hin­ein­ge­hen und hin­sit­zen las­sen mit den an­de­ren, sei­ne El­tern und der Herr Rek­tor, weil er zu Hau­se im Wege ge­we­sen ist –, bin ich eine Wei­le mehr von ihm ab­ge­kom­men. Ich war eben auch ein fri­sches, jun­ges Ding und lach­te gern und dumm und ließ mich nicht gern um was auf­zie­hen von an­de­ren. Ich will es ge­ste­hen, ich ging gern aus dem Wege und sah nicht hin, wenn sie ih­ren Scha­ber­nack mit ihm trie­ben. Ich schäm­te mich, mich aus Mit­leid und Är­ger­nis lä­cher­lich ma­chen und zum Wei­nen brin­gen zu las­sen. Heu­te nun schä­me ich mich noch; aber da­mals konn­te ich nicht an­ders: die Welt ist ein­mal so, und ich bin mein­er­zeit nicht bes­ser als die Welt ge­we­sen und auch mal ein jun­ges Mäd­chen.«

      Es war, als lie­fe so et­was wie ein ro­si­ger Schein über das Alt­jung­fern­ge­sicht ne­ben dem Wirk­li­chen Ge­heim­rat, und er brauch­te nicht zu fra­gen:

      »Wo­her der Ab­glanz?«

      Es klang ihr wie Tanz- und Schüt­zen­hofs­mu­sik, es glänz­te ihr wie Pfingst­mai­en­grün aus dem neun­zehn­ten Le­bens­jahr, und – sie leg­te einen Au­gen­blick ihr Strick­zeug auf den Tisch – sah, nein, horch­te nach dem Holz­stall, wo die Säge Lud­chen Bocks noch im­mer im Gan­ge war, nahm es wie­der auf, sah mit jung­jüng­fer­li­chem Au­gen­nie­der­schlag auf ihre Na­deln und lä­chel­te:

      »Jaja, Fritz, alte Be­kann­te hier aus der Zeit sa­gen, ich sei auch mal ein hüb­sches Mäd­chen ge­we­sen.«

      Ob der ge­lehr­te Mann, der Mann aus den Won­ne­bur­gen der Wal­chen, ihr wohl hät­te sa­gen dür­fen, wie schön sie noch sei und was an der Welt schön sei?

      Er mach­te den Ver­such nicht ein­mal durch eine Hand­be­we­gung, und sie er­zähl­te ihm wei­ter von Lud­chen Bock und sich.

      »Zu Hau­se hat­ten sie ihn jetzt mit an die täg­li­che Ar­beit ge­nom­men; aber da ging erst das rech­te Lei­den an. Dass er beim Rek­tor Schus­ter nicht wei­ter­kam, son­dern ein Kind blieb, be­grif­fen sie; dass er aber auch ein Kind auf dem Fel­de, im Stal­le, in je­dem Hand­werk – in all un­se­rer Han­tie­rung hier blei­ben soll­te, das konn­ten sie nicht ein­se­hen. Und von da an und dar­aus ist sein wei­ner­li­cher Ton an­ge­gan­gen, den nun seit so lan­gen, lan­gen Jah­ren ei­gent­lich kei­ner er­tra­gen kann als wie ich, die ich mich nach Got­tes Wil­len nach und nach in der rich­ti­gen Wei­se dran ge­wöh­nen lern­te – konn­te.«…

      Ge­wöh­nen konn­te. Konn­te!

      Welch ein Leh­rer wäre der be­rühm­te Ge­lehr­te ge­we­sen, wenn er es sei­nen Schü­lern hät­te bei­brin­gen kön­nen, was al­les von dem, was die Welt zu­sam­men­hält, in die­sem Ver­bum neu­trum ir­re­gu­la­re aus Min­chen Ahrens’ Mun­de lag! Aber wer konn­te je in ei­nem Lehr- und Hör­saa­le den Leu­ten aus­ein­an­der­set­zen, wie Mut­ter Na­tur bei der Ar­beit ihr Kind wei­nen hört und sin­gend die Wie­ge mit dem Fuße tritt? –

      »Ja, ja, ja, Fritz, es war eine lus­ti­ge Zeit, die Zeit, wo un­ser­eins, ich mei­ne uns Mäd­chen, nicht aus dem Ki­chern und La­chen her­aus­kom­men kann! Des Abends auf der Bank vor der Tür und am Brun­nen und Sonn­tags so­gar in der Kir­che und nach der Kir­che erst recht, und al­les von Rek­tor Schus­ters Jun­gens, was eine sons­ten bis zum Heu­len und Brül­len er­bo­set, ge­är­gert und an den Zöp­fen ge­zo­gen und al­len Scha­ber­nack an­ge­tan hat, nun auf ein­mal ganz an­ders. Ein paar Fle­gel – na­tür­lich nur grö­ber und un­ver­schäm­ter; aber die Bes­se­ren und Fei­nern – und, lie­ber Gott, doch die meis­ten! –, die Bes­se­ren nicht bloß an­stän­dig, son­dern so ma­nier­lich und blö­de, dass man da zwar hin­ter ih­rem Rücken erst recht mit dem Ki­chern und La­chen her­aus­platzt, aber doch wie­der bei Nacht so was wie Ge­wis­sens­bis­se hat und sich über sich sel­ber är­gert und meint, dass man doch ein biss­chen höf­li­cher und nicht so grob hät­te sein kön­nen.«

      Der Schein auf dem Grei­sen­ge­sicht war im­mer ro­si­ger ge­wor­den. Nun sah sie ver­schämt, ver­le­gen und doch wirk­lich schalk­haft den Freund von der Sei­te an:

      »Herr Ge­hei­mer Rat – dich mei­ne ich, Fritz Feyer­abend, du musst es dir ganz al­lein auf dei­ne Rech­nung schrei­ben, dass ich so dumm schwat­ze. Wir sind doch ei­gent­lich heu­te Mor­gen vom Mai­en­brun­nen her wie die Kin­der aus ihm her­aus­ge­kom­men und sit­zen hier so zu­sam­men! So was wie Lud­chen Bock und mir kann doch noch kei­nem an­de­ren auf Er­den durch einen Be­such pas­siert sein, und ich kann ja auch im­mer noch nicht recht dar­an glau­ben.«

      »Ich glau­be an dich von gan­zem Her­zen, Min­chen! Ver­su­che es also auch wei­ter mit mir: glau­be an den ar­men Schat­ten wie ich an dein jun­ges, blü­hen­des Le­ben. Das Wet­ter ist so schön, und ich möch­te wirk­lich noch mal da­bei­sein – beim Kin­der­spiel der Erde!«

      Plötz­lich leg­te sie nun ihre Hand auf die des Freun­des.

      »Weißt du, Fritz, wie ich es ma­chen will? Du hast mir so gut und ru­hig von dei­ner lie­ben jun­gen Frau und dei­nem ar­men klei­nen Kind­chen er­zählt: nun will ich mir den­ken, ich säße auf eu­rem Kirch­ho­fe, wo sie lie­gen, bei ih­ren lie­ben Grä­bern und will da, weil du es willst und noch dazu nach hier­her jetzt ge­kom­men sein musst, wei­ter mir vom Her­zen ab­schüt­teln, was drauf liegt seit – seit – ja, wie lan­ge ist’s ei­gent­lich her?«

      Der Welt­wan­de­rer und Gast von Al­ters­hau­sen sah ver­wun­dert ob der Fra­ge auf; aber sie – die Freun­din – hat­te wohl Recht dazu an die­sem Orte, in die­sem Haus­gar­ten, mit die­sen Zäu­nen, Dä­chern und al­lem üb­ri­gen rund­um – in die­sem ver­zau­ber­ten Win­kel, wo sie der Welt Schön­heit zwei Men­schen­al­ter ver­schla­fen hat­te wie Dorn­rös­chen in ih­rem dor­nen­über­wach­se­nen Kö­nigs­schloss! –

      Die Säge Lud­chen Bocks hat­te schon seit ei­ner Wei­le sich nicht hö­ren las­sen, und nun ge­sch­ah et­was recht Ab­son­der­li­ches.

      Um den Pfos­ten der Stall­tür her­um er­schi­en das ge­schwol­le­ne, bart­lo­se Jun­gens-Alt­ge­sicht des Freun­des, und Lud­chen Bock wink­te dem Wirk­li­chen Ge­hei­men Rat, wink­te ver­gnüg­lichst-ver­trau­lich grin­send:

      »Komm, Frit­ze, ich will dir mal was zei­gen!«

      Das war der Ton von vor sech­zig Jah­ren, und Min­chen Ahrens sah fast er­schro­cken auf und hin nach ih­rem Schütz­ling. Sie stot­ter­te es fast her­vor:

      »Nun, was ist’s denn, Lud­chen?«

      »Er hat mei­ne Ka­nin­chen noch nicht ge­se­hen. Ich schen­ke ihm wie­der mal eins mit ro­ten


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