Philosophische und theologische Schriften. Nicolaus Cusanus

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Philosophische und theologische Schriften - Nicolaus Cusanus


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und in der Verschiedenheit die Einheit begreift! Diese Vereinigung übersteigt also alle unsere Begriffe.

      DRITTES KAPITEL

      Nur in der Natur der Menschheit ist dieses konkret Größte möglich (possibilius)

      Es wird sich nun leicht untersuchen lassen, welcher Natur das konkret Größte angehören müssen (cuius naturae contractum maximum esse deberet). Da nämlich dasselbe notwendig eines ist, wie das absolut Größte die absolute Einheit ist, und es dabei konkret dieses oder jenes ist, so ist fürs erste zu erwägen, daß es die Ordnung mit sich bringt, daß einige Dinge im Verhältnis zu andern von niederer Natur sind, wie alle die, welche kein Leben und geistige Tätigkeit haben, andere höhere Natur, wie z. B. die rein geistigen Naturen (intelligentiae)49, wieder andere die Mitte von beiden einnehmen. Wenn nun das absolut Größte das Sein von allem in der universellsten Weise ist, nicht mehr das Sein des einen, als des andern, so ist klar, daß jenes Sein mit dem Größten sich eher vereinen läßt, welches die größere Verwandtschaft mit der Gesamtheit alles Seienden hat (clarum est, hoc ens magis maximo sociabile, quod magis universitati entium est commune). Betrachten wir die Natur der niedern Dinge und denken wir uns eines derselben zur absoluten Größe erhoben, so wird es Gott und zugleich es selbst sein, wie man an der größten Linie sieht. Da sie unendlich und die größte ist, so wird notwendig jede Linie, mit welcher sich die größte vereint, Gott sein durch die absolute Größe, während sie vermöge ihrer Konkretheit Linie bleibt; sie wird demnach alles in Wirklichkeit sein, was aus einer Linie werden kann. Allein die Linie schließt Leben und Geist nicht in sich, wie kann daher die Linie zur höchsten Größe erhoben werden, wenn sie die Fülle der Naturen nicht erreicht? Sie wäre50 das Größte, das noch größer sein könnte, und würde der Vollkommenheit ermangeln. Das gleiche gilt von der obersten Natur, die die untere nicht in sich faßt, außer in dem Sinne, daß höhere und niedere Natur mehr gegenseitige Annäherung als Trennung zulassen. Dem Größten aber, mit dem das Kleinste koinzidiert, wird es sich geziemen, so das eine zu umfassen, daß es das andere nicht ausschließt, sondern alles zumal in sich faßt. Es ist daher die mittlere Natur, das Verbindungsglied der niedern und höhern, allein diejenige, welche zur Erhebung zum Größten durch die Macht des unendlich größten Gottes am besten sich eignet (quapropter natura media, quae est medium connexionis inferioris et superioris, est solum illa, quae ad maximum convenienter elevabilis est potentia maximi infiniti Dei). Denn da sie als die höchste der niedern und die niederste der höhern Natur alle Naturen in sich faßt, so ist klar, daß, wenn sie nach ihrem ganzen Wesen (secundum omnia sui) sich zur Einigung mit dem Größten erhebt, alle Naturen, ja das ganze Universum auf jede mögliche Weise in ihr zum höchsten Grade (ihrer Vollkommenheit) gelangen. Die menschliche Natur ist die Krone der Schöpfung (humana natura est illa, quae est supra omnia Dei opera elevata), nur wenig unter die Engel gesetzt, die Vereinigung der geistigen und sinnlichen Natur; sie faßt die ganze Welt in sich (universa intra se constringens), weshalb sie von den Alten mit Recht μτϰϱοϰόσμος oder Welt im Kleinen genannt wird. Sie ist es daher, die, zur Einigung mit dem Größten erhoben, die Fülle aller Vollkommenheiten des Universums und alles Einzelnen darstellen würde, so, daß in der Menschheit alles zu seiner höchsten Stufe gelangte. Nun existiert aber die Menschheit nur konkret in diesem oder jenem. Da es nun nicht möglich ist, daß mehr als ein wirklicher Mensch sich zur Einigung mit dem Größten erheben kann, so wäre dieser in der Art Mensch, daß er zugleich Gott ist, und in der Art Gott, daß er zugleich Mensch ist, die Vollendung des Universums, der Primat von allem (in omnibus primatum tenens). Kleinstes, Größtes und Mittleres, der Natur des absolut Größten geeint, würde in ihm so koinzidieren, daß er die Vollkommenheit (perfectio) von allem wäre und alles Konkrete51 in ihm als in seiner Vollkommenheit zur Ruhe gelangte. Es wäre das (absolute) Maß für Menschen und Engel (wie Johannes in der Apokalypse sagt) wie für alles einzelne, weil er durch die Vereinigung mit dem absoluten Sein, das das absolute Sein von allem ist, das konkret universelle Sein aller einzelnen Kreaturen (universalis contracta entitas singularum creaturum) wäre. Alles erhielte durch ihn den Anfang und das Ende des konkreten Seins; durch ihn, der das konkret Größte aus (a) dem absolut Größten ist, ginge alles ins konkrete Sein über, durch seine Vermittlung kehrte es ins Absolute zurück; er wäre der Anfang (principium) der Emanation und das Ziel der Rückkehr in Gott. Gott aber ist als die Gleichheit alles Seins der Schöpfer des Universums, da dieses für ihn (ad ipsum) erschaffen ist. Die höchste und größte absolute Gleichheit alles Seins ist es demnach, mit der die menschliche Natur geeinigt wird, so daß Gott durch Annahme der menschlichen Natur in der Sphäre der Menschheit alles in konkreter Weise ebenso ist, wie er in absoluter Weise die Gleichheit alles Seins ist. Da nun jener Mensch durch die Einigung in der größten Gleichheit des Seins beharrte (cum in ipsa maxima aequalitate essendi per unionem subsisteret), so wäre er der Sohn Gottes oder das Wort, durch das alles gemacht ist, oder die Gleichheit des Seins selbst, die, nach dem früher Gezeigten, Sohn Gottes genannt wird, ohne jedoch aufzuhören, Menschensohn zu sein, wie er auch nicht aufhören würde, Mensch zu sein. Da Gott, dem Besten und Vollkommensten, das nicht widerstreitet, was ohne Wechsel, Schwächung oder Verminderung seines Wesens durch ihn geschehen kann, vielmehr seiner unermeßlichen Güte ganz entspricht, wie denn alles auf das Beste und Vollkommenste in schöner Ordnung von ihm und für ihn erschaffen ist, so kann, da ohne die oben erwähnte Einigung (semota hac via) alles zu höherer Vollkommenheit nicht52 gelangen kann, niemand, der nicht Gott oder dessen höchste Güte leugnen will, der obigen Ausführung vernünftiger Weise entgegentreten. Denn alle Mißgunst ist weit entfernt von dem, der die höchste Güte ist und dessen Wirken nicht mangelhaft sein kann, sondern, wie er das Größte ist, so auch sein Werk soviel als möglich dem Größten nähern will. Es hat nämlich die größte Macht ihre Grenze nur in sich selbst, weil außer ihr nichts und sie unendlich ist. In keinem Geschöpfe findet sie somit eine Grenze, daß sie nicht im Verhältnis zu irgendeinem gegebenen Geschöpfe ein besseres und vollkommeneres erschaffen könnte. Wird nun ein Mensch zur Vereinigung mit der Allmacht selbst erhoben, so daß dieser Mensch nicht mehr ein in sich, sondern in der Einheit mit der unendlichen Macht bestehendes Geschöpf ist, so ist hier die Allmacht nicht durch das Geschöpf, sondern nur durch sich selbst beschränkt. Es ist dies die vollkommenste Tätigkeit (perfectissima operatio) der unendlichen und unbegrenzbaren Allmacht Gottes, in der kein Mangel sein kann, sonst wäre weder der Schöpfer noch das Geschöpf. Denn wie könnte das Geschöpf in konkreter Weise sein aus dem absoluten göttlichen Sein, wenn die Konkretheit selbst keine Vereinigung mit letzterem zuließe (Quomodo enim creatura esset contracte ab esse divino absoluto, si ipsa contractio ipsi unibilis non esset), die Konkretheit, durch welche alle Dinge, sofern sie aus dem Absoluten sind, konkret existieren, und sofern sie konkret sind, aus dem Absoluten sind? Mit diesem Absoluten nun ist die Konkretheit selbst auf das Innigste geeint. So ist denn in erster Linie Gott der Schöpfer, in zweiter Gott und der Mensch, dessen erschaffene Menschheit im höchsten Grade zur Einheit mit sich von Gott angenommen ist (creata humanitate supreme in unitatem sui assumta), gleichsam als die universelle Konkretheit aller Dinge, mit der Gleichheit alles Seins hypostatisch und persönlich geeint, so daß durch den absoluten Gott durch Vermittlung der universellen Konkretheit – die Menschheit – in dritter Linie alles ins konkrete Sein hervorgeht, auf daß alle Dinge auf diesem Wege, was sie sind, in der besten Ordnung und Weise sein können. Diese Reihenfolge darf aber nicht zeitlich gefaßt werden, als wäre Gott der Zeit nach vor dem Erstgeborenen der Schöpfung, oder der erstgeborene »Gott und Mensch« der Zeit nach vor der Welt gewesen, sondern es bezeichnet jene Reihenfolge die über alle Zeit erhabene Natur und Ordnung der Vollkommenheit, so daß der bei Gott vor aller Zeit und allen Dingen Existierende in der Fülle der Zeit nach vielen Zeitumläufen der Welt erschienen ist.

      VIERTES KAPITEL

      Das konkret Größte ist Jesus, der Gottmensch

      Nachdem wir nun durch diese Vernunftgründe in zweifellosem Glauben dahin gelangt sind, daß wir ohne Anstand das Gesagte als ausgemachte Wahrheit festhalten, so fahren wir weiter und sagen: die Fülle der Zeit ist vorüber und Jesus, der gepriesen sei in Ewigkeit, ist der Erstgeborene der ganzen Schöpfung. Teils aus dem, was er als Mensch in übermenschlicher,


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