Philosophische und theologische Schriften. Nicolaus Cusanus

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Philosophische und theologische Schriften - Nicolaus Cusanus


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Lebens bekräftigten Zeugnissen seiner vertrauten Freunde behaupten wir mit unerschütterlicher, durch unzählige Beweise längst feststehender Gewißheit, Er sei der, den die ganze Schöpfung als in der Zeit erscheinend von Anfang an erwartet hat. ER kam, um alles zu erfüllen. Allen gab er wieder gesundes Leben, alle verborgenen Tiefen und Geheimnisse der Weisheit schloß er auf, wie einer, der Macht hat über alles. Sünden vergab er wie Gott, er erweckte Tote, verwandelte die Natur, gebot den bösen Geistern, dem Meere und den Winden, schritt auf dem Wasser dahin und gab ein Gesetz, das die Ergänzung aller Gesetze zu ihrer Vollkommenheit bildet. Nach dem Zeugnisse jenes ganz ausgezeichneten Verkünders der Wahrheit, des heiligen Paulus, der in einer Entzückung die Erleuchtung von oben erhielt, haben wir in Jesus die Vollendung von allem (perfectionem omnium), die Erlösung und Vergebung der Sünden. Er ist das Abbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung; denn in ihm ist alles erschaffen, im Himmel und auf Erden, Sichtbares und Unsichtbares, Thronen, Herrschaften, Fürstentümer und Gewalten. Alles ist durch ihn und in ihm erschaffen, er ist vor allem und alles besteht in ihm. Er ist das Haupt des Körpers der Kirche; denn er ist der Anfang selbst, der Erstling aus den Toten, so daß er in allem den Primat einnimmt; denn dem Vater gefiel es, daß in ihm die ganze Fülle wohne und alles durch ihn mit dem Vater versöhnt werde. Diese und viele andere Zeugnisse der Heiligen bestätigen es, daß er Gott und Mensch ist; die Menschheit ist in ihm durch das Wort mit der Gottheit geeint, so daß er nicht in sich, sondern in dem Worte sein Bestehen hat, dieweil die Menschheit auf ihrer höchsten Stufe und in ihrer ganzen Fülle nicht anders als in der göttlichen Person des Sohnes bestehen konnte.

      Um nun über unsern Verstand hinaus, gleichsam in gelehrtem Nichtwissen, die Person zu verstehen, die den Menschen mit sich geeinigt hat, so wollen wir für unser Verständnis einen höheren Standpunkt einnehmen und auf den Satz zurückgehen, den wir früher besprochen haben, daß nämlich Gott durch alles in allem und alles durch alles in Gott ist. Da diese Sätze kopulativ zu verstehen sind und Gott insofern in allem ist, als alles in Gott, und da das göttliche Sein selbst die höchste Gleichheit und Einfachheit ist, so ist Gott, sofern er in allem ist, nicht graduell in allem, als ob er sich stufen- und teilweise mitteilte. Das All kann aber ohne graduelle Unterschiede nicht sein. Es ist daher mit gradueller Verschiedenheit in Gott. Da nun Gott insofern in allem ist, als alles in ihm, so erhellt, daß Gott ohne Veränderung seines Wesens in der Gleichheit des Seins alles ist in der Einheit mit der größten Menschheit Jesu. Denn der größte Mensch kann in ihm nicht anders als in der größten Weise (maxime) sein. So sind denn in Jesus, der Gleichheit alles Seins, als in dem göttlichen Sohne, der die mittlere göttliche Person ist, der ewige Vater und der heilige Geist, und alles ist in ihm als in dem Worte, jede Kreatur ist in der höchsten und vollkommensten Menschheit, welche universell alles, was erschaffen werden kann (omnia creabilia), in sich faßt, so daß Jesus die ganze Fülle ist, die in ihm wohnt. Wir können uns dies einigermaßen durch folgende Vergleichung veranschaulichen. Die Sinnenerkenntnis ist ein beschränktes (contracta) Erkennen, weil der Sinn nur Einzelnes erfaßt. Die Vernunfterkenntnis ist universell, weshalb sie im Vergleich zur Sinnenerkenntnis absolut ist und frei von der Beschränktheit auf das Einzelne. Die Sinnentätigkeit (sensatio) erscheint nun in verschiedenen Graden, wodurch, je nach den edleren und vollkommeneren Graden, verschiedene Arten von Tieren entstehen. Wiewohl nun die Sinnentätigkeit sich nach dem oben Gezeigten nicht auf den schlechthin höchsten Grade erhebt, so tritt sie doch in jener Art, welche in der Gattung der tierischen Wesen die wirklich höchste ist, also in der menschlichen, als ein lebendiges Wesen auf, das insofern lebendes Wesen ist, daß es zugleich Geist ist (denn der Mensch ist als Geist Selbstbewußtsein – homo enim suus est intellectus), so daß hier die konkrete Sinnlichkeit gewissermaßen in der geistigen Natur hypostatisch ruht (suppositatur), indem die geistige Natur ein gewisses göttliches, abgesondertes, abstraktes Sein ist, während die Sinnlichkeit ihrer Natur nach zeitlich und zerstörlich bleibt. Nach dieser obwohl entfernten Vergleichung müssen wir Jesus auffassen. Die Menschheit ruht in ihm hypostatisch in der Gottheit, weil sie anders nicht in ihrer ganzen Fülle die größte sein könnte. Da nämlich die Vernunft Jesu (intellectus Jesu) die vollkommenste und ganz und gar aktuell ist, so kann sie nur in der göttlichen Vernunft, die allein alles in Wirklichkeit ist, persönlich ruhen (suppositari). Die Vernunft ist nämlich in allen Menschen der Möglichkeit nach alles, sie geht stufenweise von der Möglichkeit in die Wirklichkeit über. Da nun die größte Vernunft der Höhepunkt (terminus) der Macht der ganzen vernünftigen Natur ist, in vollständiger Aktivität, so kann sie dies nur sein, wenn sie insofern Vernunft ist, als sie zugleich Gott ist, der alles in allem ist. Die menschliche Natur sei das in einem Kreis beschriebene Polygon, der Kreis die göttliche Natur. Soll nun das Polygon das größtmögliche sein, so dürfte es nicht in bestimmten Winkeln für sich bestehen, sondern in der Kreisform, so, daß es keine besondere Gestalt seines Bestehens hätte, die von der ewigen kreisförmigen Gestalt losgelöst werden könnte. Die höchste Vollendung der menschlichen Natur zeigt sich in ihrem Substantiellen und Wesentlichen, also in der Vernunft, der alles Körperliche dienen muß. Der vollkommenste Mensch braucht also nicht im Akzidentiellen hervorzuragen, außer soweit sich dieses auf die Vernunft bezieht. Es ist nicht erforderlich, daß er ein Riese oder uralt oder von dieser oder jener Größe, Farbe, Gestalt etc. sei. Nur das wird erfordert, daß sein Körper die Extreme vermeide, um ein ganz taugliches Werkzeug der Vernunft zu sein, der er ohne Widersetzlichkeit oder Ermattung gehorchen und Folge leisten muß. Von unserem Jesus, in dem alle Schätze der Wissenschaft und Weisheit, auch solange er als das Licht in der Finsternis auf dieser Welt wandelte, verborgen waren, nimmt man zufolge der Überlieferung der heiligen Zeugen seines Lebens an, er habe einen dem Zwecke der eminentesten Vernünftigkeit ganz entsprechenden, vollkommenen Körper gehabt.

      FÜNFTES KAPITEL

      Christus, empfangen von dem hl. Geiste,

      ist geboren aus Maria der Jungfrau

      Weiterhin ist zu erwägen, daß die vollkommenste, nach oben geeinte Menschheit, da sie im Konkreten der Höhepunkt der Vollkommenheit ist, die Natur der (menschlichen) Art nicht ganz ablegt. Nun wird aber Gleiches von Gleichem erzeugt, das Erzeugte geht nach dem Naturgesetze aus dem Erzeuger hervor. Hat aber der Grenzund Höhepunkt keine Schranke (terminus autem cum careat termino), so fehlt auch die Begrenzung und Proportion. Daher kann der größte Mensch nicht auf dem natürlichen Wege erzeugt werden. Auf der andern Seite kann er aber auch nicht des Anfangs als Gattungswesen ganz entbehren, da er die höchste Vollkommenheit der Gattung ist. Einerseits also tritt er als Mensch nach dem Gesetze der menschlichen Natur in die Welt, andererseits ist, weil er das Höchste im Anfange (altissimum principiatum), ganz unmittelbar mit dem Anfang geeint ist (immediatissime principio unitur), dieser Anfang selbst das Schaffende oder Zeugende, der Vater. Der menschliche Anfang ist passiver Natur, er gibt die empfängliche Materie; daher die Abstammung von einer Mutter, ohne männlichen Samen. Alle Tätigkeit aber geht aus einem Geist und einer Liebe hervor, die das Aktive mit dem Passiven vereint, wie früher gezeigt wurde. Die größte Tätigkeit daher, über allem Gesetze der Natur, durch welche der Schöpfer mit dem Geschöpfe geeint wird, muß aus der größten einigenden Liebe, somit aus dem hl. Geiste, der die absolute Liebe ist, hervorgehen. Durch ihn allein konnte die Mutter den Sohn Gottes, des Vaters, ohne Hilfe einer wirkenden Kraft aus dem Bereiche der Gattung empfangen; so daß Gott der Vater, gleichwie er alles durch seinen Geist gestaltet hat (formavit), was nicht aus schon Gegebenem durch ihn ins Dasein hervorgetreten ist, so in noch höherem Grade53 mittelst eben dieses heiligen Geistes wirkte, als er seine vollkommenste Tätigkeit entfaltete. Eine Vergleichung möge unserer Unwissenheit zu Hilfe kommen. Wenn ein ausgezeichneter Lehrer sein geistiges Wort, seinen Gedanken den Schülern mitteilen will, auf daß sie durch Darlegung der Wahrheit geistige Nahrung erlangen, so sorgt er dafür, daß der Gedanke seines Geistes zu einem Laute werde (vocem induat), weil er anders nicht mitteilbar ist. Dies ist aber anders nicht ausführbar, als durch den natürlichen Hauch (spiritus) des Lehrers, der durch Benützung der Luft einen Laut bildet, welcher seinem geistigen Worte (Gedanken) entspricht. Mit diesem Laute vereinigt er dieses Wort, so daß der Laut in dem Worte sein Bestehen hat, und die Zuhörer mittelst des Lautes das Wort erfassen. Diese obwohl ganz entfernte Ähnlichkeit mag uns ein wenig in unserer Betrachtung behilflich sein. Indem der ewige Vater voll unendlicher Güte uns die


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