Der Bergpfarrer Paket 1 – Heimatroman. Toni Waidacher

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Der Bergpfarrer Paket 1 – Heimatroman - Toni Waidacher


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Waisenhaus?«

      Sandra spürte einen tiefen Stich, den ihr dieser Satz versetzte. Sie legte ihren Arm um die Kleine, die einen ängstlichen Eindruck machte.

      »Nun komm erst einmal mit«, sagte sie beruhigend. »Du brauchst keine Angst haben. Das mit dem Gendarm war net so gemeint. Hast du denn immer noch Hunger?«

      Sie zog das Kind mit auf die Terrasse. Nikki beantwortete die Frage mit einem Kopfnicken.

      »Na, dann wollen wir mal sehen, was wir noch für dich zu essen finden. Wie wär’s mit einem Eis? Und vielleicht einen Kakao dazu?«

      »O ja.«

      Nikki war begeistert. Gehorsam setzte sie sich in einen Sessel, während Sandra Hofmayr in die Küche ging. In der Gefriertruhe fand sie eine Packung Vanilleeiscreme. Sie füllte eine nicht zu kleine Portion in ein Glasschälchen und stellte ein Glas mit kaltem Kakao dazu. Nikki bekam große Augen, als sie das Eis sah.

      »Schmeckt’s?« fragte die junge Frau, die mit Vergnügen zusah, wie das Kind das Eis in sich hineinschlang.

      »Super«, antwortete Nikki zwischen zwei Löffeln.

      »Sag’ mal, mußt du denn net ins Heim zurück?« fragte Sandra. »Wieso bist du überhaupt alleine unterwegs?«

      Die Kleine antwortete nicht, sondern schaute nur sonderbar auf die Frau. Die Antiquitätenhändlerin sah das Kind forschend an und eine merkwürdige Ahnung stieg in ihr auf.

      »Sag’, bist’ gar ausgerissen?«

      Nikki druckste eine Weile herum und nickte.

      »Ich geh’ aber net zurück«, sagte sie trotzig. »Die anderen Kinder sind doof, und die Tanten im Waisenhaus sind überhaupt net lieb zu mir. Und wenn ich doch zurück muß, dann lauf’ ich wieder weg!«

      Dabei schluchzte sie heftig. Unwillkürlich nahm Sandra sie in den Arm.

      »Beruhig’ dich doch«, sagte sie sanft. »Du mußt ja net zurück. Zumindest net sofort. Paß auf,

      wir zwei spielen erst einmal was Schönes, Mensch-ärgere-dich-nicht vielleicht, oder Schwarzer Peter, und nachher darfst du baden, und deine Sachen stecken wir in die Waschmaschine. Oben ist ein Gästezimmer, in dem kannst du schlafen, während deine Sachen trocknen. Was hältst du davon?«

      »Au ja«, rief Nikki begeistert. »Mensch-ärgere-dich-nicht spiel’ ich am liebsten.«

      »Na prima. Dann fangen wir doch gleich an. Noch haben wir herrliches Wetter, so daß wir auf der Terrasse spielen können.«

      *

      Sie spielten vier Runden, und es stellte sich heraus, daß Nikki eine wahre Meisterin in dem Spiel war. Gnadenlos warf sie Sandras Steine vom Spielbrett und gewann jedesmal.

      »Also, jetzt geb’ ich auf«, sagte die junge Frau. »Du bist mir einfach über.«

      Nikki lachte herzerfrischend und kuschelte sich in Sandras Arm, so daß ihr ganz warm ums Herz wurde.

      »Gleich sieben Uhr«, stellte Sandra fest. »Zeit für’s Abendessen. Worauf hast du denn Appetit?«

      »Was gibt’s denn?« fragte das Mädchen zurück.

      »Eine Wurstsemmel könnt’ ich dir anbieten, oder eine Hühnersuppe. Aber die müßt ich erst auftauen.«

      »Ich nehm’ die Semmel«, meinte Nikki. »Am liebsten mit Leberwurst.«

      »Die eß’ ich auch am liebsten«, sagte Sandra und eilte in die Küche. »Noch einen Kakao dazu?«

      »Ja«, rief das Madel und legte unterdessen das Spiel zusammen.

      Wenig später saßen sie im Schein der langsam untergehenden Sonne und verzehrten ihr Abendbrot. Sandra schaute verträumt auf die Kleine, die ihre Semmel mit sichtlichem Vergnügen aß. Sie hatte sich immer ein Kind gewünscht, ein Madel, so wie Nikki, dem der Schalk aus den Augen blitzte. Aber dazu war es nicht gekommen. Ihre Ausbildung zur Antiquitätenhändlerin hatte ihr keine Zeit gelassen, den richtigen Mann kennenzulernen. Und jetzt war sie so sehr in ihren Beruf eingespannt, daß sie froh war, wenn sie Wochenende hatte, da sie die Feierabende nutzte, um die Buchführung auf den neuesten Stand zu bringen.

      Ja, wenn sie es recht bedachte, dann war die Liebe in ihrem Leben bisher zu kurz gekommen, dabei waren Mann und Kind doch das, was sie sich wünschte. Aber mit Anfang dreißig war es ja auch noch nicht zu spät dafür.

      Und jetzt setzte ihr das Schicksal dieses Kind praktisch in den Garten. Sollte es vielleicht ein Wink sein? Nikki lebte in einem Waisenhaus, in dem sie sich offensichtlich nicht wohl fühlte. Was wäre, wenn sie die Kleine zu sich nahm? Natürlich würde sie dann beruflich kürzer treten müssen, schließlich wollte so ein Kind auch betreut werden. Aber das würde sich schon finden.

      Je länger sie Nikki anschaute, um so mehr freundete sie sich mit diesem Gedanken an. Gut, wahrscheinlich würde sie für’s erste wieder zurück ins Heim müssen. Doch wenn ihr in Aussicht gestellt würde, in absehbarer Zeit für immer bei Sandra zu bleiben, konnte das ihr die Rückkehr ein wenig leichter machen. Sandra dachte an eine frühere Klassenkameradin, die jetzt als Rechtsanwältin in der Kreisstadt praktizierte. Gleich am Montag wollte sie die Anwältin aufsuchen und sich beraten lassen.

      Nikki hatte ihre Semmel verdrückt und den Kakao ausgetrunken. Jetzt gähnte sie müde.

      »Ich geh’ schnell nach oben ins Bad und laß’ dir Wasser für ein Bad ein«, sagte Sandra. »Dann kannst’ schnell ins Bett gehen. Es dauert nur ein paar Minuten.«

      Oben ließ sie warmes Wasser in die Wanne laufen, gab etwas Badeschaum dazu und legte zwei Handtücher zurecht. Fünf Minuten später ging sie an die Treppe.

      »Das Bad ist fertig, Nikki. Kannst kommen«, rief sie hinunter.

      Unten rührte sich nichts.

      »Nikki!« rief sie noch einmal.

      Das Kind gab keine Antwort. Stirnrunzelnd ging Sandra nach unten und durchquerte das Wohnzimmer.

      »Nikki…?«

      Ratlos stand die junge Frau in der Terrassentür. Der Sessel, in dem das Kind gesessen hatte, war leer. Sandra schaute sich um. Nirgendwo war etwas von der Kleinen zu sehen. Sie ging hinunter in den Garten und rief immer wieder nach dem Mädchen, doch es kam keine Antwort. Schließlich suchte sie Haus und Garten systematisch ab, doch Nikki war unauffindbar.

      Ratlos setzte Sandra sich schließlich in einen Sessel. Es gab nur eine Erklärung – Nikki war wieder fortgelaufen. Aber warum?

      Ein trauriger Zug stahl sich in das schöne Gesicht der jungen Frau. Sie hatte die Kleine in der kurzen Zeit ihres Kennenlernens so lieb gewonnen, daß sie bereit gewesen war, Nikki aus dem Waisenhaus zu holen und für immer bei sich aufzunehmen. Sie konnte nicht fassen, daß dieser schöne Traum so plötzlich wieder vorbei sein sollte.

      Und sie vermißte den kleinen Dreckspatz schrecklich.

      *

      Conny Beerlach zügelte den Hengst und stieg ab. Sie führte Fender in den Stall und rieb ihn mit Stroh trocken, nachdem sie ihn abgesattelt hatte. Dann füllte sie die Tröge in der Box mit Wasser und Hafer und schaute zu, wie Fender sich daran gütlich tat.

      Die angehende Pferdewirtin machte ihre Ausbildung auf dem Reiterhof Vilsharder, einem ehemaligen Bauernhof, der von seinem jetzigen Besitzer, Michael Vilsharder, nach und nach zu einem ›Ferienhotel auf dem Lande‹ umgebaut worden war. Neben anderen Attraktivitäten, die ein Bauernhof für einen Städter zu bieten hatte, waren die Reiterferien ein besonderes Angebot. Vierzig Tiere standen zur Verfügung, wer wollte, konnte sogar sein eigenes Pferd mitbringen und unterstellen. Für diesen Fall gab es eine Reihe von Gastboxen.

      Der fünfzigjährige Vilsharder hatte schon vor Jahren den Trend erkannt, Ferien auf dem Bauernhof wurden immer beliebter. Zwar wurde noch einiges an Land- und Viehwirtschaft betrieben, doch das eigentliche Geschäft war der Hotelbetrieb. Dabei standen die Pferde unter der Obhut von


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